Karl Nolle, MdL
Sächsische Zeitung, 19.07.2007
Eine verhängnisvolle Affäre
Was ist dran an den Gerüchten über mafiöse Netzwerke in Sachsen? Eine Zwischenbilanz.
Anfangs klang es, als läge Sachsen in Sizilien. Und Leipzig wurde Klein-Palermo. Als vor rund zwei Monaten die ersten Berichte über die sächsische Korruptionsaffäre erschienen, braute sich schnell ein wildes Gemisch aus Gerüchten und Beschuldigungen zusammen. Der Kern: Richter und Staatsanwälte sollen Kunden im Rotlichtmilieu gewesen sein und sich dadurch erpressbar gemacht haben. Zudem geht es um krumme Geschäfte in der Immobilienbranche und Ungereimtheiten bei alten Kriminalfällen. All das soll in Akten des Verfassungsschutzes stehen. Heute nun berät der Landtag in einer mit Spannung erwarteten Sondersitzung, ob er deshalb einen Untersuchungsausschuss einsetzt. Wie ist die politische Ausgangslage? Was sind die Fakten? Und was nur Gerüchte? Eine Analyse.
Fakt ist: Sachsen ist kein Sumpfgebiet
Bisher gibt es keinerlei Beweise für ein systematisches mafiöses Netzwerk aus Justiz, Politik und Polizei. Nach allem, was bisher bekannt ist, haben aber vermutlich einzelne Personen lokale Klüngel gebildet, die Straftaten begangen haben sollen. Schwerpunkte sollen Leipzig und Plauen sein. Viele Vorwürfe waren schon einmal Gegenstand von Ermittlungsverfahren. Im Mittelpunkt des Interesses steht ein ehemaliger Oberstaatsanwalt aus Leipzig. Die Staatsanwaltschaft hat jetzt die Aufgabe, in mühsamer Kleinarbeit alles aufzuklären, die lange zurück liegen. Ob die Quellen des Verfassungsschutzes überhaupt als Beweismittel taugen, um jemanden vor Gericht zu bringen, ist mehr als ungewiss.
Fakt ist: Das Ansehen des Landes ist beschädigt
Selten hat sich der Freistaat bundesweit so blamiert wie in den vergangenen Wochen. Der Ruf Sachsens als ostdeutsches Musterland hat schweren Schaden genommen. Die größten Verlierer aber sind die Wahrheit, das Vertrauen der Bürger in Rechtsstaat und Demokratie sowie in die Politik. Innenminister Albrecht Buttolo (CDU) war offensichtlich damit überfordert, sachgerecht und besonnen zu handeln. Die politische Verantwortung dafür hat bisher niemand übernommen.
Fakt ist: Der Innenminister ist schwer angeschlagen
Innenminister Buttolo hat im Juni mit seiner legendären Brandrede im Landtag kräftig Öl ins Feuer gegossen. Die Mafia sei noch aktiv und werde mit allen Mitteln zurückschlagen, um die Zerstörung ihrer Strukturen zu verhindern, behauptete er. Bis heute hat er nicht erklärt, was ihn zu dieser unhaltbaren Aussage getrieben hat: Überforderung? Naivität? Später brachte das Innenministerium sogar die Geschichte in Umlauf, dass am Auto eines CDU-Mitarbeiters Radmuttern gelockert wurden – eine klassische „Zeitungsente“, wie sich herausstellte. Inzwischen hält sich Buttolo aus allem heraus. Sein Staatssekretär Klaus Fleischmann hat in Sachen Korruptionsaffäre die Regie im Innenministerium übernommen. Buttolo ist vor allem deshalb noch im Amt, weil Ministerpräsident Georg Milbradt (CDU) ihn für die Verwaltungs- und Kreisreform braucht. Sie soll bis Ende des Jahres sicher auf den Weg gebracht sein.
Fakt ist: Die Justiz fühlt sich diffamiert
Von dem Verdacht, vieles gehe nicht mit rechten Dingen zu, wird sich die sächsische Justiz so schnell nicht mehr erholen. Hinzu kommt: Wenn es nicht bald zu Anklagen und Verurteilungen wegen Korruption kommen sollte, wird sich die Justiz von der Landtagsopposition Vertuschung und politische Abhängigkeit vorwerfen lassen müssen. Die Sorge, dass das Grundvertrauen in die Funktionsfähigkeit der öffentlichen Ordnung erschüttert sein könnte, treibt auch Justizminister Geert Mackenroth (CDU) um. Er hat seinen Richtern und Staatsanwälten in einem Brief sein Vertrauen ausgesprochen und sie gegen den Vorwurf der Verstrickung in üble Machenschaften in Schutz genommen.
Fakt ist: Der Verfassungsschutz ist unglaubwürdig
Ein Jahr lang hat das Landesamt für Verfassungsschutz die Organisierte Kriminalität beobachtet, obwohl der Verfassungsgerichtshof in Leipzig das nach Überzeugung des Datenschutzbeauftragten Andreas Schurig untersagt hatte. Wenn die Behörde tatsächlich Beweise für mafiöse Strukturen gesammelt hat, warum – so fragen sich viele – hat sie dann aber nicht sofort die Staatsanwaltschaft eingeschaltet? Wenn nicht zufällig der Datenschützer auf die Aktenberge gestoßen wäre, würde das Material vielleicht heute noch in den Schubladen schlummern.
Vor zwei Wochen musste der neue Verfassungsschutzchef Reinhard Boos zugeben, dass Mitarbeiter mit unlauteren Methoden gearbeitet haben, um die Wertigkeit der Akten künstlich hochzuspielen. Für die Staatsanwaltschaft stellt sich seitdem die Frage, welche Bedeutung das Material überhaupt noch hat.
Davon abgesehen hat der Verfassungsschutz aus ihrer Sicht bisher keine brauchbaren Fakten geliefert, mit denen sich kriminelle Netzwerke beweisen ließen. Stattdessen tauchten geheime Dokumente des Geheimdienstes plötzlich im Internet auf. Die Folge: Das Landesamt ist inzwischen von den Informationen anderer Geheimdienste weitgehend abgeschnitten.
Fakt ist: Die Opposition hat Stoff im Wahlkampf
Linksfraktion, Grüne und FDP können in der Dauerkrise, die maßgeblich durch Steuerungsdefizite der CDU/SPD-Regierung verschuldet ist, am meisten punkten. Sie profilieren sich auch durch den geplanten Untersuchungsausschuss als Aufklärer – die Regierung, die sich an verfassungsrechtliche Bedenken krallt, steht dagegen in der Bremser-Ecke. Der „Klamauk“-Vorwurf von Ministerpräsident Milbradt gegen den Untersuchungsausschuss hat den Elan der Opposition erst so richtig angefeuert. Wenn der Landtag heute den Untersuchungsausschuss einsetzt und der Verfassungsgerichtshof ihn nicht stoppt, hat die Opposition bis zur Landtagswahl 2009 Zeit, die Regierung vor sich herzutreiben. Ob ein Untersuchungsausschuss mehr leisten kann als die Justiz, ist aber mehr als fraglich.
Die CDU allerdings bleibt in einem Dilemma: Ob sich die Akten nun als Fundgrube erweisen oder als Haufen unbelegbarer Gerüchte – in jedem Fall wird die Regierungspartei es schwer haben, verlorenes Vertrauen wiederherzustellen. Eine verhängnisvolle Affäre.
von Karin Schlottmann und Annette Binninger