Karl Nolle, MdL

DNN/LVZ, 20.07.2007

Einvernehmen per Enthaltung

U-Ausschuss zur Korruptionsaffäre beschlossene Sache / CDU und SPD lassen Antrag passieren
 
Dresden. Es ist 16.30 Uhr im sächsischen Landtag. Gerade hat die alles entscheidende Abstimmung über einen Untersuchungsausschuss zur Korruptionsaffäre begonnen, doch Georg Milbradt (CDU) verfolgt die Szenerie distanziert. Weit zurückgelehnt, der Schlips nach rechts verrutscht, sitzt der Ministerpräsident in seinem Stuhl auf der Regierungsbank und blickt mürrisch. Dann ist er selbst an der Reihe, wird zum persönlichen Votum aufgerufen. „Enthaltung“ murmelt Milbradt leise in den Plenarsaal, und jeder weiß: Enthaltung heißt, auch der CDU-Chef wird den ungeliebten Oppositionsantrag passieren lassen – zähneknirschend, trotz politischer und verfassungsrechtlicher Bedenken.

Nach wochenlangem Tauziehen fällt das Ergebnis am Ende eindeutig aus. 51 Abgeordnete stimmen für das „schärfste Schwert“ der Opposition, 67 enthalten sich, drei sind dagegen – zwei fraktionslose Ex-NPD-Leute sowie Heinz Eggert von der CDU (siehe Interview). Der U-Ausschuss ist eine Initiative von Linken, FDP und Grünen, die „etwaige schwerwiegende Mängel“ der Staatsregierung im Kampf gegen kriminelle Netzwerke aufdecken wollen. Unter anderem sollen Pannen beim Verfassungsschutz, die Vernichtung von Ermittlungsakten und das misslungene Krisenmanagement der Regierung durchleuchtet werden.

Das hat im Vorfeld zu immer neuen Eskalationsstufen und einer akuten Belastung der schwarz-roten Koalition in Sachsen geführt. Mit der Abstimmung im Landtag ist letztere nun vorerst beendet. Denn nicht nur Milbradt enthält sich nach langem Zaudern, die Regierungsfraktionen von CDU und SPD sehen es nahezu geschlossen genauso. Die offizielle Begründung dafür lautet: Das verfassungsmäßig vorgeschriebene Minderheitenrecht müsse gewahrt werden. Zuvor hatte Milbradt den Ausschuss noch als „Klamauk“ bezeichnet und versucht, die Einsetzung mit dem Vorwurf der Verfassungswidrigkeit zu blockieren. Erst in einer Fraktionssitzung am Morgen hatte die CDU schließlich eingelenkt – auch, weil die Opposition ihren Ursprungsantrag an einigen Punkten verändert hat.

Für die Union ist der Fall damit aber nicht abgehakt. Offen spielt sie mit dem Gedanken, gegen den Untersuchungsauftrag zu klagen. „Wir behalten uns eine rechtliche Tiefenprüfung vor“, sagt zum Beispiel CDU-Fraktionschef Fritz Hähle. „Wenn es verfassungswidrige Teile gibt, könnte der Antrag vor dem Verfassungsgerichtshof landen.“ Schon der Juristische Dienst des Landtages hatte den ursprünglichen Antrag als verfassungswidrig eingestuft.

Mit ihrer Entscheidung hat die mächtige Sachsen-Union erstmals in einem Großkonflikt mit dem kleinen Koalitionspartner SPD eingelenkt. Die mit nur 9,8 Prozent an der Regierung beteiligten Sozialdemokraten hatten sich vor Tagen auf ihren Kurs festgelegt, auch um den Eindruck zu vermeiden, sie wollten bei der Aufklärung etwas vertuschen. Intern hatte die SPD signalisiert, dass sie es auf einen Koalitionsbruch ankommen lassen werde. Dabei steht die Partei mit dem Rücken zur Wand: In einer Forsa-Umfrage war sie nur noch auf acht Prozent der Stimmen gekommen. Ein Umfallen hätte sie weitere Zustimmung gekostet.

Entsprechend aufgeheizt ist die Stimmung im Landtag, auch von Seiten der Opposition. Rechtspolitiker Klaus Bartl (Die Linke) wirft der Regierung „Untätigkeit, Chaos und Fehlleistungen in Serie“ vor. Gleichzeitig kündigt er an, die Bundestagsfraktion der Linken wolle Bundesjustizministerin Brigitte Zypries (SPD) auffordern, den Generalbundesanwalt einzuschalten. Hart geht Grünen-Fraktionschefin Antje Hermenau zur Sache. Innenminister Albrecht Buttolo (CDU) habe mit seiner dramatischen Einschätzung, die Organisierte Kriminalität werde „zurückschlagen“, Recht gehabt oder schwer daneben gelegen. „Beides“, so ihr Argument, „berechtigt zur Frage, inwiefern die Staatsregierung die Lage im Griff hat“.

FDP-Politiker Jürgens Martens meint: „Wir wollen hier aufklären. Die Union will das nicht.“ Für CDU-Fraktionschef Hähle ist das Grund zur Gegenattacke. An die Adresse der Linken sagt er, es sei „ein Treppenwitz der Geschichte, dass sich ehemalige SED-Kader und Stasi-Leute aufschwingen, eine demokratisch gewählte Regierung mit den übelsten Verdächtigungen zu überziehen“. Gemeint ist damit nicht zuletzt Bartl, der stasibelastet ist.
von Sven Heitkamp und Jürgen Kochinke


Die Ausschussmitglieder

Der Untersuchungsausschuss, der die Verantwortung von Regierungsmitgliedern für etwaige schwerwiegende Mängel bei der Aufdeckung und Verfolgung krimineller und korruptiver Netzwerke in Sachsen untersuchen soll, hat folgende zwanzig Mitglieder:

Heinz Eggert (CDU) 79 Ja-Stimmen
Helmut Gregert (CDU) 86
Georg Hamburger (CDU) 97
Rita Henke (ÇDU) 92
Alfons Kienzle (CDU) 100
Frank Kupfer (CDU) 96
Gesine Matthes (CDU) 93
Christian Piwarz (CDU) 78
Günther Schneider (CDU) 68
Peter Schoftka (CDU) 87
Klaus Bartl (Linke) 67
Cornelia Ernst(Linke) 79
Caren Lay (Linke) 66
Dietmar Pellmann (Linke) 78
Andrea Roth (Linke) 82
Karl Nolle (SPD) 76
Enrico Bräunig (SPD) 96
Jürgen Gansel (NPD) 26
Jürgen Martens (FDP) 87
Johannes Lichdi (Grüne) 75

Als Ausschlussvorsitzender wurde der rechtspolitische Sprecher der Linken, Klaus Bartl, vorgeschlagen, als sein Stellvertreter der CDU-Mann Günther Schneider. Die Wahl der Stellvertreter zog sich gestern Abend bis nach Redaktionsschluss hin. Viel Streit gab es um die Wahl des Leipzigers Volker Külow (Linke) zum Stellvertretenden Ausschuss-Obmann wegen seiner erst kürzlich publik gewordenen ehemaligen IM-Tätigkeit für den DDR-Staatssicherheitsdienst. J. K.