Karl Nolle, MdL

Sächsische Zeitung, 25.08.2007

Aktenaffäre: Verfassungsschutz machte gravierende Fehler

Der Geheimdienst soll die Korruptionsaffäre mit ungeprüften Gerüchten und falschem Ehrgeiz ins Rollen gebracht haben.
 
Lutz Irrgang und Dietrich Beyer sind ausgewiesene Experten. Der pensionierte Direktor des hessischen Landesamtes für Verfassungsschutz und der frühere Richter am Bundesgerichtshof wurden deshalb vor Wochen mit einer heiklen Mission beauftragt: Zusammen mit zwei weiteren Kollegen aus anderen Bundesländern sollen sie prüfen, welche Rolle das sächsische Landesamt für Verfassungsschutz in der seit Wochen schwelenden Korruptionsaffäre spielt.

Übereifer statt Schlussstrich

Am Freitag legten beide nun einen Zwischenbericht vor, dessen Fazit verheerender ausfällt, als es selbst die größten Kritiker der sächsischen Schlapphüte erwarten durften. „Selten hat eine Behörde ihre Aufgabe bei der Beobachtung der Organisierten Kriminalität so eklatant missverstanden wie in Sachsen“, leitete Irrgang sein desaströses Lagebild ein. Statt sich als das übliche Frühwarnsystem zu verstehen, hätten sich die Mitarbeiter des Referates Organisierte Kriminalität (OK) fälschlicherweise als eine Elite-Konkurrenz zur eigentlich zuständigen Polizei gesehen.

„Übereifer“ und „Referats-Egoismus“ hätten dabei zunächst zu vielen handwerklichen Fehlern geführt. So flossen vielerlei Gerüchte, die nicht ausreichend überprüft wurden, in die Akten als wichtige Informationen ein – selbst wenn es sich um erkennbar unschlüssige Angaben von unglaubwürdigen Personen gehandelt hat. „Nachprüfungen wurden unterlassen, Widersprüche außer Acht gelassen.“

Schließlich sei es in dem OK-Referat aus falschem Ehrgeiz aber auch zu klaren Rechtsverstößen gekommen. Beispielsweise habe man einen Polizisten als verdeckte Quelle geführt. Zudem seien die Akten nicht ordnungsgemäß geführt worden. Die Mitarbeiter hätten operatives Material „in einem beachtlichen Umfang“ kopiert und unregistriert angelegt. Interne Kontrollmechanismen, die eine seriöse Informationsbeschaffung und Auswertung sichern sollen, hätten nicht funktioniert. Statt aber einen Schlussstrich zu ziehen und einzuräumen, dass die zusammengetragenen Vorwürfe zum Großteil überhaupt nicht belegbar sind, habe man die Deutungshoheit über das Material für persönliche Interessen missbraucht, hieß es.

Laut dem Prüfteam waren in dem Referat rund zehn Mitarbeiter an den Vorgängen beteiligt. Intern hätte es über die jetzt kritisierte Praxis auch Debatten gegeben. Aber die „klare Meinungsführerschaft von zwei Personen“ habe aufkommende Zweifel stets in den Hintergrund gerückt. Gemeint sein dürfte damit unter anderem die zurzeit wegen Krankheit beurlaubte Referatsleiterin. Die hätte Mitarbeiter stets wieder „motiviert und begeistert“.

Kontrollsystem versagte

Innenminister Albrecht Buttolo (CDU) konnte dies am Freitag nur leidvoll bestätigen: „Bei mir war es genauso“. So hatte ihn jene Verfassungsschützerin zuvor zu einer umstrittenen Rede im Landtag animiert, in der Buttolo vor aktiven und angeblich hochgefährlichen Mafia-Netzwerken in Sachsen gewarnt hatte. Mittlerweile musste sich der CDU-Politiker von seinen Worten wieder öffentlich distanzieren – Spott und Häme inklusive.

Die Prüfer, die im September ihren Abschlussbericht vorlegen wollen, sorgten bei Buttolo für weitere Sorgenfalten. Deutlich rügen sie die Fachaufsicht über den Verfassungsschutz. Hier weise das zuständige Innenministerium Defizite auf. Wie groß die sind, machten sie an einem Beispiel klar. So habe dort lediglich ein Mitarbeiter die Geheimdienst-Informationen bereits im Vorfeld „bösgläubig“ angezweifelt, sich dann aber doch mit einer beruhigenden Erklärung der Verfassungsschützer zufriedengegeben. Die notwendige Kontrolle habe damit wieder nicht funktioniert.

Viele Vorwürfe nicht haltbar

Das soll anders werden. Während Buttolo weitere personelle Wechsel prüft, kündigte Sachsens neuer Verfassungsschutzpräsident Reinhard Boos Nachschulungen für seine Mitarbeiter an. Das andere Problem: Angesichts der Mängelliste lassen sich die bisher in der Korruptionsaffäre erhobenen Vorwürfe „zum Großteil nicht mehr nachvollziehen“, meint Prüfer Lutz Irrgang. Die Grünen reagierten prompt auf diese Einschätzung. Buttolo und sein Amtsvorgänger Thomas de Maizière (CDU) müssten nun aber die politische Verantwortung für diesen „Verfassungsschutz-Skandal“ übernehmen, fordern sie.
Von Gunnar Saft