Karl Nolle, MdL

LVZ - Delitzsch-Eilenburger Zeitung, Seite 18, 28.08.2007

„Manche Sparkassen waren gewinngeil“

SPD-Finanzexperte Karl Nolle kritisiert Landrat Michael Czupalla / Vorwurf: Politiker häufig nicht in der Lage, Vorstand zu kontrollieren
 
Der Verkauf der Sächsischen Landesbank (Sachsen LB) an die Landesbank Baden-Württemberg (LBBW) hat auch Auswirkungen auf den Landkreis Delitzsch. Wie diese aussehen, darüber sprach die LVZ mit dem SPD-Finanzexperten und Landtagsabgeordneten Karl Nolle.

Frage: Die Sachsen LB ist verkauft. Welche Konsequenzen hat das für die Landkreise?

Karl Nolle: Es wird in Zukunft keine Gewinne der Sachsen LB mehr geben und damit keine Ausschüttungen an die Sparkassen in der Sachsen-Finanzgruppe, weil die Sachsen LB ab dem Wochenende als selbstständige Bank nicht mehr existiert, da sie ab sofort treuhänderisch unter Zwangsverwaltung der LBBW steht. Das ist die Konsequenz aus den in den letzten Tagen verhandelten Verträgen mit der LBBW. Damit müssen die Haushalte der betroffenen Kreise und Kommunen, die alle mit Gewinnen gerechnet haben, und diese in die Haushalte eingeplant haben, teilweise dramatisch korrigiert werden.

Ist denn der Verlust der Ausschüttungen das einzige Risiko für die Kommunen, oder kann da noch mehr passieren?

Leider ja, es wäre die Konsequenz aus dem Finanzdesaster, dass die Sparkassen der Kommunen und Kreise, sie sind zur Hälfte Eigentümer der Sachsen LB, einige hundert Millionen Einlagen tatsächlich verloren haben. Überschlägig gesagt: Von den etwa 700 Millionen Euro, die ihnen am Stammkapital und an stillen Einlagen der Bank in Höhe von insgesamt 1,5 Milliarden gehören, werden ihnen jetzt, am Ende des sächsischen Finanzausfluges in die große Welt, möglicherweise nur noch knapp 150 Millionen Euro bleiben. Von den in ihrer Geschichte insgesamt zirka 400 Millionen Gewinnen der Landesbank sind zirka 130 Millionen in die Kapitalrücklagen gegangen und etwa 270 Millionen an die Eigentümer ausgeschüttet worden. Davon sind als Gewinn an die Sparkassen gut 130 Millionen Euro gegangen. Man kann nicht gerade von einem brillianten Geschäft für die Sparkassen sprechen, wenn sie 130 Millionen Gewinne erhalten haben, dafür aber 500 Millionen bezahlt und verloren haben. Alle acht Verbundsparkassen werden im Jahr 2007 die bisher in ihren Bilanzen ausgewiesenen Beteiligungen an der Sachsen LB wertberichtigen, das heißt streichen müssen.

Hat es denn keine Risikobetrachtung gegeben?

Nachdem, was wir heute wissen und nachdem wir jahrelang gefragt haben, offensichtlich nicht. Bei der Beurteilung von Finanz-Geschäften muss man immer auch den schlimmsten Fall einkalkulieren, nicht nur das Schönwetterergebnis, das muss man als ordentlicher Kaufmann und Banker immer bedenken. Und deswegen habe ich immer gesagt: Wenn man sich auf solche hochspekulativen Geschäfte einlässt, dann muss man sich des ganzen Risikos bewusst sein und dieses transparent machen.

Als vor zweieinhalb Jahren im Kreis Delitzsch die Diskussion geführt wurde, ob die hiesige Sparkasse mit der Leipziger fusionieren soll, haben Sie gesagt, man müsse – auch wegen der Situation der Landesbank – nichts übers Knie brechen. War die Fusion aus heutiger Sicht ein Fehler?

In diesen Wochen werden sich viele Kommunen und Sparkassen freuen und tief durchatmen, dass sie nicht Mitglied in der Sachsen-Finanzgruppe sind. Diejenigen, die erwartet haben, das große Geld zu verdienen, werden ein schlimmes Erwachen haben und müssen sich nun umsehen, wie sie ihre Haushalte und Bilanzen in Zukunft aufbessern wollen und den Schaden reparieren können. Leider hat sich die Sparkasse Leipzig durch die grottenschlechte Presse der letzten Monate viel von ihrem guten Ruf verloren. Was die Probleme und Skandale im Vorstand angeht, kommt die Sparkasse Leipzig dadurch bedauerlicherweise gleich nach der Sachsen LB. Wenn man sich den geschassten Vorstand anschaut, stellt sich die Frage, ob sich die Delitzscher damals nur ein paar Hallodris angeschlossen haben.

Was folgt für die Sparkassen?

Aus den Bilanzen der Sparkassen müssen die Beteiligungen nun herausgestrichen werden. Das macht die Sparkassen nicht arm, aber es dezimiert das Kapital.

Müssen denn die Anleger um ihr Geld fürchten?

Nein. Die Sparanlagen sind nicht verloren, aber der Wert der Sparkasse verringert sich dadurch. Und die Sparkassen gehören der öffentlichen Hand und damit auch indirekt den kleinen Sparern.

Gilt das für alle Sparkassen?

Nein. Es sind ja nicht alle sächsischen Sparkassen Mitglied in der Sachsen-Finanzgruppe. Es gibt auch welche, die sind nicht dabei und es gibt welche, die ausgetreten sind. Die haben gesagt, dieses Harakiri in Dublin machen wir nicht mit. Und es gibt welche, die gewinngeil waren. Delitzsch gehört dazu.

Sehen Sie Verwaltungsratsmitglieder wie den Delitzscher Landrat Michael Czupalla mit in der Verantwortung?

Das Wichtigste bei einem öffentlich-rechtlichen Institut ist die öffentlich-rechtliche Kontrolle. Die wird von Politikern wahrgenommen, und auch Landräte sind Politiker. Diejenigen, die in den Aufsichtsgremien, im Verwaltungsrat und der Rechtsaufsicht sitzen, müssen immer die Verantwortung übernehmen, ja, sie tragen die Verantwortung, es sei denn sie sind mit krimineller Energie von einer Hand voll Hasadeuren getäuscht worden, was ich nach den Erfahrungen der letzten sieben Jahre mit der Sachsen LB keineswegs ausschließen würde. Landrat Czupalla war jedenfalls bei der gesamten Angelegenheit eine treibende Kraft und kann jetzt nicht den Ahnungslosen spielen.

Werden die Vorstände denn wirklich kontrolliert?

Die Politiker in den Aufsichtsgremien sind in der Regel vollkommen überfordert. Sie sind in der Regel nicht dafür ausgebildet. Und sie haben sowieso schon viele Termine und müssen dann noch mal zwischendurch an einer Verwaltungsratssitzung teilnehmen. Das passiert dann so nebenbei.

Das heißt, ihnen fehlt die Zeit zur Kontrolle?

Und das Wissen und die Ausbildung. Die Verwaltungsratsmitglieder sollen einen Vorstand kontrollieren, der mehr weiß als sie selbst. Das kann ja nicht funktionieren. Das generelle Problem der öffentlich-rechtlichen Banken ist, dass der Kontrolleur zumeist weniger weiß und kann als der zu Kontrollierende. So kann eine wirkliche Aufsicht nicht stattfinden. Das Gleiche gilt auch für die Rechtsaufsicht, also den Finanzminister. Es sei denn, er ist aus anderen Gründen als aus parteipolitischen, also als Spezialist mit umfassenden beruflichen Erfahrungen, mit der Aufgabe betraut worden. Ein Finanzminister, der ohne fremde Hilfe einer Schar von Referenten fachpolitisch nicht über die Straße kommt, wäre absolut fehl am Platze.

Was müsste sich da ändern?

Aufsichts- oder Verwaltungsrat ist heute eigentlich von den Anforderungen ein eigenständiger Beruf, das muss professionell ausgeübt werden. Politiker können das nicht, entweder weil ihnen die Kenntnisse fehlen oder weil sie die Zeit dafür nicht aufbringen können. Das sind die beiden Kernprobleme. Die Politiker können ja meistens nichts dafür, dass sie nicht fachlich kompetent genug sind, sie können nur etwas dafür, wenn sie sich in Aufsichtsgremien wählen lassen, obwohl sie wissen, dass sie inkompetent sind. Das ist ja bei Aktiengesellschaften auch nichts anderes. Wer kann denn in 30 verschiedenen Aufsichtsräten den Überblick haben? Ich möchte betonen, das Finanz-Fiasko in Sachsen ist noch ein besonderer Fall. Es gibt vielleicht weltweit 100 Banker, die das ganze Verfahren des Handels mit den hochspekulativen und sogenannten Synthetic Assets verstehen. Da finden Sie wahrscheinlich in ganz Sachsen keinen einzigen, der da genügend durchsieht. Und auch deswegen konnte man das in Dublin alles machen. Außerdem steht von all diesen Geschäften nichts in der Bilanz.

Nichts?

Nein. Da steht nur „Erlöse aus Beteiligungen in Dublin“. Welche Fonds mit welchem Volumen und welchen Laufzeiten, steht da nicht. Aber solange da nur Gewinne ausgewiesen werden, fragt ja keiner nach. Wenn der Kreis Delitzsch aber im vergangenen Jahr keine Millionen erhalten hätte, sondern sie hätte bezahlen müssen, dann hätte da sicher auch mal jemand früher nachgefragt. Nun ist das Finanz-Desaster im Freistaat da und das Desaster kann namentlich benannt werden.

Bleibt denn der Verwaltungsrat bestehen?

Ja. Mindestens bis zum 31. Dezember dieses Jahres. Ab 1. Januar 2008 ist dann die Sachsen LB eine unselbstständige Körperschaft öffentlichen Rechts in der LBBW. Wie dann die Kontrollorgane genau aussehen, wissen wir noch nicht.
Interview: Kristian Teetz