Karl Nolle, MdL

spiegel-online, 05:57 Uhr, 28.08.2007

Goodbye, Generaldirektor

Sachsens Ministerpräsident Milbradt
 
Korruptions-Groteske in Leipzig, Brücken-Posse in Dresden, mieses Image durch Mügeln - und dann noch der Kollaps der Landesbank. Kein anderer Ministerpräsident steht so im Feuer wie Georg Milbradt in Sachsen. Der CDU-Technokrat kommt ins Taumeln.

Leipzig/Dresden - "Was für 'ne blöde Idee", sagt Georg Milbradt, 62. Er steht vor einer grün leuchtenden Wand, neben ihm ein gläserner Flügel, um ihn herum viele Menschen in Abendgarderobe. Eine Messe für Computerspiele? Genau das habe er anfangs gedacht, sagt der Ministerpräsident von Sachsen. Und nun, fünf Jahre später, eröffnet Milbradt die Games Convention in Leipzig auf einer üppigen Festgala. Die Messe hat bald Tokio als größte Spiele-Schau der Welt eingeholt. Milbradt strahlt.

Ein paar Stunden später - die Limousine schnurrt gerade vom Messeareal zurück in die Landeshauptstadt - beugt sich der Ministerpräsident über die Mittelkonsole der Rückbank. "Wissen Sie, was die Produktion eines neuen Computerspiels kostet?" Er beantwortet die Frage selbst: "50 Millionen Dollar." So viel wie ein mittlerer Hollywood-Film. Eine Riesenbranche sei das. Dann lehnt sich Milbradt zurück, während der Wagen den futuristischen Turm mit dem Doppel-M der Leipziger Messe passiert.

Der Regierungschef schaut zufrieden auf die Lichter des nächtlichen Flughafens, der an der Autobahn vorüberfliegt. Es war ein guter Abend.

Nur wenige Tage ist das her - es wird wohl der vorerst letzte Abend gewesen sein, den Georg Milbradt genossen hat. Denn die Wellen der Landesbank- Pleite haben längst den Regierungschef ergriffen. Die SachsenLB war sein Baby, er hat sie als Finanzminister durchgesetzt. Nachdem sich eine irische Tochtergesellschaft verspekuliert hatte, schoss zunächst der Sparkassenverbund gut 17 Milliarden Euro zu. Zum Vergleich: Der Haushalt des Freistaats für 2008 beträgt rund 16 Milliarden Euro. Weil die Krise mit der Geldspritze nicht beigelegt war, muss Milbradt das Geldinstitut nun trotzdem an die Landesbank Baden-Württemberg verkaufen.

Der Druck auf Milbradt wächst

"Um weitere Verluste zu vermeiden", sagt er. Manche in der CDU verkaufen das als gutes Krisenmanagement. Doch der Druck wächst: Die Linke fordert schon seinen Rücktritt. Und selbst der Koalitionspartner giftet: "Ein Ministerpräsident, der das mitzuverantworten hat, kann sich künftig nicht mehr wie bisher als Finanzexperte feiern lassen", sagt der SPD-Landtagsabgeordnete Karl Nolle.

Waldschlösschenbrücke und Korruptionsaffäre - das hatte Milbradt schon Nerven gekostet. Dann fuhr er in den Urlaub. Er reiste mit seiner Frau im Privat-Pkw durch Osteuropa, kleine Hotels, ohne Personenschutz. Milbradt erzählt davon beinahe schwärmerisch, anekdotenreich.

Zurück in Dresden wartete mit Mügeln die nächste PR- Katastrophe. Doch die Sache mit der Landesbank - die trifft Milbradt jetzt so richtig ins Mark.

Der Politiker Georg Milbradt funktioniert so: erst wird nüchtern analysiert, dann entschieden, selbst wenn etwas auf den ersten Blick unsinnig erscheint. Ganz wie bei seinem Engagement für die Leipziger Games Convention. Milbradt sei "ein Zahlenmensch, sein Lieblingswort ist Optimierung", sagt Martin Dulig, SPD-Fraktionsgeschäftsführer im Landtag. Natürlich, denn er ist Ökonom. Deshalb darf sich eigentlich niemand wundern, dass Professor Milbradt den Freistaat wie ein Technokrat regiert.

Sein Vorgänger Kurt Biedenkopf habe "wie ein König Politik gemacht, aber er hatte eben auch etwas Liebenswertes", sagt Peter Porsch, bis vor kurzem Fraktionschef der Linken. "Milbradt dagegen macht Politik wie ein Elefant im Porzellanladen." Biedenkopf und sein Finanzminister ergänzten sich deshalb perfekt. Doch dann kam es zum Bruch. Biedenkopf über Milbradt: ein "hochbegabter Fachmann" - aber ein "miserabler Politiker". Ach, sagt Georg Milbradt dazu, das habe Biedenkopf doch nur "im Zorn" gesagt.

Große Koalition in Sachsen wackelt

Milbradt wurde zwar dessen Nachfolger als Sachsens CDU-Chef und Ministerpräsident, doch inzwischen regiert er nur noch mit einer knappen Mehrheit - in einer nicht wirklich großen Koalition mit der 9,8-Prozent-SPD. Und selbst die scheint passé. Einer aktuellen Umfrage zufolge würden nur rund 37 Prozent CDU wählen. "Natürlich zeigt das einen gewissen Vertrauensverlust", sagt der Ministerpräsident. "Aber es gibt schlechte und gute Umfragen."

Das Absurde ist: Sachsens Kerndaten sind top - der Freistaat gilt als Ost-Musterland. Schon als Finanzminister hatte Milbradt einen harten Sparkurs eingeschlagen. Mit vier Prozent Wirtschaftswachstum lag man zuletzt sogar bundesweit an der Spitze, auch die Schulen sind laut Pisa-Studien vorbildlich. "All das ist sein Verdienst, keine Frage", sagt Grünen-Fraktionschefin Antje Hermenau. "Das Problem: Danach kommt nichts mehr."

Milbradt hält sich viel auf seine Erfolge zugute. "Es gibt Politiker, die reden. Und solche, die handeln." Ein typischer, leicht dahin genuschelter Milbradt-Satz. "Ich möchte Sachsen ganz an die Spitze führen", sagt er. So wie in der ehemaligen Bergarbeiterstadt Freiberg an der Pforte zum Erzgebirge. Aus dem VEB Spurenmetalle sind drei Silizium-Betriebe mit 3000 Beschäftigten hervorgegangen, jeder Weltspitze. Hierhin lädt der Ministerpräsident neuerdings Journalisten ein. Milbradt geht durch die Werkshallen, als arbeite er dort.

"Ich weiß nicht, wie oft ich bei denen schon zu Gast war", sagt er auf dem Weg hinunter in die Stadt. Dort warten Professoren der Bergakademie TU Freiberg. Die Universität ist die kleinste im Freistaat - aber mit ihrer ingenieur- und naturwissenschaftlichen Ausprägung eine der erfolgreichsten.

Beim anschließenden Rundgang durch Freiberg fällt auf, was Milbradt fehlt: Er ist keiner, der auf Menschen zugeht. Und die Bürger nicht auf ihn - wenn sie den gedrungenen Herrn im längsgestreiften Anzug überhaupt wahrnehmen, trotz Bodyguards und Polizei.

Dabei macht er sich durchaus bemerkbar. Der Koalitionspartner SPD und die Oppositionsparteien klagen über Milbradts schroffen Ton - ebenso Mitglieder seiner eigenen CDU-Fraktion. Wer ihn entschuldigen will, schiebt das auf seine westfälische Herkunft.

Milbradt duldet keine starken Leute um sich, heißt es. Der beliebte Steffen Flath wurde ins Kultusministerium abgeschoben. Ex-Innenminister Thomas de Maizière ist noch weiter weg - er leitet inzwischen das Kanzleramt für Merkel.

Milbradt ist ein Kopfmensch

Wenn man den Politiker mit diesen Vorwürfen konfrontiert, versucht er sie zu widerlegen. Ganz ruhig, einen nach dem anderen. So ist der Kopfmensch Milbradt. Er sei kein Autist, rede mit den Leuten, sagt der Ministerpräsident.

Milbradt denkt, dass ihm intellektuell kaum einer das Wasser reichen kann. Das lassen Menschen wie Milbradt ihr Gegenüber oft spüren, wenn auch ungewollt. Dass er im kleinen Kreis ganz anders sein kann, lustig, beinahe ausgelassen, das bekommt selten einer mit. Man ist selbst ein bisschen erstaunt, ihn so zu erleben.

Milbradt gibt sich Mühe, er kennt ja seine Defizite. Beim Rundgang über die Games Convention hat er hier mal einen Knopf gedrückt, da auf einen bunten Bildschirm geschaut. Irgendwann nimmt der Ministerpräsident auf einem Höckerchen Platz und versucht sich am Computer als Autorennfahrer. "Das sind die Bilder, die wir brauchen", sagt jemand aus seinem Tross.

Soll heißen: Jetzt, wo die Erfolge hinter den Pleiten verblassen, könnte es ihm zum Verhängnis werden, dass man ihn nur als Generaldirektor wahrnimmt.

Nach wenigen Sekunden endet die Fahrt auf der Spielemesse an einem virtuellen Baum. Georg Milbradt lächelt. Ist doch nur ein Spiel. Aber Milbradt will immer spitze sein. Er sagt: "Das muss ich dringend üben."
Von Florian Gathmann, Dresden