Karl Nolle, MdL

Süddeutsche Zeitung, 07.09.2007

Milbradt-Interview: "Wir wollen überholen, wir wollen besser sein als andere‘‘

CDU-Ministerpräsident Milbradt über die zahlreichen Affären in Sachsen, die geplante Kabinettsumbildung und den Aufbau Ost.
 
SZ: Herr Ministerpräsident, Sie können auf erfolgreiche Regierungsjahre zurückblicken, einen schuldenfreien Haushalt und kräftiges Wirtschaftswachstum. Doch nun jagt eine Negativnachricht die andere: vom Dresdner Brückenstreit über den Verfassungsschutzskandal, tätliche Übergriffe gegen Ausländer bis zum Desaster um die Sachsen LB. Was läuft plötzlich schief?

Milbradt: Was die Zahlen betrifft, läuft gar nichts schief. Unser Wirtschaftswachstum wird in diesem Jahr 3,5 bis vier Prozent betragen, das ist einer der besten Werte in Deutschland. Die Arbeitslosenzahlen gehen zurück, für unsere Bildungspolitik wurden wir durch den jüngsten Bildungsmonitor ausgezeichnet...

SZ: ... das war jetzt die schöne Seite der Bilanz.

Milbradt: Beim sogenannten Aktenskandal war von "Sumpf‘‘ und ,,korruptiven Netzwerken‘‘ bis in höchste Verwaltungsebenen die Rede. Nach derzeitigem Kenntnisstand hat es sich um eine Fehlleistung des Verfassungsschutzes gehandelt. Das ist schlimm genug, aber doch etwas anderes. In Mügeln untersuchen wir die Vorfälle noch, aber man kann jetzt schon sagen, dass der Vorfall nicht von einer organisierten rechtsradikalen Szene ausgelöst wurde. Wir sind entschieden gegen Fremdenfeindlichkeit, weil das eine moralische und ökonomische Schwächung des Landes darstellt. Auch mich beunruhigt das Ausmaß an Gewalt, das explodiert ist.

SZ: Dann wollen Sie uns wohl jetzt auch sagen, dass es keine Koalitionskrise gibt?

Milbradt: Wir befinden uns in schwerem Wasser, das ist unbestreitbar. Es gibt unterschiedliche Meinungen der Koalitionspartner und auch innerhalb der SPD, die unter dem Druck der Ereignisse aufgebrochen sind. Es ist immer schwierig für eine Regierung, Stabilität zu repräsentieren, wenn der eine Partner den anderen öffentlich vorführt aus Gründen, die bei ihm selbst liegen.

SZ: Auch von CDU-Parteifreunden werden Sie kritisiert, man wirft Ihnen einen allzu einsamen Regierungsstil vor. Durchleben Sie gerade die schwierigste Phase Ihrer politischen Karriere?

Milbradt: Ich habe schon schwierigere Situationen durchgemacht, beispielsweise die Elbe-Flut 2002. Aber auch 2001, als ich mein Amt als Finanzminister verlor. Damals habe ich auf die Unterstützung meiner Parteifreunde gebaut, nur sie haben den Neustart möglich gemacht. Heute verhalten sich die CDU-Vertreter im Regierungsbündnis sehr kooperativ, sie tun alles dafür, dass es bei der Koalition bleibt. Wir haben ja noch einiges vor zusammen: Gerade bereiten wir die tiefgreifendste Verwaltungsreform vor, die es bislang in Deutschland gab. Wir wollen die Hochschulen erneuern und konkurrenzfähiger machen und finanzielle Vorsorge für den Tag treffen, wenn 2009 die Mittel aus dem Solidarpakt heruntergefahren werden. Wir wollen Sachsen ganz nach vorn in Deutschland bringen.

SZ: Als Minister und Ministerpräsident sind Sie jetzt 16 Jahre an der Macht. Gibt es da nicht Verschleißerscheinungen?

Milbradt: Die Frage nach der sogenannten déformation professionelle, muss man sich in Führungspositionen natürlich immer stellen - beim einen geht das schneller, beim anderen langsamer...

SZ: Und bei Ihnen?

Milbradt: Ich möchte nicht in eigener Sache urteilen. Die konkrete Frage ist doch, ob eine andere Entscheidung möglich war. Nehmen Sie das Thema Verfassungsschutz. Klar muss man aus heutiger Sicht sagen, dass da einer Mitarbeiterin vertraut wurde, die offenbar gezielt Dinge aufgeblasen hat. Aber die Beteiligten damals - dazu gehöre ich ja nicht unmittelbar, sondern die Parlamentarische Kontrollkommission und der Chef des Landesverfassungsschutzes -haben die Korruptionsvorwürfe als relevant angesehen.

SZ: Voran Innenminister Albrecht Buttolo. Im Landtag hat er in dramatischem Ton vor der Gefahr der organisierten Kriminalität gewarnt. Nun aber soll alles nicht so gemeint gewesen sein.

Milbradt: Wir reden über zwei oder drei Sätze, die aus heutiger Sicht auf einer falschen Einschätzung beruhten. Man kann immer nur handeln mit den Erkenntnissen, die man hat. Wir sollten jetzt abwarten, bis der Sachverhalt insgesamt aufgearbeitet ist.

SZ: Eine Untersuchungskommission hat schwere Mängel bei der Dienstaufsicht des Verfassungsschutzes festgestellt. Ist das nicht Grund genug für einen Personalwechsel im Ministerium?

Milbradt: Die Forderung, der Minister müsse zurücktreten oder abberufen wer-den, ist mir zu einfach. Wir müssen das Problem lösen, und das bedeutet, es erst einmal aufzuklären. Meine Befürchtung war, dass durch eine Abberufung nur die Unsicherheit verstärkt worden wäre, das hätte die Aufklärung nicht erleichtert. Man muss auch die Phase vor der Amtszeit des heutigen Innenministers untersuchen, die Verfassungsschutzakten wurden ja von 2003 an angelegt.

SZ: Sie denken an den heutigen Kanzleramtsminister Thomas de Maizière.

Milbradt: Nein, es geht nicht um deMaizière. Es geht darum, herauszufinden, wie die Sache angefangen hat. Wir müssen jetzt aufklären, aufklären, aufklären.

SZ: Wäre eine Kabinettsumbildung der Befreiungsschlag, auf den alle warten?

Milbradt: Mit der jetzigen Konstellation werden wir nicht in die Wahl 2009 gehen, es muss eine Kabinettsumbildung geben. Aber zu Politik gehört auch, dass man die Kollegen nicht als Kanonenfutter missbraucht, sondern sie loyal behandelt. Wenn man einen Minister in schwierigen Zeiten stützt, tut er das auch umgekehrt. Wenn Sie an Helmut Kohl zurückdenken, dann bestand ein großer Teil seiner Stabilität in Loyalität.

SZ: Finanzminister Horst Metz hat ja bereits seinen Rücktritt erklärt, nachdem sich die Landesbank auf dem US-Hypothekenmarkt so verzockt hat, dass nur noch der Notverkauf blieb. Schmerzt es Sie, dass Sie als Gründer dieser Bank nun gleichsam ihr Totengräber sind?

Milbradt: Diese Bank ist nicht meine Erfindung, ich wollte eine gesamtostdeutsche Landesbank, die dann auch genügend Kapital gehabt hätte aus der früheren Staatsbank der DDR. Das war nicht möglich, weil die anderen Länder sich mit westdeutschen Partnern zusammengetan hatten. Eine Neuordnung wurde notwendig, als klar wurde, dass sich die gesamte Bankenszene neu organisieren und die Gewährsträgerhaftung für öffentlich-rechtliche Institute wegfallen würde. Wir haben deshalb vor zwei Jahren begonnen, mit der West LB über einen Zusammenschluss zu verhandeln, das scheiterte, weil es dort Probleme gab. Dass die Sachsen LB dann die eingegangenen Risiken nicht mehr tragen konnte, hat mich sehr geschmerzt und ist ein schwerer Schlag für uns.

SZ: So sehr, dass Sie an Rücktritt gedacht haben?

Milbradt: Ja, ich wäre zurückgetreten, wenn die Fusion nicht gelungen wäre. Politiker werden gewählt, um Probleme zu lösen, wenn sie dazu nicht fähig sind - aus welchen Gründen auch immer - müssen sie zurücktreten und die Problemlösung anderen überlassen.

SZ: Ein Pool von Landesbanken gewährte der Sachsen LB einen Kredit von 17,3 Milliarden Euro, einen Spekulationsschaden von 250 Millionen Euro musste der Käufer, die Landesbank Baden-Württemberg, direkt übernehmen. Wie viel kostet den Steuerzahler dieses Abenteuer?

Milbradt: Von der Kreditlinie wurde bisher kein Cent in Anspruch genommen. Ob ein Schaden entstand, wissen wir erst Ende des Jahres, wenn die Bank bewertet ist.

SZ: Es wird immer behauptet, dass Sie der Architekt der Dublin-Geschäfte gewesen seien, welche die Bank nun in den Ruin getrieben haben.

Milbradt: Das stimmt nicht. Allerdings wurde die Bank-Tochter in Dublin noch in der Spätphase meiner Zeit als Finanzminister gegründet. Diesen Weg sind damals viele gegangen, um die internationalen Geschäfte aus steuerlichen Gründen über Irland abzuwickeln. Das Geschäft selber ist nicht zu beanstanden, es ist eine Konsequenz aus der Globalisierung. Doch es sind offenbar Maß und Kontrolle verloren gegangen. Die konkreten Geschäfte, über die wir hier reden, begannen in den Jahren 2003 und 2004 und wurden vor allem später erheblich aufgestockt.

SZ: Auf Summen über 45 Milliarden Euro. Ist da nicht zu leichtfertig jongliert worden?

Milbradt: In der Steuerung des Risikos und in seiner Höhe lag wahrscheinlich ein Problem. Das müssen wir jetzt genau klären und auch, welche Rolle der Faktor Mensch gespielt hat. Denn es ist nicht ganz nachvollziehbar, wenn der Finanzminister am 3. und am 8. August Briefe des Bankvorstandes bekommt, in denen es heißt, alles sei in Ordnung, und Tage später tut sich ein Milliardenloch auf. Nach dem Kreditwesengesetz trägt der Bankvorstand die operative Verantwortung.

SZ: Aber Sie hatten doch selbst einen Vertreter im Verwaltungsrat sitzen, den Chef Ihrer Staatskanzlei - ist dem nie etwas aufgefallen?

Milbradt: Es saßen auch Vertreter der Bundesbank und der Bankenaufsicht Bafin in dem Gremium, bei den Bilanzbesprechungen war die Wirtschaftsprüfungsgesellschaft stets mit mehreren Personen dabei. Teilweise haben Prüfungsausschüsse einen ganzen Tag lang getagt. Wir untersuchen, was dem Verwaltungsrat an Informationen gegeben wurde.


SZ: Ein erheblicher Teil der Gewinne kam aus diesen Geschäften, da hätte man doch stutzig werden müssen.

Milbradt: In der Zeit, als ich noch Finanzminister war, wurden durch Geschäfte außerhalb Sachsens die Verluste im Freistaat subventioniert, die etwa im Immobilienbereich oder im Firmenkundengeschäft entstanden waren.

SZ: Also wurde mit den Spekulationen indirekt der Aufbau Ost mitfinanziert?

Milbradt: Die Landesbank war wichtig für Industrieansiedlungen, Porsche wäre nicht nach Leipzig gekommen, wenn die Sachsen LB nicht vorher Grundstücke angekauft hätte. Es gibt eine ganze Reihe von Betrieben, die nur überleben konnten, weil die Landesbank ihnen geholfen hat. Aber man hat sich im Risiko des Aufbau Ost auch vertan. Nicht nur wir in Sachsen, die ganze Bankenwelt hat Riesenbeträge abgeschrieben und die mussten ja irgendwo anders erwirtschaftet werden.

SZ: Ein verdecktes Milliardengrab Ost, ausgerechnet im Musterland Sachsen: Da ist doch verständlich, dass Ihre Landesregierung bei den Soli-Zahlern in Ost und West jetzt in Misskredit ist.

Milbradt: Wir haben stets jeden Soli-Cent entsprechend den Bestimmungen verwendet. Vielleicht ist es das normale Schicksal des Klassenprimus: Wenn derjenige, der oben war, runterfällt, dann lachen alle. Das ist menschlich, aber das tröstet mich natürlich im Augenblick nicht.

SZ: Sitzt der Streber hier vor uns?

Milbradt: Unser Anspruch ist: Wir wollen überholen, wir wollen besser sein als die anderen, wir wollen es anders machen. Und da müssen wir auch das Risiko eingehen, dass mal was danebengeht. Sie müssen viel Geld in die Hand nehmen, ob nun bei der Ansiedlung der Automobil- oder der Chipindustrie. Und Sie wissen nicht, ob es sich auszahlt. Aber wenn Sie es nicht tun, bummeln Sie hinter den anderen her. Wo die Politik mutig ist, da liegt "Hosianna‘‘und "Kreuzigt ihn!‘‘ nah beieinander.

SZ: Wenn Sie aus heutiger Sicht zurückblicken, fällt Ihnen konkret ein, was falsch gemacht worden ist? Man denke an die Unmengen Fördermittel.

Milbradt: Ich habe mir oft sehr viel zupackendere Lösungen vorgestellt, weniger Staat, mehr Wettbewerb - das war nicht machbar. Trotzdem halte ich das Ergebnis für respektabel. Wenn Sie in die osteuropäischen Nachbarländer schauen, finden sie weit weniger funktionierende Strukturen, von der Polizei bis zur kommunalen Selbstverwaltung. Die enge Anlehnung an den Westen hat Ostdeutschland den Weg sehr erleichtert.

SZ: Umfragen zeigen einen Linksruck in Ostdeutschland, die Nostalgie wird stärker, zwei Drittel der Bewohner halten den Sozialismus für eine gute Idee, nur schlecht ausgeführt.

Milbradt: Nicht nur der Osten driftet nach links, das gibt es auch im Westen, was den Zustrom zur Linkspartei erklärt. Verunsichert durch die Globalisierung, suchen viele Menschen den Rückzug auf gesicherte Felder. Es geht dabei weniger um Sozialismus, es ist die Sehnsucht nach ,,Vater Staat‘‘. Die Menschen wollen nicht zurück zur SED, sie suchen Geborgenheit in einer unruhigen Welt.

SZ: In Sachsen ist die Linkspartei bei 30 Prozent, dreimal stärker als die SPD.

Milbradt: Darin steckt ein Teil unserer Koalitionsprobleme: Die SPD muss ständig überlegen, was sie tun kann, damit sie nicht auf Dauer bei zehn Prozent bleibt. Mit einem so kleinen Partner können wir eigentlich nicht von einer Großen Koalition reden. Es ist wohl ein Fehler der Aufbauzeit, dass es praktisch keinerlei intellektuelle Auseinandersetzung mit den alten DDR-Ideologien gegeben hat. Man dachte, das erledigt sich von selbst durch die wirtschaftliche Überlegenheit des Westens.

SZ: Die CDU in Sachsen steckt in einer schweren Krise, als Ihr möglicher Nachfolger wird Kanzleramtsminister de Maizière genannt, der Ihnen ja auch schon allerlei Ratschläge im Landesvorstand gegeben haben soll - fürchten Sie, aus dem Amt gefegt zu werden?

Milbradt: Wenn man in einer schwierigen Situation steckt, muss man den Willen haben, sie zu überwinden - sonst kann man als Partei abdanken, und als Mensch. Bürger erwarten zu Recht, dass die Dinge gelöst werden. Aber es ist natürlich die Frage, durch wen. Das muss jede Partei selbst entscheiden, und das werden wir tun.

SZ: Parteifreunde werfen Ihnen vor, Sie kommunizierten zu wenig.

Milbradt: Ich bestreite das. Zu Biedenkopfs Zeiten wurde weit weniger diskutiert. Ein Hauptproblem besteht darin, dass der Koalitionspartner einen Spagat machen muss zwischen den SPD-Mitgliedern, die diese Koalition nicht gewollt haben, und denen, die aus staatspolitischen Gründen dabei sind, weil es keine andere Konstellation gibt. Ich habe in den letzten Jahren viel heruntergeschluckt und Ruhe bewahrt.

SZ: Sie gelten als Stehaufmännchen. Wann wird der Befreiungsschlag, die Kabinettsumbildung, kommen?

Milbradt: Ich bin eher standfest. Ich kann einen kühlen Kopf bewahren. Und mit etwas Ruhe und Bedacht trifft man bessere Entscheidungen als bei Hauruck-Aktionen. Die Kabinettsumbildung wird rechtzeitig stattfinden, aber ich werde unseren Parteitag nicht mit der Frage belasten, wer was geworden ist und wer nicht.

SZ: Beim Landesparteitag am 15. September stellen Sie sich als Landesvorsitzender zur Wiederwahl. Zuletzt haben Sie nur 76,9 Prozent bekommen - gibt es diesmal eine Schmerzgrenze?

Milbradt: Diese Diskussion werde ich mit Ihnen nicht führen.

SZ: Wir erbitten nur eine Antwort.

Milbradt: Ich sage nichts, denn alles, was ich sage, könnte gegen mich verwendet werden.

SZ: Wollen Sie als Politiker nur geachtet oder sogar auch geliebt werden?

Milbradt: Mir reicht es, wenn ich respektiert oder geachtet werde.

SZ: Aber der Respekt soll so groß sein, dass Sie 2009 vom Volk noch einmal als Ministerpräsident bestätigt werden?

Milbradt: Ja, das wäre gut. Aber mir geht es nicht um Macht oder Positionen, mir geht es darum, Sachsen zum moderneren Teil Deutschlands zu machen.

Von Hans Werner Kilz, Christiane Kohl