Karl Nolle, MdL

Junge Welt, Inland / Seite 8, 08.09.2007

Nolle: »Neuwahlen sind ein ungeeignetes Instrument« - Sachsens Koalition ist zwar am Ende, aber der SPD fehlt immer noch ein Tropfen, der das Faß zum Überlaufen bringt.

Ein Gespräch mit Karl Nolle, MdL, Abgeordneter der SPD im Sächsischen Landtag
 
In Sachsen jagt ein Skandal den nächsten. Das gibt es die im Freistaat aktiven kriminellen Netzwerke, kürzlich kam es zum Notverkauf der sächsischen Landesbank. Wie regierungsfähig ist die CDU-SPD-Koalition noch?

Die Regierung ist in einer Krise. Dies ist ausschließlich eine schwere Vertrauens- und Kompetenzkrise der CDU Sachsen. Die Christdemokraten erleben in zwei ihrer wichtigsten Politikfelder, nämlich der Innen- und Sicherheitspolitik und der Finanzpolitik, ein Desaster, das größer nicht sein kann.

Sehen Sie überhaupt eine Möglichkeit, daß die Koalition unter Ministerpräsident Georg Milbradt noch bis zum Ende der Legislaturperiode 2009 regiert?

Seine sichtbare Mentalität, immer in Krisensituationen toter Käfer zu spielen, ist verbunden mit Kommunika­tionsversagen und dilletantischem Krisenmanagement. Das sollte den Klugen in der Partei den Mut geben, ihm die Rote Karte zu zeigen. Dieser Mann leidet doch unter pathologischem Realitätsverlust. Von ihm ist kein Millimeter Selbstkritik zu hören, geschweige denn auch nur ein Hauch von christlicher Demut. Er kann für die CDU keine Mehrheiten mehr organisieren. Die Partei muß eine Entscheidung treffen. Im übrigen sind Koalitionen Vereinbarungen zwischen Parteien und nicht zwischen Personen.

Glauben Sie, daß die Aktivitäten der kriminellen Netzwerke, in denen hochrangige Politiker und Beamte aus Justiz und Polizei aktiv sein sollen, unter ihm aufgeklärt werden können?

Es gibt das für jedermann sichtbare Bemühen, statt aufzuklären zu vernebeln und zu vertuschen. Die CDU ist hier jedoch klar in der Verantwortung. Diese Partei hat in den vergangenen 15 Jahren eine katastrophale Personalpolitik im Bereich der Sicherheits- und Ordnungspolitik sowie der Justiz betrieben. Alleine seit 1990 hatten wir sechs Innenminister in Sachsen. Nun droht aufgrund der Skandale rund um die kriminellen Netzwerke auch der Rücktritt von Innenminister Albrecht Buttolo (CDU). Seit 1990 betreibt die Sachsen-CDU eine Art Inzucht-Personal-Politik – mit allen Folgen der Inzucht. Man hat die Leute nicht danach ausgesucht, was sie können, sondern wie parteitreu sie sind. Von Ausnahmen abgesehen, hat man nur die Flaschen im Kasten hin und her sortiert.

Und welche Fehler hat Ihre Partei in der Regierungskoalition gemacht?

Wenn die SPD überhaupt einen Fehler gemacht hat, dann besteht dieser in ihrer Gutmütigkeit, Blauäugigkeit und in zumindest teilweise vorhandener Naivität. Und sie hat sich, wie die CDU, durch den vordemokratischen Gutsherrenstil von Mibradt einschüchtern lassen. Sie hat auf Zeit gesetzt und gehofft, daß die CDU kooperationsbereiter wird. Davon ist aber aus meiner Sicht aktuell nicht mehr auszugehen.

Die Linkspartei hat wiederholt vorgezogene Neuwahlen gefordert ...

Neuwahlen sind ein völlig ungeeignetes Instrument, weil überhaupt nicht absehbar ist, daß sich an den vorhandenen Mehrheitsverhältnissen etwas positiv ändern würde. Möglicherweise wäre dann nur noch eine Koalition möglich, die aus drei Parteien bestehen müßte. Wie das konkret aussehen sollte, ist mir völlig schleierhaft.

Was muß noch passieren, damit die SPD die Koalition aufkündigt?

Unser Fraktionsvorsitzender Cornelius Weiss sagte, es fehlt noch ein Tropfen, der das Faß zum Überlaufen bringt. Das glaube ich auch. Zumindest, wenn man klare Prinzipen und feste Kriterien hat. Wenn man seinen Maßstab jedoch immer wieder beliebig verändert, wird ein Ausstieg als bewußte politische Entscheidung unter keinen Umständen stattfinden. Letzten Endes entscheiden dies jedoch die Gremien unserer Partei.

Wann treten Sie der Linksfrak­tion bei?

Ich glaube, daß ich der Sache des demokratischen Sozialismus, für den ich fast fünfzig Jahre in der SPD kämpfe, dort besser dienen kann als in der Linkspartei. Für mich ist noch nicht ausgemacht, ob es schneller geht, die SPD wieder sozialdemokratisch zu machen oder den SED-Nachfolger zu demokratisieren. Mit deren WOBA-Verkäufern und dem Jugendwahn kann ich nichts anfangen. Außerdem: Man wechselt nicht die Partei wie ein Hemd. Ich wünsche meiner Partei mehr Sozialdemokraten und weniger SPD-Mitglieder.
(Karl Nolle ist Abgeordneter der SPD im Sächsischen Landtag)