Karl Nolle, MdL

Sächsische Zeitung, 13.09.2007

„Eine regelrechte Hexenjagd“

Henning Drecoll, Leiter der Staatsanwaltschaft in Dresden, zur sogenannten Korruptionsaffäre.
 
Herr Drecoll, Sie leiten die Ermittlungen bei der Staatsanwaltschaft Dresden in der sogenannten Korruptionsaffäre. Gehen Sie dennoch im Herbst wie geplant in den Ruhestand?

Ja, der 28. September ist definitiv mein letzter Arbeitstag. Ich bedaure sehr, die Ermittlungen nicht fortsetzen zu können, weil ich die Altersgrenze erreicht habe und deshalb pensioniert werde.

Können Sie schon Zwischenergebnisse vorweisen?

Das Landesamt für Verfassungsschutz hat uns inzwischen – von einem Fallkomplex abgesehen – alle Akten zur Verfügung gestellt. Ich habe neun exzellente Staatsanwälte ausgewählt, von denen sich einige ausschließlich um diese Sache kümmern. Wir vernehmen fast jeden Tag wichtige Zeugen aus ganz Deutschland, einige Verhöre dauerten sechs Stunden! Wir gehen jeder Spur nach, die man in den Unterlagen finden kann und sind bereits tief in das Thema eingestiegen. Aber je tiefer wir graben, desto mehr heiße Luft kommt heraus, die völlig unbescholtene Bürger verbrennt – darunter auch untadelige Mitarbeiter der Justiz. Deren Ruf ist auf Jahre beschädigt, immerhin geht es um angebliche Kontakte zum Rotlichtmilieu. Wir haben es mit einer regelrechten Hexenjagd gegen Justizangehörige zu tun und das ist es, was mich erschreckt.

Was heißt das für das Ermittlungsergebnis?

Nach bisherigem Kenntnisstand gibt es in Sachsen kein Korruptionsnetzwerk. Ich kann nicht ausschließen, dass am Ende das eine oder andere Verfahren einem Gericht präsentiert wird. Aber eine Korruptionsaffäre größeren Ausmaßes gibt es beim derzeitigen Ermittlungsstand nicht! Die Affäre, mit der wir es zu tun haben, handelt vielmehr von den Personen, die im Landesamt für den Inhalt der Verfassungsschutzakten verantwortlich waren. Inzwischen wissen wir sogar, dass eine Quelle des Verfassungsschutzes es teilweise bestreitet, die in den Akten zitierten Angaben überhaupt gemacht zu haben.

Wenn die Akten so harmlos sind, könnte der Untersuchungsausschuss des Landtags doch Kopien davon erhalten?

Nein, die Untersuchung, die wir führen, ist immer noch schützenswert. Es gibt noch erheblichen Aufklärungsbedarf. Das, was wir bislang festgestellt haben, können wir zum gegenwärtigen Zeitpunkt immer noch nicht herausgeben. Die Erfahrung zeigt, dass aus Akten, die den engeren Bereich der Justiz verlassen, häufig vieles nach außen dringt.

Wann können wir mit dem Abschluss rechnen?

Eine Schlüsselfigur im Landesamt für Verfassungsschutz ist derzeit nicht vernehmungsfähig. Daher kann ich keinen Termin nennen.

Wenn Ihre Ermittlungen im Sande verlaufen, werden viele denken, Sie arbeiten am Gängelband der Regierung.

Solche unverantwortlichen Äußerungen beschädigen das Ansehen der Justiz, die eine wesentliche Säule des freiheitlich-demokratischen Rechtsstaates ist. Ich weise die Behauptung entschieden zurück, dass wir die Existenz von Politikern vernichten, die nicht der CDU angehören. Wenn ich so etwas höre, kommt mir die Galle hoch! Im Fall des Dresdner Oberbürgermeisters Roßberg kann ich nur sagen: nicht wir, sondern das Landgericht Dresden hat den Mann verurteilt, weil es überwiegend unserer Einschätzung gefolgt ist. Wir untersuchen alle Strafanzeigen und sonstigen Hinweise akribisch und unabhängig vom etwaigen Parteibuch und und klagen an, wenn wir ausreichend Beweise haben. Einflussnahmen oder Gängeleien hat es nicht gegeben. Einigen Oppositionspolitikern habe ich das auch schon direkt ins Gesicht gesagt und darauf hingewiesen, dass ich meine Karriere schon hinter mir habe. Aber ich habe meine Zweifel, ob sie das überhaupt wahrhaben wollen.

Gespräch: Karin Schlottmann