Karl Nolle, MdL

Sächsische Zeitung, 17.09.2007

Abgestraft in der Manege der Partei

Regierungschef Georg Milbradt ist erneut zum CDU-Landeschef gewählt worden – aber nur mit schweren Blessuren.
 
Der Tag der Entscheidung beginnt für Georg Milbradt in einem Hotel in Rossau; angeblich mit einem schwarzen Tee und einem Stück Schwarzbrot. Wenig später fährt Sachsens Ministerpräsident die wenigen Kilometer hinüber nach Mittweida. Zur Sporthalle neben dem kleinen Stadion, das mit der schönen Adresse „Am Schwanenteich“. Der Gummi-Boden quietscht leicht unter seinen Schritten, als er die Halle betritt. „Mit uns baut Sachsen Zukunft“, heißt es auf zwei riesigen Plakatwänden links und rechts des grün-weißen Podiums. Im Halbdunkel warten eimerweise Blumen; darunter ein großer gelber Strauß, den der Regierungschef sich an diesem Tag erst noch verdienen muss auf dem Spielfeld seiner Parteikritiker.

Milbradt hört die Worte eines Paters, der in einer kleinen Andacht von Demut in der Politik spricht. Kurz danach sitzt der 62-Jährige immer noch in der ersten Reihe, mit dem Rücken zu den 238 Delegierten, die ein Gong gegen zehn Uhr hereingeholt hat. Milbradt geht noch einmal seine Rede durch. Er weiß, dass es heute darauf ankommt. Dass mehr als sonst von ihm erwartet wird. Und er selbst will es noch mal wissen; sein mieses Ergebnis von vor zwei Jahren verbessern – damals erhielt er nur knapp 77 Prozent. Milbradt wirkt ruhig. Er sitzt an seinem Platz in der ersten Reihe und legt die 26Seiten seines Manuskriptes sorgfältig auf Kante. Zeile für Zeile geht er durch, ungerührt von den ihn umlagernden Kameras; als säße er in einer anderen Welt. Die Lippen bewegen sich stumm, nur der Kopf wiegt ein wenig die geplanten Betonungen mit; und er übt auch noch mal das Lächeln an den richtigen Stellen des Textes. Schräg über ihm hängt der hochgeklappte Basketball-Korb der Sporthalle von Mittweida.

Rede mit Problemfällen

Er muss punkten mit dieser Rede, das weiß Milbradt. Mit einer Rede ohne die gewohnt vielen Zahlen, dafür mit mehr Emotion. Doch sie beginnt mit einer Aufzählung der Probleme, die Sachsens Regierung seit Monaten von einer Krise in die andere stürzen. Die Verfassungsschutz-Affäre, die Landesbank-Krise, die Gewalttaten von Mügeln – sie alle sind für Milbradt nicht das Problem. Für ihn ist die „Kluft zwischen der Realität und der öffentlichen Stimmung zu groß“ – das stört ihn. Eine „Phantom-Affäre“ nennt er die Verfassungsschutz-Affäre. „Heiße Luft.“ Und die Landesbank? Ein „ordentliches Ergebnis“ sei der Notverkauf gewesen. Die Risiken seien „überschaubar“. Kein Grund zur Beunruhigung, lautet sein Fazit. Er liest diese Sätze ab, wie fast die ganze Rede; mit beiden Händen festgeklammert an das Rednerpult.

„Verkauf und Kommunikation müssen verbessert werden – und das ist auch meine Aufgabe“, sagt er einem der wenigen selbstkritischen Sätze in seiner einstündigen Rede; und er verspricht, die Regierungsmannschaft neu aufzustellen. Alle schauten auf ihn, das wisse er. „Aber ich bin nicht allein in der Manege. Es geht um uns alle, nicht nur um mich.“ Dann appelliert er an die Partei: „Wenn es um das Ganze geht, dann ist die sächsische Union eine starke Mannschaft.“ Und: „Wir dürfen es nicht zum Bruch kommen lassen.“

„Eine tolle Rede“, klopft ihm der Gastredner, Bundesinnenminister Wolfgang Schäuble (CDU), verbal auf die Schulter. Da ist der dünne Applaus, der nach einer halben Minute in mühsam-gequälte stehende Ovationen mündet, schon fast wieder verebbt. Milbradt sackt kurz darauf erschöpft in sich zusammen. Die erste Anspannung ist gewichen. Der Blick geht ins Leere, auch wenn er fragend durch den Raum zu schweifen scheint: Reicht das?

Es ist die Zeit, als die Delegierten der Duft warmer Würstchen, von Soljanka und ungarischem Gulasch mehr lockt als weitere Worte. Dutzende wandern ab in den Vorraum, als hätten sie sich im Stillen zuvor verabredet. „Keine große Rede“, murmelt einer. „Ist halt unser Landesvater“, antwortet ein anderer.

Derweil beschwört Fritz Hähle, Chef der CDU-Landtagsfraktion, seine Parteifreunde, mit der Wahl Milbradts ein Zeichen der Geschlossenheit zu setzen. „Wir haben heute eine gute Gelegenheit, unsere Gegner zu enttäuschen.“ Und dann entschuldigt er sich halb: „Wenn man immer das Bestmögliche erreichen will für das Land, kann man dabei auch Fehler machen.“ Hähle bittet die zum Essen eilenden Parteifreunde fast flehentlich um ihr Kreuzchen an der richtigen Stelle – um Gnade für Milbradt.

Durch den Saal jagen Spekulationen, Wetten, düstere Prognosen. Von sechzig bis über achtzig Prozent reichen die Werte. Alles erscheint möglich. Nur eines fehlt in der Sporthalle von Mittweida: ein Hauch von Revolution. Umstürze sehen anders aus. Und ihre Vollstrecker essen auch selten vergnügt Streuselkuchen, bevor sie ihre Spitzenleute ins Aus stürzen.

Es gibt einen Tagesordnungspunkt mit dem Titel „Aussprache“. Aber es gibt nur drei Wortmeldungen. Alle mahnen zur Geschlossenheit, zur Parteiräson; dazu, weiteren Schaden von der Partei abzuwenden. Keine Kritik an Milbradt. Kein Wort.

Der Regierungschef konferiert derweil in einem Hinterzimmer. Plötzlich eilt er in den Saal zurück. Er setzt sich zu den Delegierten seines Wahlkreises Kamenz-Hoyerswerda, legt die Hände ineinander verschränkt vor sich auf den Tisch, wie ineinander verkrallt. Die Finger drückt er so fest, dass die Haut sich rot färbt. Kurz zuvor hat ihm jemand sein Wahlergebnis ins Ohr geflüstert. Damit er die Fassung leichter bewahren kann, wenn es kurz darauf verkündet wird. 73,8 Prozent, noch drei Prozent weniger als vor zwei Jahren. Milbradts Gesicht wird hart, wie versteinert. Er kann oder will die Enttäuschung nicht verbergen. Kameras und Fotografen umlagern ihn. Da sitzt der Verlierer trotz Wahlsieg wieder mitten im Blitzlichtgewitter. Als er fürs Protokoll gefragt wird, ob er die Wahl annehme, hastet Milbradt ans Rednerpult. Ja, er nehme an. Und er bedanke sich bei den 73,8 Prozent, die ihn gewählt hätten, für ihr Vertrauen. „Wir werden uns anstrengen“, verspricht er. „Ich bin fest überzeugt, dass wir aus dieser schwierigen Situation wieder herauskommen.“ Ende. Abgang. Etwas tröstender Applaus. Wortkarg und mürrisch kommentiert Milbradt den Denkzettel, vielleicht den letzten, den ihm seine Partei gerade verpasst hat. Ein „durchwachsenes Ergebnis“, murmelt er.

Kultusminister Steffen Flath, der Dauer-Kronprinz wider Willen, und Kanzleramtsminister Thomas de Maiziere bemühen sich am Spielfeld-Rand um Schadensbegrenzung. De Maiziere steht wie ein Gewinner im Scheinwerfer-Licht der Kameras. „Das ist ein ehrliches, ein gutes Ergebnis für einen Neuantritt der Partei“, sagt er. Und zu seinen Ambitionen in Sachsen: „Ich bin und bleibe, was ich bin.“

Davon geht auch Georg Milbradt aus. Eine halbe Stunde später spricht er schon von einem „zufriedenstellenden Ergebnis“. Gelassen steckt er ein gelbes Bonbon, das er wegen eines Fernsehinterviews aus dem Mund genommen und auf seiner roten Abstimmungskarte zwischengeparkt hat, wieder in den Mund. Ob er heute Abend trotz allem noch ein wenig feiern werde, wird er schon halb im Gehen gefragt. „Nein“, lächelt er müde. „Ich muss ja irgendwann auch mal nach Hause. Und wissen Sie, meine Frau, die macht sich sowieso nicht viel aus all dem hier.“
Von Annette Binninger