Karl Nolle, MdL

Freitag - Die Ost-West- Wochenzeitung, 28.09.2007

Beim Glasauge des Propheten

Rating-Agenturen - Die heimlichen Herren der Finanzmärkte stehen zur Zeit im Hemd da
 
Bei jeder großen Finanzkrise gibt es weit mehr Verlierer als Gewinner. In welche Kategorie fallen bei den derzeitigen Eruptionen die Rating-Agenturen, eine Weltmacht auf den internationalen Geldmärkten? Kein Wertpapier, schon gar kein Derivat floatet ohne Gütesiegel einer Rating-Agentur. Kein Schuldner, keine Regierung, keine Bank, kein Investmentfonds, niemand, der auf den Finanzmärkten verkaufen will, kommt ohne ein solches Zertifikat aus.

Rating-Agenturen leben von der Unübersichtlichkeit des Geschäfts. Wo fiktive Waren gehandelt werden, deren "Werte" fiktiv sind, hungern alle nach dem verlässlichen, "objektiven" Urteil, das es freilich nie gibt. Keiner kann das Spiel der Märkte vorhersagen, bestenfalls Prophezeiungen abgeben. Wer auf dem Markt über den Markt spricht, beeinflusst sofort den Markt - in der Regel im eigenen Interesse. Akteure spielen gegeneinander, ohne einander zu kennen. Einander beobachtend, rennen, flüchten sie immer wieder in die gleiche Richtung wie eine aufgeschreckte Schafherde - die "madness of crowds" ist ein seit Jahrhunderten bekanntes Bild für das Verhalten von Investoren und Spekulanten. In dieser Welt des unvermeidlichen Risikos bauen die Spieler auf die vermeintliche Weisheit einiger Markt-Auguren. Rating-Agenturen sind die Hohepriester in diesem Geschäft.

Die großen Drei

Ohne Rating-Agenturen, die jahrelang und praktisch bis zum Platzen der Immobilien-Blase Höchstnoten verteilten, wären die verbrieften Schuldpapiere, die synthetischen "strukturierten" Anleihepapiere (hinter denen oft genug faule Kredite steckten) nie zum Spekulationsobjekt für jedermann in der Finanzwelt geworden. Ohne Zertifikat der Agenturen hätten sich Hedgefonds nicht weltweit auf diese hoch riskanten Papiere gestürzt.

Wer hier Etikettenschwindel betrieben hat, lässt sich leicht ausmachen. Der Markt wird von drei Giganten beherrscht: den US-Firmen Standard & Poor´s und Moody´s sowie der französisch-britischen Agentur Fitch. Die "großen Drei" der Branche teilen 95 Prozent des Marktes unter sich auf. Kein Metier ist für alle drei in den vergangenen Jahren so rasant gewachsen wie die Begutachtung von Kreditderivaten.

Moody´s, seit 1900 im Geschäft, unterhält heute Büros in 18 Ländern und beschäftigt mehr als 2.100 Spezialisten in Korea, Indien, China, Russland und Lateinamerika. Standard & Poor´s, die älteste Firma unter den großen Drei, verfügt gleichfalls über Dependancen auf allen wichtigen Finanzplätzen der Erde und beschäftigt über 1.200 hochkarätige Analysten, darunter einige der führenden Finanzökonomen. Fitch hat sich zu einem multinationalen Konglomerat gemausert, weil etliche Ratings in Europa und Nordamerika übernommen wurden. Heute ist Fitch in 75 Ländern präsent, betreibt ein Hauptquartier in London und eines in New York, dazu 40 ständige Büros.

Die großen Drei bewerten ständig die Bonität Tausender Unternehmen, darunter Banken, Versicherungen und Investmentfonds, stellen laufend Noten für Zehntausende von Wertpapieren aus - darunter Anleihen, Aktien, Staatspapiere, alle möglichen Derivate und "strukturierten Finanzprodukte" überall auf der Welt. Ein Milliardengeschäft, denn das Rating bestimmt, wie gut ein Wertpapier auf den Finanzmärkten ankommt. Banken und Investmentfonds, die Wertpapiere verkaufen wollen, klappern die Agenturen ab und benutzen die jeweiligen Bestnoten (AAA), um für ihre "Finanzprodukte" zu werben. Die Agenturen lassen sich dafür fürstlich bezahlen - die Tarife beginnen bei 25.000 US-Dollar pro Rating, je komplizierter das Wertpapier, je undurchsichtiger die Risiken, desto höher das Honorar. Bei den "strukturierten" Kreditderivaten, die gerade allerorten kollabieren, sind die Gebühren (und die Gewinne) der Agenturen extrem hoch.

Die Rating-Agenturen haben glänzende Geschäfte gemacht, aber die Finanzkrise, die sie durch ein fahrlässiges bis abenteuerliches Ranking für höchst dubiose Papiere mit verursacht haben, trifft auch sie. Erst in der zweiten Julihälfte, als die Finanzkrise nicht mehr zu übersehen war, bequemten sie sich, ihr Votum für die riskantesten hypothekenbesicherten Derivate nach unten zu korrigieren. Dann aber so drastisch, dass die Aktien der Hedgefonds und Banken, die ihr Geld in diese Papiere gesteckt hatten, sofort einbrachen. Die Folgen für die Anleger, von denen die meisten gar nicht wussten, wie ihr Geld aufs Spiel gesetzt wurde, waren verheerend.

Oft kalt getroffen

Diesmal ist sogar die hohe Politik erzürnt über die Hohepriester der Szene. In den USA haben die oberste Börsenaufsicht SEC (Securities and Exchange Commission) sowie die Generalstaatsanwälte der Staaten Ohio und New York (wo etliche große Pensionsfonds eine Menge Geld verloren haben) offizielle Untersuchungen eingeleitet. Die EU-Kommission ist ungehalten, der EU-Binnenmarktkommissar droht mit "Konsequenzen", Präsident Sarkozy will die Arbeitsweise der Agenturen unter die Lupe nehmen, Gemütsmensch Kurt Beck erinnert daran, schon 2004 deren "Diktatur" angeprangert zu haben - europäische Aufsichtsbehörden arbeiten an einem neuen Regelwerk für die Finanzmärkte.

Investoren und Banker, die sich jetzt verzweifelt fragen, auf wen sie ihre Milliardenverluste abwälzen sollen, und wie in jeder Krise sofort nach dem Staat rufen, der ihre Verluste gefälligst zu Lasten der Steuerzahler sozialisieren soll, hätten wissen können, wem sie blind vertrauten. Es ist unbestreitbar, dass die Rating-Agenturen in keiner einzigen Finanzkrise der vergangenen 25 Jahre jemals ihr Ranking rechtzeitig korrigiert haben. Wenn sie es taten, war die Krise in der Regel bereits ausgebrochen und eine verspätete Aktion nur dazu angetan, einen Kursverfall zu beschleunigen sowie die Panik der Anleger anzuheizen. Als Mexiko 1994 vor der Zahlungsunfähigkeit stand, wurden sie ebenso kalt erwischte wie bei der Asienkrise von 1997. Die Rating-Agenturen reagierten erst, als der Finanzkollaps bereits die Wirtschaft ganz Südostasien erfasst hatte. Gleiches widerfuhr ihnen bei der Russland- und Brasilienkrise von 1998. Drei Jahre später, beim spektakulären Fall des Energiekonzerns Enron, immerhin das zehntgrößte US-Unternehmen, hatten Standard & Poor´s und Moody´s trotz offenkundiger Bilanzfälschungen Enron jahrelang als Schuldner erster Güte taxiert. Noch vier Tage, bevor der Konzern seine Insolvenz erklärte, bescheinigten ihm beide Agenturen eine "vorzügliche Bonität" (ähnlich bei Worldcom und Parmalat). In keinem dieser Fälle lichteten die Auguren das undurchdringliche Dickicht der Märkte - trotz ihrer vermeintlichen Objektivität, trotz der "mathematischen Methoden" und analytischen Kompetenz, die stets als Markenzeichen gepriesen wurden.

Geschäft ohne Haftung

Ein Grund des Versagens ist ohne Zweifel fehlende Unabhängigkeit. Die Agenturen werden von den Unternehmen bezahlt, die - beziehungsweise deren Produkte - zu sondieren sind. In der Regel handeln die Analysten, die ein Urteil fällen, mit den Kunden das Honorar aus. Es gilt als ungeschriebenes Gesetz: Banken und Investmentfonds lassen sich eine gute Note etwas kosten. Gewiss, die Agenturen leben von ihrer Reputation, aber die beruht auch darauf, dass sie Auftraggeber zufrieden stellen, die mit den benoteten Wertpapieren Geschäfte machen wollen.

Vor über 100 Jahren, in den Anfängen des Rating-Geschäfts, waren es die Investoren, die dafür bezahlten. Heute sind es die Emittenten - Investmentbanken und -fonds -, die Wertpapiere auf dem Markt platzieren wollen. Dabei sind die vermeintlich unabhängigen Prüfer oft direkt an der Konstruktion der "Finanzprodukte" ihrer Klienten beteiligt, vor allem dann, wenn es um "strukturierte", verbriefte und vielfältig besicherte Schuldpapiere und Anleihen geht. Also lässt sich eine Investmentbank von den Spezialisten der Agenturen eine Bündelung und Verpackung ihres Produkts entwerfen und das so konstruierte Wertpapier danach von denselben Spezialisten für gutes Geld benoten.

Ein Schelm, der Böses dabei denkt. Der gar meint, hier könne eine Situation eintreten, in der sich Rating-Agenturen unweigerlich auf die Seite ihrer Auftraggeber schlagen - zu Lasten derjenigen, die in gutem Glauben an das objektive Urteil der Prüfer diese "Finanzprodukte" kaufen. Eine Haftung übernehmen die Agenturen selbstverständlich nicht.
Klaas Anders