Karl Nolle, MdL

Sächsische Zeitung, 02.10.2007

Der endlose Kampf ums Examen

Seit vielen Jahren streitet sich Peter Bohnenberger mit dem Freistaat Sachsen darum, seine zweite Staatsprüfung in Jura machen zu dürfen.
 
Jurastudent Peter Bohnenberger war 1989 nicht gerade Jahrgangsbester in der Juristischen Fakultät der Universität Tübingen. Zweimal vergeigte er seine erste Staatsprüfung. Normalerweise ist so etwas das Aus für einen Studenten der Rechtswissenschaften.

Aber Paragrafen deuten, das konnte der heute 47-Jährige schon damals bestens. So entdeckte er im Sommer 1990 im deutsch-deutschen Einigungsvertrag seine dritte Chance. Sie lag im so genannten Beitrittsgebiet, der untergehenden DDR, an der Friedrich-Schiller-Universität Jena. Dort studierte Bohnenberger im vierten Studienjahr weiter und bestand im Juni 1993 die Prüfung zum Diplomjuristen–nach westdeutschem Recht und bei westdeutschen Professoren. Der Einigungsvertrag stellt diese Prüfung dem ersten Jura-Staatsexamen gleich, wenn der Student am 31. August 1990 an einer Uni der damals noch existenten DDR immatrikuliert war. Exakt unter diesem Datum ist Bohnenberger in Jena eingeschrieben.

Doch wegen dieser Immatrikulation liegt er bis heute im Zwist mit den Behörden. Der Freistaat Sachsen, der den gebürtigen Wiesbadener als Referendar übernommen hatte, erkennt sie bis heute nicht an. Bohnenberger verweist auf gültige Bescheide und Urkunden der Uni Jena, die sein Studium und sein Diplom belegen. Als Diplomjurist arbeitet Bohnenberger all die Jahre in Anwaltskanzleien und als juristischer Berater für Unternehmen. Längst lebt er wieder in Tübingen, hat Familie und sein Auskommen. Doch er will unbedingt Rechtsanwalt werden und lässt mehr als zehn Jahre lang nichts unversucht, um zum zweiten Staatsexamen zu kommen–die Voraussetzung zum Einstieg in die Anwaltstätigkeit. Hartnäckig streitet Bohnenberger vor den Verwaltungsgerichten gegen das Oberlandesgericht und das Justizministerium. Sie sind für die Ausbildung und Prüfung der Referendare zuständig.

Freispruch nach Ermittlungen

Im Januar 1994 war der Referendar Bohnenberger in Sachsen bereits Beamter auf Widerruf und bereitete sich auf das zweite Staatsexamen vor, als bekannt wurde, dass auch fünf andere Jurastudenten aus dem Westen auf dem gleichen Wege in Jena ihr Diplom erlangt hatten. Doch stellte sich heraus, dass die fünf die Vorschrift im Einigungsvertrag missbraucht hatten.

Nun wuchs auch in Sachsen das Misstrauen gegen den Referendar Bohnenberger. Ausführlich verlangte Sachsen im benachbarten Thüringen Auskunft über Bohnenbergers Studium in Jena. Die Justizverwaltung erfuhr, dass seine Immatrikulation rückdatiert worden war. Allerdings war das eine Entscheidung der dortigen Fakultätsleitung, wie heute unstrittig feststeht. Der Referendar hatte nicht gelogen oder getäuscht. Seine beiden Durchfaller in Tübingen waren in Jena bekannt gewesen.

Dennoch versuchte die Justizverwaltung, ihn wieder loszuwerden und scheute dabei auch vor Rechtsverstößen nicht zurück, wie Sachsens Datenschutzbeauftragter später feststellen sollte. Bohnenberger erhielt seinen ersten Entlassungsbescheid. Den kassierte aber der Vizepräsident des Oberlandesgerichts schnell, denn der Rauswurf war offensichtlich unbegründet.

So durfte Bohnenberger zum zweiten Staatsexamen antreten, wurde aber vom Pech verfolgt. Wegen einer Wirbelsäulenerkrankung musste er dreimal operiert werden. Stehend schrieb er im Mai 1996 seine ersten Klausuren, musste aber die vierte schließlich abbrechen, weil eine Narbe infiziert war. Ein Jahr später solle er die zweite Staatsprüfung wiederholen, wurde vereinbart. Doch wenige Wochen später zogen die Prüfer diese Zulassung zurück. Außerdem erhielt der Referendar seinen zweiten Entlassungsbescheid. Begründung: Nunmehr sei bekannt geworden, dass er gar kein erstes Staatsexamen besitze. „Man wollte mich loswerden, mit allen erlaubten und unerlaubten Mitteln“, sagt Bohnenberger.

„Wider besseren Wissens wurde ich sogar kriminalisiert.“ Die Justizverwaltung erstattete Strafanzeige und warf ihm Anstellungsbetrug vor. Es gab Hausdurchsuchungen. Sechs Jahre zogen sich die Ermittlungen hin und endeten mit Freisprüchen, erst am Amts-, später auch am Landgericht. Die Anklage brach jedes Mal zusammen.

Hilfe vom Datenschutz

Verwaltungsgerichte sahen den Fall zur gleichen Zeit jedoch anders. Sie wiesen Bohnenbergers Klagen gegen die Entlassung aus dem Staatsdienst und auf Zulassung zum zweiten Staatsexamen ab. „Weil meine Akte manipuliert wurde und den Richtern wichtige Teile vorenthalten wurden“, behauptet Bohnenberger. Wie sich zeigen sollte, lagen dem Gericht tatsächlich nicht alle Teile der Referendarsakte vor.

Das fand Peter Bohnenberger heraus, als er 2001 seine Personalakte einsah. Hilfe suchend wandte er sich an Thomas Giesen, den damaligen Datenschutzbeauftragten. Der stellte nach eingehender Prüfung „schwere Datenschutzrechtsverstöße“ fest, die von „juristisch gut vorgebildeten Bediensteten“ begangen und genutzt worden seien, um Bohnenberger entlassen zu können. So heißt es im 12. Datenschutzbericht.

Auf über 50 Seiten hatte der Datenschutz bis Oktober 2005 zahlreiche Rechtsverstöße erfasst und sogar eine Strafanzeige formuliert. Der Vorwurf: Versuchter Betrug und Falschbeurkundung. Der beschuldigte Beamte, ein für Bohnenbergers Akte zuständiger Richter, habe unter anderem vor Gerichten falsche Angaben gemacht, so der Verdacht. Doch die Strafanzeige wurde nicht bei der Staatsanwaltschaft eingereicht.

Vier Jahre dauerte die Kontrolle der Datenschützer. Mittlerweile hat Andreas Schurig die Nachfolge von Thomas Giesen angetreten. Beide hatten anfangs „die Hoffnung“, dass die berufliche Beeinträchtigung Bohnenbergers noch „beseitigt werden kann“. Er habe alles versucht, um einen Kompromiss zustande zu bringen, sagt Schurig. „Es war vergebens.“

Doch Schurigs Vorwürfe sind heute weniger heftig, als die seines Vorgängers. Er könne nicht alle ursprünglich erhobenen Vorwürfe mittragen, sagt Schurig. Zum Beispiel teilt er nicht die Vermutung, dass sich ein Netzwerk hoher Bediensteter gegen den Referendar verschworen hat, um ihn aus dem Justizdienst zu entfernen. Dennoch sagt auch Andreas Schurig über Bohnenberger: „Dem Mann ist Unrecht widerfahren.“ Deshalb beanstandete er vor einigen Wochen die Ausforschung Bohnenbergers in Thüringen, die falschen Angaben vor Gericht und das Vorenthalten von Aktenteilen. Damit warf Schurig dem Oberlandesgericht und dem Justizministerium–zwei der höchsten Instanzen des Rechts im Freistaat–Verstöße gegen den Datenschutz vor.

Alles wegen der Rückdatierung

Auf Nachfragen zum „Fall Bohnenberger“ atmen die Pressesprecher in den betroffenen Dresdner Behörden tief durch. Das Justizministerium räumt ein, dass vor zwölf Jahren gegen den Datenschutz verstoßen wurde, als man sich in Thüringen über Bohnenberger erkundigte. Es sei aber sichergestellt, dass sich so etwas nicht wiederholen könne. Anderen Beanstandungen widerspricht das Ministerium. Sprecher Martin Marx weist die Behauptung zurück, man habe versucht, den Referendar loszuwerden. Im Ministerium werde auch nicht die Ansicht vertreten, Bohnenberger habe sich sein Diplom erschlichen. Dennoch sei die Rückdatierung der Immatrikulation entscheidend dafür, ihn zur zweiten Staatsprüfung nicht zuzulassen.

Im Oberlandesgericht sei dies der bisher einzige Fall, in dem man unterschiedlicher Auffassung mit dem Datenschutz sei, sagt Gerichtssprecherin Katrin Haller. Aus Bohnenbergers Personalakte sei aber „kein einziges Schriftstück vernichtet“, sondern lediglich einige Blätter umgeheftet worden. Dennoch werde seine Akte erneut überprüft. Ob Diplomjurist Bohnenberger Rechtsanwalt je wird, ist zweifelhaft. Das entscheide das Ministerium, heißt es im Oberlandesgericht. Ministeriumssprecher Marx spricht von einem „endgültig gescheiterten Jurastudenten, der sich eine Übergangsbestimmung im Einigungsvertrag zunutze machen wollte“, die nicht für ihn bestimmt gewesen sei.

Das sieht der Betroffene natürlich ganz anders. „Mir wurde weder das Diplom aberkannt, noch hat der Freistaat meine Referendarsbezüge zurückgefordert, die er mir angeblich zu Unrecht gezahlt hat.“ Sogar die Ernennungsurkunde zum Beamten habe man ihm bis heute gelassen, sagt Bohnenberger.
Von Thomas Schade