Karl Nolle, MdL

spiegel-online, 07.10.2007

UMFRAGE: Deutsche zweifeln an Gerechtigkeitssinn der SPD-Spitze

 
Drei Viertel der Deutschen begrüßen den Vorschlag von SPD-Chef Kurt Beck, das Arbeitslosengeld I zu verlängern. Doch hat die SPD-Führung immer noch ein Imageproblem: Nur eine Minderheit glaubt, dass die Spitzengenossen für sozial gerechte Politik stehen.

Berlin - Keiner der führenden SPD-Politiker wird einer Umfrage zufolge mehrheitlich als Verfechter sozialer Gerechtigkeit wahrgenommen. Nur 46 Prozent der Deutschen sagen, dass SPD-Chef Kurt Beck für soziale Gerechtigkeit steht, ermittelte das Meinungsforschungsinstitut Emnid für die Zeitung "Bild am Sonntag". 27 Prozent seien vom Gegenteil überzeugt, 26 Prozent trauten sich kein Urteil zu.

Damit liegt Beck vor Berlins Regierendem Bürgermeister Klaus Wowereit, der ebenfalls 46 Prozent Zustimmung erzielte - bei 28 Prozent Ablehnung und 26 Prozent Enthaltung. Die Emnid-Umfrage wurde nach Becks ALG-I-Vorschlag durchgeführt, der laut Emnid von drei Viertel der Bundesbürger begrüßt wird.

Vizekanzler Franz Müntefering steht bei 43 Prozent der Befragten für soziale Gerechtigkeit. Noch schlechter schneidet Bundesfinanzminister Peer Steinbrück ab, über den 36 Prozent sagen, dass er für soziale Gerechtigkeit steht.

Auf den Plätzen fünf bis sieben liegen Außenminister Frank-Walter Steinmeier (33 Prozent), Fraktionschef Peter Struck (32 Prozent) und Umweltminister Sigmar Gabriel (31 Prozent).

Im Osten Deutschlands sagen 59 Prozent, Wowereit stehe für soziale Gerechtigkeit. Damit liegt er an der Spitze vor Beck mit 49 Prozent. Unter den SPD-Wählern wiederum liegen Beck und Wowereit mit 65 Prozent gleichauf, während Müntefering nur 54 Prozent erhält.

Die Umfrage Deutschlandtrend der ARD hingegen hatte vergangene Woche ergeben, dass die SPD mit Abstand vor allen anderen deutschen Parteien als Vertreterin der sozialen Gerechtigkeit wahrgenommen werde.

Heil: Mehr ALG I erhöht Akzeptanz für Reformen

SPD-Generalsekretär Hubertus Heil verteidigte in einem Beitrag für die "Frankfurter Allgemeine Sonntagszeitung" den ALG-I-Vorschlag seines Parteichefs. Dieser sei keine Abkehr von der Agenda 2010. Das Prinzip des "Förderns und Forderns" sowie die Zusammenführung von Arbeitslosen- und Sozialhilfe blieben richtig.

Es gehe aber "um den Respekt vor der Leistung von Menschen, die nach einem langen Erwerbsleben unverschuldet arbeitslos geworden sind und es heute nach wie vor schwer haben, wieder Arbeit zu finden", schrieb Heil. Ein solches Signal erhöhe die Akzeptanz für Reformen, weil es dem Gerechtigkeitsgefühl der überwältigenden Mehrheit der Bürger entspreche.

DGB: Deutschland ist nicht sozial gerecht

Nach Einschätzung des Deutschen Gewerkschaftsbundes (DGB) ist die soziale Gerechtigkeit in Deutschland nicht verwirklicht. "Ein Land ist sozial gerecht, wenn es Arbeit für alle mit existenzsichernden Löhnen schafft. Es muss Armut ebenso für Kinder wie für Erwerbslose und Rentner verhindern, Verteilungsgerechtigkeit organisieren und eine optimale Gesundheitsversorgung für alle Bürger anbieten", sagte DGB-Chef Michael Sommer der Zeitung "Bild am Sonntag". "Wenn wir dies zum Maßstab nehmen, dann hat Deutschland noch einen weiten Weg vor sich, um ein Staat zu werden, der soziale Gerechtigkeit für die Gesamtheit seiner Bürger verwirklicht hat."

Dagegen stellte EU-Sozialkommissar Vladimir Spidla Deutschland ein gutes Zeugnis aus. "Ein Land ist sozial gerecht, wenn es allen gleichen Zugang zu Bildung, zum Arbeitsmarkt und zum Gesundheitswesen bietet. Gleichzeitig muss es diejenigen aktiv unterstützen, die aus verschiedenen Gründen nicht aus eigener Kraft daran teilhaben könnten", sagte Spidla der Zeitung. "In diesem Sinne ist Deutschland sozial gerecht."
cvo/ddp