Karl Nolle, MdL

Sächsische Zeitung, 20.10.2007

„Eine infame Lügengeschichte“

Norbert Röger äußert sich im SZ-Exklusivinterview erstmals zu den schweren Vorwürfen, die gegen ihn erhoben wurden.
 
Herr Röger, einige Medien haben sie als Schlüsselfigur der sogenannten Korruptionsaffäre bezeichnet. Ihnen wurden Kindesmissbrauch, Kontakte zum Rotlichtmilieu und Strafvereitelung vorgeworfen. Warum haben Sie so lange nichts zu diesen Behauptungen gesagt?

Die Vorwürfe sind wie eine Tsunami-Welle über mich hereingebrochen, was es mir unmöglich machte, mich dagegen zu wehren. Hiergegen ist man einfach machtlos.

Auch als Gerichtspräsident und ehemaliger Oberstaatsanwalt?

Ich hätte sagen können, was ich wollte, man hätte mir keinen Glauben geschenkt. In solch einer Situation ist es besser zu schweigen und zu warten, bis sich der Nebel gelichtet hat, und man klar sieht, um sich dann mit Erfolg zur Wehr setzen zu können. Und dieser Zeitpunkt ist nun gekommen.

Was ist dran an den Beschuldigungen gegen Sie?

Eine infame Lügengeschichte. Die Erkenntnisse aus den staatsanwaltschaftlichen Ermittlungsakten und die aktuellen Ermittlungen belegen gerade, dass an den niederträchtigen Vorwürfen nichts dran ist. Als Gerüchte geistern die Vorwürfe bereits seit zehn und mehr Jahren durch den Leipziger Blätterwald, was sie nicht glaubhafter macht. Während bisher die Vorwürfe allenfalls Unterhaltungswert hatten, haben nunmehr einige Personen in konspirativer Weise versucht, durch Manipulation ihnen zugespielter Behördenakten den Gerüchten Wahrheit einzuhauchen, um sie in krimineller und staatsgefährdender Weise nicht zuletzt politisch für ihre perfiden Ziele auszuschlachten.

Wen meinen Sie?

Die Angesprochenen werden sich schon wiedererkennen.

Aber die Staatsanwaltschaft ermittelt doch gegen Sie?

Ja, die Staatsanwaltschaft Dresden ermittelt gegen mich und weitere Personen. Die Ermittlungen wurden ausschließlich aufgrund des Dossiers des Verfassungsschutzes eingeleitet, das, wie man ja jetzt weiß, auf manipulierten Akten und den Aussagen fragwürdiger Informanten beruht.

Seit wann wussten Sie, dass der Verfassungsschutz Sie beobachtet?

Von den Beobachtungen durch den Sächsischen Verfassungsschutz erfuhr ich erstmals aus der Presse Mitte Mai. Bis zu diesem Zeitpunkt war mir hiervon nichts bekannt.

Warum wurden ausgerechnet Sie zu einer der Hauptpersonen in der angeblichen Affäre?

Die Märchengeschichte wird erst rund, wenn man als einen Hauptverdächtigen einen früheren Staatsanwalt und jetzigen Richter präsentieren kann, der an herausgehobener Stelle in der Justiz tätig war und ist. Ohne meine Person wären die Vorwürfe keine Sensation gewesen. Im Übrigen hätte die Sache nicht die Bedeutung erlangt, die sie nun mal brauchte, um von der Öffentlichkeit wahrgenommen zu werden. Dabei sind den Leuten, die die Gerüchte in die Welt gesetzt und angeheizt haben, die davon betroffenen Menschen egal. Hauptsache, sie erreichen durch ihr bösartiges Tun ihr Ziel.

Wie haben Sie diese Zeit persönlich erlebt?

Die massiven Verletzungen lassen sich nicht in kurze Worte fassen.

Wie konnten die Vorwürfe eine derart rasante Dynamik entwickeln?

Die Geschichte entwickelte sich so rasant, weil man eine staatliche Quelle hatte, auf die man sich berufen konnte, Behördenunterlagen und ein zusammengestricktes Dossier des Landesamtes für Verfassungsschutz des Freistaates Sachsen. Diese und weitere Auszüge aus Polizeiakten sind in strafrechtlich relevanter Weise an Dritte und Medienvertreter gegangen, wobei einige sie verfälschten, um die Gerüchte befeuern zu können.

Wie bewerten Sie das Verhalten des Verfassungsschutzes und des Innenministeriums als dessen Aufsichtsbehörde?

Die Kontrollinstanzen des Verfassungsschutzes und des Innenministeriums haben versagt und zwar durchweg auf allen Ebenen. So will niemand für den Inhalt des Dossiers „Abseits“ (Bezeichnung des Verfassungsschutzes für das angebliche Netzwerk in Leipzig, d.R.) verantwortlich sein. Man hat der Geschichte einfach geglaubt, ohne das Dossier auf seinen Wahrheitsgehalt hin zu überprüfen. Ein für mich ungeheuerliches Fehlversagen der Verantwortlichen.

Was für Auswirkungen hatte dieses Fehlverhalten für Sie?

Dies und nicht zuletzt das Krisenmanagement oder soll man treffender sagen das Missmanagement des Innen- und Justizministeriums sind dafür verantwortlich, dass die Sache so in Fahrt gekommen ist und zu einer umfassenden und massiven Verletzung der Persönlichkeitsrechte anderer und meiner Person geführt hat.

Ihr Vorwurf zielt auf Innenminister Albrecht Buttolo?

Der Innenminister hat sich, wie er selbst sagt, von der verantwortlichen Mitarbeiterin des Verfassungsschutzes begeistern lassen. Ein großer Fehler, wie sich im Nachhinein herausgestellt hat. Die weiteren Missgriffe des Innenministers in der Krisenbewältigung sind bekannt, erinnert sei nur an seine Brandrede im Landtag. Bemerkenswert in diesem Zusammenhang erscheint mir noch, dass der Innenminister die Verantwortung für die Herausgabe der Verfassungsschutzakten nicht selbst übernehmen wollte, sondern sie vielmehr von dem Votum der Parlamentarischen Kontrollkommission des Landtags abhängig machte. Diese Flucht vor der Verantwortung ist besonders anstößig, weil die Mitglieder der Parlamentarischen Kontrollkommission über keinen juristischen Sachverstand und auch keine juristische Hilfe verfügen, wohingegen der Innenminister einen großen Stab von Mitarbeitern an seiner Seite hat, darunter auch Juristen.

Und wie sieht es mit Ihrem Dienstherrn, Justizminister Geert Mackenroth, aus?

Auch der Justizminister hatte keine glückliche Hand im Umgang mit der Krise. Nicht zuletzt deswegen konnte sich die Medienmeute über mich hermachen. So war in der Presse zu lesen, dass das Justizministerium in Bezug auf meine Person von Vorermittlungen sprach und nicht von einem komplexbezogenen Verfahren, was an sich bei Vorermittlungen üblich ist.

Was macht das für einen Unterschied?

Diese Namensnennung und der Umstand, dass die Einleitung eines Disziplinarverfahrens gegen meine Person vom Justizministerium öffentlich gemacht wurde, machten mich zum Freiwild für die Medien. Ab diesem Zeitpunkt wurde in Presse, Rundfunk und Fernsehen mein Name in voller Länge genannt und Bilder von mir veröffentlicht. Schließlich brauchten die Medien sich jetzt nicht mehr zurückzuhalten, wurden sie doch durch das Verhalten des Justizministeriums in dem Glauben an die Gerüchte bestätigt. Aber auch das Gerede des Justizministers von schwarzen Schafen, von Feuchtgebieten und sein gleichermaßen hilf- wie erfolgloser Zeugenaufruf förderte die Gerüchteküche.

Ist der jetzige Innenminister allein verantwortlich für die Verfassungsschutzaffäre?

Ich denke nicht. Man wird auch den heutigen Kanzleramtsminister Thomas de Maizière fragen müssen, wieso er nach der Entscheidung des Verfassungsgerichtshofes die Fortsetzung der Beobachtung durch den Verfassungsschutz anordnete, obwohl er zu diesem Zeitpunkt die Erkenntnisdichte als nicht so groß einschätzte. In diesem Fall hätte sich eine weitere Beobachtung jedenfalls zum Komplex „Abseits“ verboten.

Warum?

Bei dem Komplex „Abseits“ handelt es sich offensichtlich weder um Organisierte Kriminalität noch stellen die Vorwürfe eine Gefahr für die freiheitlich demokratische Grundordnung dar, wie die Generalbundesanwältin in kurzen knappen Sätzen prägnant feststellte. Auch dürfte interessant sein zu erfahren, ob, wann und durch wen der Kanzleramtsminister erstmals, möglicherweise noch als sächsischer Justizminister, Kenntnis von den Gerüchten zum Komplex „Abseits“ erlangte und was ihn bewog, die Aktivitäten des Verfassungsschutzamtes nicht zu stoppen.

Kann zu der Aufklärung der Untersuchungsausschuss beitragen?

Nein. Der Ausschuss trägt die Verfassungswidrigkeit auf der Stirn. Der Einsetzungsauftrag arbeitet in weiten Teilen mit Unterstellungen. Um das zu erkennen, braucht man noch nicht einmal Jurist zu sein. Hier reicht der gesunde Menschenverstand aus.

Gespräch: Karin Schlottmann