Karl Nolle, MdL
spiegel-online, 19:26 Uhr, 20.10.2007
Crash auf Raten statt kurzer Korrektur - "Niemand wird den Giftmüll übernehmen"
Einsatz des Superfonds
Mit einem Rettungsfonds sollen Kreditkrisen wie die US-Hypothekenkrise künftig entschärft werden. Doch auch der Einsatz des geplanten Superfonds erhöht die Risiken für den Markt: Statt einer gesunden, kurzen Korrektur droht ein zäher Crash auf Raten.
Hamburg - Rückwirkend betrachtet, war der "Schwarze Montag" eine erstklassige Kaufgelegenheit: Schon zwei Tage nach dem Börsencrash vor genau 20 Jahren kletterte der Dow wieder um knapp zehn Prozent nach oben - nachdem er erst über 20 Prozent auf 1738 Zähler abgestürzt war. Im Langfristchart des Dow Jones hinterließ der berüchtigte 19. Oktober 1987 denn auch nur ein winziges Häkchen, das rasch wieder ausgebügelt wurde.
Die Lehren aus dem Crash: Markettiming geht in der Regel schief.. Wer an extrem schwachen Tagen aussteigt, verpasst meist auch die stärksten Börsentage. Zudem leben Anleger gefährlich, die in der Spätphase eines langjährigen Aufschwungs in den Aktienmarkt einsteigen - damals wie heute hatte die Börse eine knapp fünfjährige Rally hinter sich. Damals wie heute war der Dollar schwach.
Der "Schwarze Montag" ist ein Paradebeispiel dafür, mit welchem Aufwand Notenbanken und die großen Spieler am Finanzmarkt Sicherungsnetze ziehen, damit der Laden langfristig weiter läuft. Denn ein Beschleuniger für den freien Fall der Kurse im Herbst 1987 waren die automatischen Handelsprogramme, die immer neue Notverkäufe auslösten. Heute sorgen automatische Handelsunterbrechungen, so genannte "circuit breakers", dafür, dass sich so etwas nicht wiederholt: Werden bestimmte Limits erreicht, stoppt der Computerhandel.
Geburtsstunde des Greenspan-Puts
Der Kursrutsch von Oktober 1987 war auch die Geburtsstunde des Greenspan-Puts. Notenbankchef Alan Greenspan, gerade fünf Wochen im Amt, senkte unmittelbar nach dem Crash den Leitzins um einen Prozentpunkt und machte den verschreckten Investoren klar, dass die US-Notenbank als "Liquiditätsquelle zur Unterstützung des Wirtschafts- und Finanzsystems" bereit stehe. Die Lehre: Wenn es ernst wird, hilft Greenspan, hilft die Fed. Schon im Frühjahr 1988 notierte der Dow wieder über der Marke von 2000 Punkten, und Greenspan, der Retter und Beschützer der Finanzmärkte, behielt das bewährte Muster in den folgenden 19 Dienstjahren bei.
Und heute? Greenspans Nachfolger Ben Bernanke hat mit der jüngsten Zinssenkung klar gemacht, dass er die Greenspan-Tradition fortsetzen und im Ernstfall die Geldhähne aufdrehen wird. Auch deshalb zeigen sich Dow und Dax noch so bemerkenswert robust - trotz eines Ölpreises von mehr als 90 Dollar, trotz Dollarschwäche, trotz fauler Subprime-Kredite in dreistelliger Milliardenhöhe.
Doch für die Kreditkrise von heute reichen die Sicherungsnetze von damals nicht mehr. Die Notenbanken haben Milliarden in den Geldkreislauf gepumpt, die Zinsen gesenkt und damit eine erfolgreiche Notfallversorgung geleistet. Doch daran, dass noch faule Kredite in Milliardenhöhe abgeschrieben werden müssen, kann auch die Fed nichts ändern: Es müssen weitere Rettungsinstrumente her.
Sicherungsnetz der Fed reicht nicht mehr
Das neue Sicherungsnetz, das die drei größten US-Banken Bank of America , JP Morgan und Citigroup jetzt einziehen wollen, hat zumindest einen beeindruckenden Namen: "Master Liquidity Enhancement Conduit" (MLEC) soll es heißen, der Einfachheit halber "Superfonds" oder auch "Rettungsfonds" genannt. Ob der aus höchster Not geborene MLEC den Namen "Rettungsfonds" auch verdient, muss sich jedoch noch zeigen.
"Der Superfonds ist ein Versuch, Liquidität für die in die Klemme geratenen SIVs bereitzustellen", sagt Peter Körndl, Aktienstratege bei der Dresdner Bank. Dies sei einerseits ein Schritt, um die Kreditmärkte mittelfristig zu stabilisieren: Andererseits zeige die Einrichtung eines solchen Fonds aber auch, dass die Kreditkrise "noch nicht ganz ausgestanden ist."
Vereinfacht soll der mit bis zu 100 Milliarden Dollar ausgestattete Superfonds wie ein großer Auffangkorb funktionieren, indem er Geld bereitstellt und einen Teil der derzeit unverkäuflichen Kreditderivate selbst einsammelt. Finanzinstitute haben die hochriskanten, von Ausfall bedrohten Derivate meist in eigens geschaffene Anlagegesellschaften, so genannte Structured Investment Vehicles (SIV) ausgelagert - mit dem Nebeneffekt, dass sie deren Verluste noch nicht in den eigenen Bilanzen zeigen müssen.
Fonds soll "Fire Sales" verhindern
Die nun in Bedrängnis geratenen SIV müssen sich laufend über kurzfristige Schuldverschreibungen, so genannte Commercial Papers, refinanzieren. Der CP-Markt für diese Finanzierungen ist derzeit aber praktisch zum Erliegen gekommen. Werden Darlehen fällig und ist keine Refinanzierung durch neue Schuldverschreibungen möglich, muss das betroffene SIV seine Vermögenswerte notfalls zu Billigstpreisen auf den Markt werfen - diese gefürchteten "fire sales" könnten die Preise in dem betroffenen Segment noch tiefer in den Keller drücken. "Es gilt, fire sales zu verhindern und darauf zu setzen, dass sich die Nervosität am Kreditmarkt mit der Zeit legt", sagt Körndl.
Zeit zu gewinnen und Notverkäufe zu vermeiden, das also sind die Aufgaben des Fonds. Doch selbst wenn die Rechnung aufgeht und die umstrittenen SIVs nicht massenweise kollabieren: "Um Abschreibungen werden die Banken am Ende nicht ganz herumkommen", sagt Körndl. Sie werden diejenigen Vermögenswerte, die der Superfonds nicht auffangen kann, in ihre Bilanzen nehmen müssen.
Möglich, dass sich dadurch die Situation am Kreditmarkt entspannt und das reale Wirtschaftswachstum nicht gebremst wird. Doch der als Stabilisierungsinstrument gedachte Superfonds kann die Risiken auch stark erhöhen - dann nämlich, wenn die Risikoprämien am Kreditmarkt weiter steigen.
Der geplante Superfonds verschafft Investoren lediglich Zeit und Geld - er heilt aber die faulen Kredite nicht. Mit dieser Verschleppungstaktik wenden die beteiligten Finanzinstitute möglicherweise kurzfristig einen weiteren Kursrutsch ab, riskieren aber, dass es bei einer Verschärfung der Kreditkrise im kommenden Jahr umso dicker kommt.
"Der Fonds wird das grundsätzliche Problem nicht lösen", sagt auch Jochen Felsenheimer, Kreditstratege bei Unicredit . Von den Vermögenswerten, die die zahlreichen SIV angesammelt haben, werde ein signifikanter Teil ausfallen: "Selbst wenn Banken die etwas besser besicherten Risikopapiere jetzt mit Hilfe des Fonds herauskaufen, werden die SIV-Investoren am Ende auf den schlechten Risiken sitzen bleiben und Milliardensummen abschreiben müssen", meint der Kreditexperte.
"Niemand wird den Giftmüll übernehmen"
Die umstrittenen SIVs hätten zu viele hochriskante Schuldtitel versammelt, um diese wieder komplett refinanziert zu bekommen. "Investoren werden mit Hilfe des Superfonds vielleicht die besser besicherten Papiere herauspicken", meint Felsenheimer. "Aber sie werden sich hüten, den gesamten übrigen Giftmüll zu übernehmen."
Nach konservativen Schätzungen der Weltbank geht es um rund 200 Milliarden Dollar an Verlusten, die mit dem Subprime-Segment verbunden sind - der riesige europäische Markt der Asset Backed Securities (ABS), der ebenfalls von faulen Immobilienkrediten infiziert ist, ist darin noch nicht einmal einberechnet.
Am Ende werde ein zweistelliger Milliardenbetrag im SIV-Markt abgeschrieben werden müssen, schätzt Felsenheimer: "Unabhängig davon, wie oft Banken die guten und schlechten Risiken jetzt hin und her buchen, um Zeit zu gewinnen."
Von Kai Lange