Karl Nolle, MdL
spiegel-online, 12:01 Uhr, 20.10.2007
KURSRUTSCH : Wall Street taumelt - Angst vor Crash auf Raten
Am 20. Jahrestag des "Schwarzen Montag" sind die Indizes an der Wall Street eingebrochen. Der Dow Jones erlitt den dritthöchsten Tagesverlust in diesem Jahr. Angesichts der sich wieder verschärfenden Kreditkrise und des hohen Ölpreises befürchten Investoren einen Crash auf Raten.
New York - Die Kreditkrise schien bereits abgehakt. Vor fünf Wochen, am 18. September, senkte die US-Notenbank erstmals seit vier Jahren wieder die Zinsen und läutete eine Kursrally an der Wall Street ein. Die Sorge, dass sich die steigenden Risikoprämien für Kredite und die damit verbundene Geldverknappung im Finanzsektor als Bremse für das reale Wirtschaftswachstum herausstellen könnten, schien durch den großen Zinsschritt der Fed beseitigt.
Doch die Freude währte nur kurz. In dieser Woche kam die Erleichterungsrallye an der Wall Street zu einem schmerzhaften Ende: Der Dow Jones geriet am Freitag ins Taumeln und rutschte um 367 Zähler (2,7 Prozent) ab, der dritthöchste Tagesverlust in diesem Jahr.
Im Wochenverlauf hat der Dow insgesamt 4,1 Prozent verloren, der breiter gefasste S&P Index verlor auf Wochensicht 3,9 Prozent. Auch die Technologiebörse Nasdaq , in den vergangenen Wochen die Stütze der Kurserholung, brach im Gleichklang mit dem Dow Jones um 2,6 Prozent auf 2725 Zähler ein.
Das ist noch kein Vergleich zum "Schwarzen Montag" im Oktober 1987, als der Dow binnen eines Tages um 22 Prozent abstürzte. Doch einige Analysten an der Wall Street befürchten inzwischen, dass angesichts der aktuellen Probleme am Finanzmarkt noch mehrere Tage wie der gestrige Freitag folgen könnten. Das Ergebnis wäre ein Mini-Crash, ein Crash auf Raten
"Das war in der Tat ein sehr harter Tag", sagte Analystin Linda Duessel von Federated Investors nach US-Börsenschluss. "Der Aktienmarkt macht sich über eine Abkühlung der Konjunktur Sorgen", ergänzte Analyst Charles Liebermann von Advisors Capital Management.
Düstere Aussichten für den Dax
Auch die Indizes in den Schwellenländern haben in dieser Woche stark nachgegeben. In Brasilien rutschte der Bovespa-Index auf Wochensicht ebenfalls um knapp vier Prozent ab. Dies sind schwache Vorgaben für die kommende Handelswoche: Die Indizes in Asien wie auch der Dax , der sich bereits am Freitag mit einem deutlichen Minus verabschiedet hatte, dürften mit erheblichen Verlusten in die kommende Woche starten.
Auslöser für den Stimmungsumschwung gab es am Freitag gleich in Serie. Auch das ist ein Umstand, der Analysten für die kommende Woche nervös macht.
Rezessionsangst: Caterpillars Warnung wiegt schwer
Zunächst senkte der US-Baumaschinenhersteller Caterpillar seine Jahresprognose. Zudem warnte der Konzern, dass sich die Immobilien- und Kreditkrise zunehmend auf andere Teile der Wirtschaft auswirke und eine Rezession drohe. Dieses Szenario wäre genau der "Spillover", vor dem sich Anleger gefürchtet hatten: Sie nahmen die Warnung von Caterpillar zum Anlass, sich verstärkt nach Staatsanleihen umzusehen und Aktien zu verkaufen.
Zahlen und Aussagen von Caterpillar haben an der Wall Street besonderes Gewicht, weil der Baukonzern als feiner Indikator für den Zustand der US-Wirtschaft gilt. Einige Branchen aus dem Kerngeschäft des Unternehmens befänden sich bereits in einer Rezession, hieß es. Die Aktien von Caterpillar verloren rund 5,3 Prozent, in ihrem Sog gaben auch die Anteilsscheine anderer Industriekonzerne nach.
Kreditkrise: Wachovia verstärkt die Sorgen
Zudem lieferte nach der Bank of America ein weiteres US-Finanzinstitut am Freitag einen Beleg, dass die Hypotheken- und Kreditkrise noch längst nicht ausgestanden ist. Der Quartalsgewinn der viertgrößten US-Bank Wachovia brach um zehn Prozent ein: Wachovia musste wegen der Turbulenzen an den internationalen Kreditmärkten im dritten Jahresviertel im Investmentbanking 1,3 Milliarden Dollar abschreiben.
Auch der von den drei größten US-Banken Bank of America, JP Morgan sowie Citigroup angekündigte Rettungsfonds, der die Kreditkrise entschärfen soll, wird kritisch beäugt. Der sogenannte "Master Liquidity Enhancement Conduit" (MLEC) soll den durch die Subprime-Krise in Bedrängnis geratenen Investmentgesellschaften (SIV) Liquidität zur Verfügung stellen - doch die Probleme der faulen Kredite scheinen dadurch eher aufgeschoben als gelöst.
Ölpreis: Auf und davon
Die Rallye beim Ölpreis, der am Freitag erstmals die Marke von 90 Dollar pro Barrel durchbrochen hatte, tat ein übriges. Viele Anleger fragen sich derzeit, wie lange die Finanzmärkte noch den Spagat zwischen hohen Aktiennotierungen einerseits und einem schwachen Dollar sowie extrem hohen Energiepreisen aufrechterhalten können.
Staatsanleihen waren am Freitag gefragt. An den US-Kreditmärkten stiegen die zehnjährigen Staatsanleihen um 29/32 auf 102-28/32. Sie rentierten mit 4,384 Prozent. Die 30-jährigen Bonds kletterten um 47/32 auf 105-2/32 und hatten eine Rendite von 4,681 Prozent.