Karl Nolle, MdL

DNN/LVZ, 17.11.2007

Ein Sachse für Sachsen-Anhalt

Fast alle Bundesländer werden von heimischen Ministerpräsidenten regiert – bis auf zwei Ausnahmen
 
Leipzig. Der Vorstoß war wohlkalkuliert. Mit seiner öffentlichen Attacke („Ein Sachse für Sachsen“) gegen die Herkunft von Ministerpräsident Georg Milbradt und seines möglichen Nachfolgers Thomas de Maizière treibt der Landtagsabgeordnete Matthias Rößler einen Keil in die Sachsen-CDU. In Zukunft, so Rößler, müsse ein echter Sachse das Land führen. Der giftige landsmannschaftliche Vorwurf richtet sich vor allem gegen den Westfalen Milbradt, der die sächsische Mentalität nie verstanden habe. Zwar wittern viele in der CDU hinter dem Angriff des Ex-Kultusministers die späte Rache an Milbradt, der ihn einst abserviert hatte und reagieren entsprechend verärgert – „Wortbeitrag zur Unzeit“ und „Stinkstiefelei“, heißt es. Klammheimlich gibt es aber auch Beifall.

Selbst wenn sich CDU-General Michael Kretschmer beeilte, die Ost-West-Diskussion schnell im Keim zu ersticken („Wichtig ist, dass die besten Leute die wichtigsten Aufgaben übernehmen“), der Blick über den sächsischen Gartenzaun dürfte für neue Nahrung sorgen. Denn bei der Biographie-Analyse der Bundesländer fällt eins besonders auf – sie werden bis auf Sachsen und Sachsen-Anhalt alle von Ministerpräsidenten regiert, die quasi per Geburtsort den landsmannschaftlichen Draht zu ihren Wählern haben.

Globale Dynamik hin, wirtschaftliche Weltgeltung her; bei ihren Regierungen setzen selbst die stärksten Länder auf Führungscharaktere mit Heimvorteil. Die Südstaaten-Achse der Union mit Baden-Württemberg mit dem Stuttgarter Günther Oettinger, Hessen mit dem Frankfurter Roland Koch und Bayern mit dem Franken Günther Beckstein gibt sich dabei genauso regional wie die CDU-Länder Nordrhein-Westfalen, Niedersachsen und Schleswig-Holstein.

So sitzt der Kölner Jürgen Rüttgers als Chef in der Düsseldorfer Regierungszentrale, Christian Wulff führt als gebürtiger Osnabrücker die politischen Geschäfte in Hannover und Peter-Harry Carstensen, Regierungschef in Kiel, hörte schon als Kind den Nordsee-Wind auf Nordstrand heulen. Dass der Ur-Pfälzer Kurt Beck seit Jahren für die SPD in Mainz thront und der Saarländer (Illingen) Peter Müller die CDU-Regierung in Saarbrücken führt, rundet das regionale Führungsbild der West-Flächenländer ab. Die Stadtstaaten Hamburg (von Beust, CDU) und Bremen (Böhrnsen, SPD) halten es ebenso mit Eigengewächsen. Wie der Berliner Klaus Wowereit (SPD) und der Potsdamer Matthias Platzeck (SPD, Brandenburg) regieren sie in den Städten, in denen sie zur Welt kamen.

Auch das an Sachsen grenzende Thüringen hat 18 Jahre nach der Wende einen Thüringer an der Spitze – den aus dem Eichsfeld (Heiligenstadt) stammenden Dieter Althaus. In der Mecklenburger Regierungszentrale hält der Wittenburger Harald Ringstorff (SPD) die Fäden in der Hand. Dagegen regiert in Magdeburg kein waschechter Sachsen-Anhalter. Pikanterweise führt dort ein Oberlausitzer für die CDU das Kabinett. Ein Sachse an der Macht in Sachsen-Anhalt! Wolfgang Böhmer wurde in Dürrhennersdorf geboren und verhalf von 1960 bis 1973 als Arzt an der Görlitzer Frauenklinik tausenden kleinen DDR-Sachsen auf die Welt. Seine regionale Verwurzelung ist trotzdem unstrittig: Als Chefarzt in der Klinik Paul-Gerhardt-Stift der Lutherstadt Wittenberg holte der Gynäkologe von 1973 bis zur Wende viele Landsleute, über die er heute regiert, persönlich ans Licht. Die Bezeichnung Landesvater bekommt mit ihm eine völlig neue Bedeutung. Der 71-jährige Senior unter den Ministerpräsidenten setzt auch bei seinem designierten Nachfolger auf Bodenständigkeit. CDU-Wirtschaftsminister Reiner Haseloff wohnt wie Böhmer in Wittenberg. Die Sorgen und Nöte seiner Landsleute kennt auch er bestens – er war jahrelang Direktor des Arbeitsamtes in seiner Heimatstadt.
Von ANDRÉ BÖHMER