Karl Nolle, MdL
Sächsische Zeitung, 10.12.2007
Wie eine Staatsanwältin zur „Staatsfeindin“ wurde
Die Affäre um den Verfassungsschutz – die SZ erzählt die Geschichte der wichtigsten Akteure. Heute: Simone H. vom Verfassungsschutz.
Im September 2006 ist die Welt für Simone H. noch in Ordnung. Die Referatsleiterin „Organisierte Kriminalität“ beim sächsischen Verfassungsschutz ist, so glaubt sie, einer brisanten Verbindung zwischen Rotlichtmilieu und Justiz auf der Spur. Ihre Chefs sind mit der Juristin sehr zufrieden. Deshalb belohnen sie Simone H. für ihre „herausragende Arbeit“ mit einer hohen Geldprämie. Das ist jetzt etwas mehr als ein Jahr her. Heute will davon in der Behörde niemand mehr etwas wissen. Die Beamtin wird, seitdem im Sommer die sogenannte Korruptionsaffäre bekannt wurde, behandelt wie die Staatsfeindin Nr.1.
Die belobigte Geheimdienstlerin ist nach Darstellung der Landesregierung dafür verantwortlich, dass der Verfassungsschutz durch die sogenannte Korruptionsaffäre in seine bisher schwerste Krise gestürzt ist und die Regierung beinah in den Abgrund gerissen hätte.
Simone H.’ s vollständiger Name unterliegt der Geheimhaltung. Sie darf ihn nicht nennen, um ihren Arbeitsplatz nicht zu gefährden. Die Juristin hat die Geheimdienstarbeit nicht von der Pike auf gelernt, sondern war früher Staatsanwältin in Dresden. Die Prozess-Serie gegen einen großen Dresdner Kinderschänderring Ende der 90er Jahre wurde ihr größter Erfolg als Anklägerin. Sie setzte hohe Freiheitsstrafen gegen Dutzende Angeklagte durch, die Straßenkinder sexuell missbraucht und die Opfer auch an andere Pädophile weitervermittelt hatten. Doch statt auf der Karriereleiter nach oben zu klettern, wechselte H. zur Kriminalpolizei nach Freiberg und kurze Zeit später zum Verfassungsschutz.
Abstruse Gerüchte
Ehemalige Kollegen beschreiben die Juristin, die aus der DDR-Justiz kommt, als leidenschaftliche, gewissenhafte und äußerst engagierte Ermittlerin. Sie neige allerdings zur Selbstüberschätzung und lege manchmal einen missionarischen Eifer an den Tag, erinnert sich ein Staatsanwalt. Das Gefühl, gegenüber ihren Westkollegen benachteiligt zu werden, habe sie vermutlich frustriert, glaubt er.
Ihre Erfahrungen mit dem Dresdner Kinderschänderring mögen ein Grund dafür sein, warum das von ihr geleitete Referat „Organisierte Kriminalität“ beim Landesamt für Verfassungsschutz die abstrusen Gerüchte über den Missbrauch von tschechischen „Zigeunerkindern“ durch hochrangige Juristen, von Sexpartys im Leipziger Rathaus und Kinderpornos im Diensttresor eines Staatsanwalts so unkritisch behandelte.
Zudem könnte Erfolgsdruck eine Rolle gespielt haben. Der Gesetzgeber hatte dem Verfassungsschutz erst 2003 die Zuständigkeit für diesen Bereich übertragen – mit entsprechend hohen Erwartungen. Wie die Dossiers über die angebliche Korruptionsaffäre zustande gekommen sind, ist noch nicht exakt erforscht. Die Staatsanwaltschaft hat aber schon durchblicken lassen, dass die Fakten, die sie inzwischen zusammengetragen hat, wohl nicht ausreichen werden, um Anklagen zu erheben.
Auch der Verfassungsschutz distanziert sich deutlich von den Ergebnissen der früheren Abteilung Organisierte Kriminalität. Im Sommer gibt Verfassungsschutzpräsident Reinhard Boos bekannt, dass die Abteilung von Simone H. die Akten über angebliche kriminelle Netzwerke zwischen Rotlichtmilieu, Justiz und Immobilienbranche aufgepeppt habe – gemeinsam mit einem Leipziger Kriminalbeamten, der entgegen den Vorschriften als Informant eingesetzt wurde. Der Vorwurf der Manipulation steht seitdem im Raum.
Eine vom Innenministerium eingesetzte Prüfgruppe schreibt in ihrem Abschlussbericht, die Vorgesetzten hätten nie genau gewusst, wie H. an ihre Informationen über organisierte Kriminalität gekommen sei. Sie und ihre Kollegen hätten bei der Beobachtung und Auswertung schwere handwerkliche Fehler gemacht, die lange unentdeckt geblieben seien. H.s Rechtsanwalt Bernfried Helmers hält diese Vorwürfe für eine Legende. Warum habe die Behördenspitze sie noch vor einem Jahr ausgezeichnet, wenn niemand gewusst haben will, was sie eigentlich gemacht habe, fragt er. Diese Darstellung sei nicht sehr lebensnah. „Ihre Vorgesetzten waren im Wesentlichen über ihre Arbeit auf dem Laufenden gewesen“, sagt der Berliner Anwalt. Womit diese auch für die Folgen der Affäre geradestehen müssten.
Der Verweis auf fehlende Kontrolle von oben sei nichts anderes als ein untauglicher Entlastungsversuch des Innenministeriums. Helmers: „Frau H. soll zum Bauernopfer gemacht werden.“
Zeugenaussage unterbrochen
Seit dem 3. Juli ist die hochgewachsene Juristin schwer krank und deshalb arbeitsunfähig. An diesem Tag – der neu eingesetzte Verfassungsschutzpräsident Boos arbeitet sich gerade mit Hochdruck durch die Akten – fährt H. zur Staatsanwaltschaft Dresden. Sie soll dort die Aufklärung mit ihrem Wissen unterstützen. Doch ihr geht es schon seit Tagen körperlich und psychisch sehr schlecht. Ihre Zeugenvernehmung muss mehrfach unterbrochen werden.
Helmers sagt, seine Mandantin fühle sich zu Unrecht verfolgt, die Manipulationsvorwürfe gegen sie seien falsch. Sobald sie wieder gesund sei, werde sie sich aktiv an der Aufklärung der Affäre beteiligen. Nach Weihnachten muss Simone H. aber erneut ins Krankenhaus.
Morgen lesen Sie: Ein Mafia-Jäger auf einsamer Mission – Jürgen Roth, Buchautor und Journalist.
Von Karin Schlottmann