Karl Nolle, MdL
Frankfurter Rundschau, 13.12.2007
Erst aufräumen, dann abtreten
Dresden. In vergangenen Jahren nutzte ein früherer sächsischer Ministerpräsident die Tage vor Weihnachten gerne für politische Großgeschenke. Dann war es zum Beispiel üblich, in einem Dresdner Nobelhotel zwei Tage vor Heiligabend die Ansiedlung einer milliardenschweren Chipfabrik anzukündigen. Tausende Arbeitsplätze winkten, die Zukunft erschien rosig, das Volk staunte, Weihnachten war noch mehr ein Fest der Freude. Die sächsische CDU liebte ihren Ministerpräsidenten Kurt Biedenkopf für solche Auftritte.
Dieses Jahr ist es anders. In Dresden wird nicht verschenkt, sondern gebibbert. Die Landesbank hat in Leipzig ihre Weihnachtsfeier abgeblasen. Zum traditionellen Weihnachtssingen in der Dresdner Staatskanzlei erschien CDU-Ministerpräsident Georg Milbradt erst gar nicht. Statt vorweihnachtlicher Ruhe und Besinnlichkeit beherrschen Panik und schieres Entsetzen die Landespolitik: Ein Milliardenpoker läuft und Milbradt hat sehr schlechte Karten. Bis Sonntag müssen Sachsen und Baden-Württemberg eine Lösung für die pleitegegangene Sachsen LB gefunden haben.
Im August hatten die Dresdner und der Stuttgarter Ministerpräsidenten Günther Oettinger (CDU) vereinbart, dass die baden-württembergische Landesbank das schwer angeschlagene sächsische Geldhaus zum 1. Januar 2008 übernimmt. Seitdem durchleuchteten die Schwaben die Konten der Sachsen, vor allem der irischen Tochter mit ihrem Fonds "Ormond Quay".
Was dabei herauskam, ließ die Verhandlungen ins Stocken geraten: Die Löcher sind wohl noch tiefer, offensichtlich wollen die Schwaben alle Risiken auf die Sachsen abwälzen. Es geht angeblich um 43 Milliarden Euro Risikosumme. Von den Sachsen wird angeblich eine Bürgschaft über rund vier Milliarden erwartet. Das wäre mehr als ein Viertel des Landeshaushalts. "Nicht zu schultern", sagt Finanzminister Stanislaw Tillich (CDU). Einigen sich die Beteiligten nicht bis Sonntag, droht am Montag die Schließung des Geldhauses durch die Bankenaufsicht. Auf das Land Sachsen kommen wahrscheinlich so oder so Forderungen in Milliardenhöhe zu.
Wie dramatisch die Lage ist, ließ sich am Mittwoch im Dresdner Landtag studieren. Die Oppositionsparteien Grüne und Linke hatten auf eine Debatte zur Lage der Bank gedrängt. Tillich gab eine holperige achtminütige Regierungserklärung ab, in der keine konkreten Zahlen auftauchten, dafür aber noch einmal der Hinweis, Sachsen könne die Belastungen auf keinen Fall alleine tragen. Es gehe auch um den Finanzplatz Deutschland, malte Tillich düstere Bilder an die Wand.
Während er sprach, schickte Milbradt eine SMS nach der anderen in die Welt. Schließlich sprang er auf und verließ den Plenarsaal. Die Linke schäumte und forderte, Milbradt in den Saal zu holen. Der aber verhandelte mit den Baden-Württembergern, teilte CDU-Fraktionschef Fritz Hähle mit.
In Dresden ist man sicher: Der Absturz der Landesbank wird auch das politische Ende für den Ministerpräsidenten bedeuten. Vorsichtige, aber deutliche Absetzbewegungen waren in den Reden der regierungstragenden CDU- und SPD-Abgeordneten nicht zu überhören. Zuerst müsse bis zum Wochenende eine Banken-Lösung her, die Sachsen nicht überfordere, sagte der SPD-Abgeordnete Mario Pecher. "Danach muss über den Werdegang offen diskutiert werden." CDU-Fraktionschef Fritz Hähle hörte sich nicht anders an. Erst das Ergebnis abwarten. "Dann ist immer noch Zeit für Schuldzuweisungen. Abgerechnet wird unter dem Strich."
Milbradt soll offensichtlich für das Bankendesaster die Verantwortung übernehmen. Der Koalitionspartner SPD will die Kooperation mit der CDU fortsetzen, wird aber einen Preis für die Treue in der Not verlangen. Und in der CDU gibt es auch niemanden mehr, der Milbradt die Stange hält. "Ich gebe ihm keine drei Monate mehr", sagte ein Unionsmann. Milbradt muss wohl noch die Trümmer des Skandals abräumen, dann kann er gehen. "Spätestens Ostern sitzt der nicht mehr hier", sagte ein anderer Christdemokrat. Schon am Vortag hatte es in Regierungskreisen geheißen, Milbradt sei "politisch tot".
Die Frage lautet nicht ob, sondern wann. Offensichtlich fehlt noch ein Drehbuch für den Wechsel. Als Milbradts mögliche Nachfolger gelten die üblichen Verdächtigen: Kanzleramtsminister Thomas de Maizière für den Posten des Ministerpräsidenten und Kultusminister Steffen Flath als Partei- und Fraktionschef. Der eine gilt als geschickter Politprofi, der andere stillt christdemokratische Bedürfnisse nach Sachsenstolz und Heimatgefühl.
In Dresden warten jetzt alle mit Bangen das Wochenende und das Verhandlungsergebnis ab. "Vielleicht tritt Milbradt auch schon kommenden Montag zurück", hieß es. "Das kann hier ganz schnell gehen."
VON BERNHARD HONNIGFORT