Karl Nolle, MdL

Sächsische Zeitung, 14.12.2007

Angezählt im Boxring

Die Milliarden-Bürgschaft für die Landesbank wird für Georg Milbradt zur schweren politischen Hypothek. Doch an Rücktritt denkt er nicht.
 
Der Blick ist gesenkt. Hastig schreitet Georg Milbradt an den Umstehenden vorüber. Mit tiefen, kantigen Falten unter den müde-kleinen Augen. Ein wenig blass im Gesicht. Selbst der Anzug ist ein wenig lädiert.

Hinter Milbradt zieht der Tross seiner Getreuen in die Landtagsarena ein. Generalsekretär, Abteilungsleiter, Staatskanzleichef, Regierungssprecher und weitere engste Mitarbeiter. Als würden sie den 62-Jährigen in den Boxring begleiten; zu einem schweren, vielleicht – wie manche schon munkeln – zu seinem letzten Kampf. Einer gegen alle. Als Milbradt seinen rettenden Platz im Landtag erreicht hat, beginnt er ein paar Blatt Papier für seine geplante Regierungserklärung zu sortieren. Dabei kann er sogar schon wieder ein wenig lächeln. Gelegentlich sieht es sogar aus wie das alte schelmische Siegerlächeln.

Es ist der Tag, an dem sich die Nachrichten überschlagen. Bereits am frühen Morgen sickert durch, dass sich Sachsen und Baden-Württemberg nach einem nächtlichen, fast 13-stündigen Verhandlungsmarathon doch noch geeinigt haben. Die Fusion kann zum 1. Januar über die Bühne gehen, die Schließung der Bank ist abgewendet. Allerdings für einen hohen Preis. Mindestens fünf Jahre muss der Freistaat fürchten, dass auch die geplante Bürgschaft in Höhe von 2,75 Milliarden Euro fällig wird und man zahlen muss.

In der Rolle des Retters

Aber die Bank ist gerettet. Das zählt für Milbradt. Das Schlimmste ist verhindert – unter diese Devise stellt der Regierungschef den Rest seines Tages: das Schlechte als das Bestmögliche zu verkaufen. Ein Held, ein Retter soll er sein. Und die zweite Botschaft ist ihm nicht minder wichtig: So leicht werdet ihr mich nicht los. Und dieser Satz ist auch – vielleicht sogar gerade – an die eigene Partei gerichtet.

Milbradts Rettungsschlacht in eigener Sache beginnt um 9 Uhr. Er informiert zunächst die Koalitionsfraktionen CDU und SPD über das Verhandlungsergebnis. Nennt Fakten, Zahlen, Daten, versucht die Abgeordneten einzuschwören, appelliert an ihre Verantwortung, die Angelegenheit jetzt gemeinsam durchzustehen. Doch auch hier fällt der Applaus für seine Botschaft dem Vernehmen nach eher mager aus. Gedrückte Stimmung, teils schockierte Gesichter. Wie sollen wir das denn draußen vermitteln? Bei unseren Wählern? Diese Frage stellen viele danach. Es fällt ihnen nicht leicht, das zu verstehen, was der Ex-Finanzminister und Regierungschef da gerade erläutert hat. Ein Sieg in der Niederlage also? Aber dass es nicht toll ist für‘s Land, das sagt manchem wenigstens der gesunde Menschenverstand.

Flaths „Bewerbungsrede“

Wenige fragen nach. Kultusminister Steffen Flath (CDU), der ewige Kronprinz, meldet sich schließlich zu Wort. Dass er nicht wisse, wie man das Ganze etwa den Forstmitarbeitern erklären solle oder anderen Berufsgruppen, denen er in Tarifgesprächen niedrige Abschlüsse abringe. Die Verantwortlichkeiten müssten geklärt werden, fordert er – und erhält großen Applaus. Flaths Worte seien wie eine „Bewerbungsrede“ gewesen, heißt es später. Teils verwundert. Teils erfreut, dass sich da doch etwas regt in einer möglichen Nachfolgediskussion. Auch Kanzleramtschef Thomas de Maiziere in Berlin wird an diesem Tag wieder einmal abwinken für das Amt als Premier in Dresden. Und der Dritte im Trio der derzeit gehandelten Nachfolger, Finanzminister Stanislaw Tillich, hält sich gerade auffällig zurück.

Doch einen „Königsmörder“, den gibt es nicht. Noch nicht, heißt es in Unionskreisen. Zu tief sitzt noch immer der Schock des dramatischen Abgangs von Kurt Biedenkopf. Noch einmal einen Regierungschef aus dem Amt zu jagen, das traut sich derzeit keiner so recht in der CDU. Und warum der Erste sein, der seinen Rücktritt fordert? Und so bleibt die Rolle des „Königsmörders“ im Sachsen-Drama rund um König Georg bis auf Weiteres noch unbesetzt.

Bitteres Verhandlungsergebnis

Bitter nennt Milbradt selbst wenig später in seiner Regierungserklärung die Verhandlungsergebnisse zur Landesbank. Dann rattert er die Zahlen herunter wie ein Börsenspezialist. Milliarden-Beträge wirbeln durch den Plenarsaal, durch die Abgeordnetenreihen, die sich gelegentlich sonst an diesem Ort über Tausender-Beträge streiten. Das Wort Rücktritt nimmt Milbradt nicht in den Mund. Aufarbeitung der Verantwortlichkeiten verlange auch er, sagt er. Und dabei weist er verbal auf die früheren Landesbank-Vorstände. „Aber das können wir in aller Ruhe Anfang nächsten Jahres klären“, bittet er fast flehentlich um eine Galgenfrist, bis im Januar der Bericht der Wirtschaftsprüfer zu möglichen Fehlern bei der Landesbank-Spitze vorliegt.

Dagegen präsentiert Grünen-Fraktionschefin Antje Hermenau dem einstigen Gründervater der Landesbank sofort eine kleine „Zwischenbilanz“. 700 Millionen Euro habe der Freistaat bisher in die einzige ostdeutsche Landesbank gesteckt. 300 Millionen Euro flossen 2005 noch einmal hinein. Jetzt ist sie für 328 Millionen Euro verkauft worden. Dabei hatte man noch im vergangenen Jahr auf einen Erlös von weit mehr als einer Milliarde gehofft. Aber das war auch vor der US-Immobilienkrise, bevor die kleine sächsische Landesbank ausrutschte bei ihrem Ausflug auf das viele zu große und glatte internationale Finanzparkett.

Mit der Gattin zum Konzert

Am Ende dieses Tages hat Milbradt zumindest eine Atempause erreicht. Mehr nicht. Am Abend noch fährt der Ministerpräsident mit seiner Gattin zu einem Weihnachtskonzert nach Berlin. Gesicht zeigen auf der politischen Bühne. Er ist noch da. Und so leicht wird man einen Georg Milbradt nicht los. Nicht jetzt. Nicht heute. Nicht wegen der Landesbank, scheint er sich selber Mut zu machen.

Dabei ist seit gestern klar, dass auch nur der Hauch, nur die Ahnung eines Fehlers, ihn jetzt aus dem Amt fegen könnte, wenn auch seine Partei in wenigen Tagen das Rettungspaket für die Bank unter Dach und Fach bringt. Milbradts Rettungsschlacht in eigener Sache hat gerade erst begonnen.
Von Annette Binninger