Karl Nolle, MdL
DER SPIEGEL 51/2007, Seite 92, 16.12.2007
BANKENKRISE: Wankende Säulen
Das Desaster der Sachsen LB könnte einen Umbruch des Finanzplatzes Deutschland einläuten
Die weltweite Finanzkrise könnte für den Bankenstandort Deutschland schwerwiegende Folgen haben. Einige Landesbanken haben sich gewaltig verspekuliert - andere öffentlich-rechtliche Institute müssen dafür einstehen. Eine Flurbereinigung ist unausweichlich.
Die beiden Treffen waren streng geheim. Keine Kalendereinträge, keine Notizen und schon gar keine Protokolle. Jürgen Rüttgers aus Düsseldorf und Roland Koch aus Wiesbaden hatten nur ihre Planungschefs mitgebracht. Niemand sollte etwas erfahren, niemand die Chance bekommen, den vertraulichen Plan zu sabotieren.
Am Ende einigten sich die beiden CDU-Ministerpräsidenten per Handschlag. Ihre Landesbanken, die WestLB sowie die Landesbank Hessen-Thüringen (Helaba), sollen fusionieren. Koch versprach seinem Kollegen, er werde auf jeden Fall zu der Abmachung stehen. Selbst wenn es im laufenden Wahlkampf Ärger gebe.
Beide wissen, dass es längst nicht mehr nur um die angeschlagene WestLB geht. Nichts weniger als die Zukunft des gesamten öffentlich-rechtlichen Bankensystems steht auf dem Spiel. Die Institute haben sich dazu verpflichtet, gegenseitig ihre Existenz zu sichern. Ist eine Bank gefährdet, wird sie von den anderen gestützt.
Kommen jedoch mehrere Institute in eine Schieflage, gerät das ganze System ins Wanken. Dieser Fall galt bis dato als extrem unwahrscheinlich, doch die amerikanische Hypothekenkrise hat nicht nur die weltweiten Finanzsysteme erschüttert. Sie hat auch und vor allem die Schwäche der öffentlich-rechtlichen Banken in Deutschland gnadenlos entblößt.
Bislang waren die spektakulären Verluste in dieser Krise hauptsächlich auf Überseeadressen beschränkt. So musste die Citigroup, eine der größten Banken der Welt, bereits 17,5 Milliarden Dollar abschreiben. Bei Merrill Lynch waren es 8,4, bei Morgan Stanley 2,4 Milliarden Dollar. Vergangene Woche erst erhöhte das Schweizer Nobelinstitut UBS seine Abschreibungen um weitere 10 Milliarden Euro.
Zwar sorgten die wichtigsten Notenbanken der Welt zugleich für Erleichterung. EZB-Chef Jean-Claude Trichet und US-Notenbankboss Ben Bernanke versorgten die Kreditmärkte in einer konzertierten Aktion mit frischem, billigem Geld, um Liquiditätsengpässe zu vermeiden. Aber das lindert nur die schlimmsten Akutnöte der Banken - und macht zugleich deutlich: Die Lage ist prekär. Auch in Deutschland. Vor allem bei den Landesbanken.
Verzweifelt versuchten die Beteiligten in der vergangenen Woche, die komplett aus dem Ruder laufende Sachsen LB zu retten, die von unfähigen und überforderten Managern durch milliardenschwere Kreditzockereien an den Rand des Ruins getrieben worden war.
Der Überlebenskampf der Bank begann am vorvergangenen Samstag in Dresden. Siegfried Jaschinski, Chef der Landesbank Baden-Württemberg (LBBW), ein promovierter Historiker, versuchte, aus der Not einen Vorteil zu schlagen. Nachdem die Risikokennziffern beinahe wöchentlich nach oben geschnellt waren, forderte er, dass der Freistaat Sachsen für mindestens 4,3 Milliarden Euro bürgen müsse, sonst werde er die Bank nicht wie geplant übernehmen.
Doch mehr als eine Milliarde Euro wollte der sächsische Finanzminister Stanislaw Tillich den Stuttgartern nicht zugestehen. Das machte der Politiker auch am Montag bei einer zweiten Verhandlungsrunde in einem Sitzungszimmer von Jochen Sanio deutlich, dem Präsidenten der Bundesanstalt für Finanzdienstleistungsaufsicht (BaFin). Jaschinskis Truppe aber beharrte auf ihrer Maximalforderung.
Schließlich setzte Sanio ein Ultimatum: Sollte die Lösung nicht bis zum Wochenende auf dem Tisch liegen, werde er die Sachsen LB schließen.
Am Mittwoch vergangener Woche schließlich kam es zum finalen Verhandlungsmarathon. Landesregierung und Bankmanager feilschten bis in die frühen Morgenstunden in der Frankfurter Niederlassung der BaFin. Sanio und Bundesbank-Chef Axel Weber moderierten.
Ab Mitternacht saß auch Sachsens CDU-Ministerpräsident Georg Milbradt mit am Tisch. Um 3.15 Uhr war die Einigung perfekt. Das Land verpflichtete sich, für Verlustrisiken bis zu 2,75 Milliarden Euro zu bürgen. Um das Parlament in Sachsen zu umgehen, wird die Garantie in zwei Raten gestückelt. Damit muss nur der Haushaltsausschuss zustimmen, den Milbradt wohl auf Linie bringt. Sein politisches Schicksal bleibt dabei weiterhin offen.
Nicht jeder glaubt, dass die Bürgschaft ausreichen wird. Kommt es zu weiteren Verlusten, haftet die LBBW für sechs Milliarden Euro. Danach müssen die restlichen Landesbanken und die DekaBank eintreten. Wie deren Quote sich dann aufteilt - darüber wollen die Verantwortlichen diesen Mittwoch bei einem geheimen Treffen in Berlin verhandeln.
Klar ist nur, dass viele Landesbanken als Retter gar nicht in Frage kommen. Die meisten haben sich selbst in den riskanten Geschäften mit verbrieften US-Hypothekendarlehen engagiert - gemessen an ihrer Bilanzsumme sehr viel stärker als die privaten Banken.
Der Grund: Früher haftete generell der Staat für die Landesbanken, so dass die billiger Kredite vergeben konnten. Doch seit die Staatshaftung 2005 abgeschafft wurde, fehlt ihnen das alte Geschäftsmodell samt dessen Fangnetzen. Neue Ideen waren dringend gesucht.
So hat die WestLB über Jahre hinweg kompetente - aber auch sehr teure - Investmentbanker in London und New York beschäftigt, die allerdings wenig zu tun hatten. Denn nach dem ersten Desaster in diesem Geschäftsbereich, der schon vor vier Jahren zu Verlusten von über drei Milliarden Euro geführt hatte, untersagte der Aufsichtsrat der Bank viele internationale Geschäfte.
Im Inland wurde die WestLB von den Sparkassen ausgebremst. Wenn es um lukrative Geschäfte ging, hieß es bei den Instituten mit dem roten "S" in Köln oder Düsseldorf: "Das können wir auch selbst." Mittelständische Kunden durfte die Bank deshalb qua Anordnung der Eigentümer nur ansprechen, wenn sie einen Umsatz von mehr als einer halben Milliarde Euro vorweisen konnten. Um jedoch tragfähig Gewinne zu erwirtschaften, reicht diese Kundengruppe nicht aus. Andere Landesbanken haben ähnliche Probleme mit den Sparkassen, die eine gewaltige Größe in der deutschen Finanz-Arithmetik darstellen (siehe Grafik).
Letztlich hat sich der gesamte öffentlichrechtliche Bankensektor in seiner jetzigen Form überlebt. Die Institute haben kein überzeugendes Geschäftsmodell, sie sind unflexibel und arbeiten ineffizient.
Dazu kommt: Sie sind klamm. Denn seit einigen Jahren verschwenden sie ihre Hauptenergie auf die Abwehr privater Kapitalgeber, die sie doch so dringend brauchten. Das ist aufwendig und teuer:
* Als die HypoVereinsbank im Jahr 2000 Interesse an der Stuttgarter BW-Bank zeigte, einer privatrechtlich organisierten Bank, an der das Land Baden-Württemberg mit knapp 40 Prozent beteiligt war, stieg flugs die LBBW ein und vereitelte den Plan der Münchner.
* Drei Jahre später wollte die Stadt Stralsund ihre Sparkasse verkaufen. Der Deutsche Sparkassen- und Giroverband (DSGV) schreckte nicht davor zurück, eine Gesetzesänderung durchzusetzen, die den Plan zerstörte.
* Im Bieterverfahren um die Landesbank Berlin waren die Sparkassen sogar bereit, zwei Milliarden Euro mehr auf den Tisch zu legen als jeder private Interessent - nur um sicherzugehen, dass kein privater Investor einsteigt.
Derart teuer waren diese Aktivitäten, dass sie das öffentliche Bankenlager insgesamt schwächten. Zudem haben sie die Politik alarmiert. Bundesfinanzminister Peer Steinbrück jedenfalls, so berichten seine Beamten, sei bei der Frage, ob das Drei-Säulen-Modell aus privaten, öffentlich-rechtlichen und genossenschaftlichen Banken unbedingt erhalten werden müsse, ins Nachdenken geraten.
Anlass für Steinbrücks schleichenden Sinneswandel war das Verhalten der privaten Banken bei den Rettungsaktionen für die Deutsche Industriebank (IKB), die wie die Sachsen LB durch ihre Zockereien mit US-Hypotheken kurz vor dem Aus stand. Die privaten Banken reagierten sehr viel schneller und zuverlässiger als ihre öffentliche Konkurrenz.
Auch die Ministerpräsidenten Rüttgers und Koch wissen, dass die Landesbanken nur dann eine Zukunft haben, wenn sich private Investoren zumindest als Minderheitsgesellschafter beteiligen können. Die Bank, die aus der Fusion von WestLB und Helaba hervorgehen soll, könnte dafür ein Beispiel werden.
Das neue Institut will, darauf haben sich die beiden Politiker verständigt, auch für die IKB bieten. Damit entstünde eine in der ganzen Republik aktive Mittelstandsbank. Die Bank würde dann über ein tragfähiges Geschäftsmodell verfügen. Um den Kaufpreis für diese Tochter aufzubringen, sind Finanzinvestoren willkommen. Eine zweite Säule des Geschäfts soll das Privatkundengeschäft werden. Die Helaba, zu der nach einem Rettungskauf auch die Frankfurter Sparkasse gehört, ist in diesem Geschäftsfeld bereits aktiv.
Der WestLB haben die Sparkassen eine Fusion mit der Düsseldorfer Sparkasse bislang verboten. Das könnte sich nun ändern. Denn die Sparkassen haben zugesagt, ihren Widerstand gegen den Zusammenschluss, die sogenannte Metropolbank, aufzugeben - sollte sich dadurch das Rating und damit die Profitabilität der Bank erhöhen.
Rüttgers machte auch deutlich: Sollte sein Kompromissvorschlag nicht angenommen werden, würde er den Landesanteil verkaufen. Die Sparkassen hätten dann zwar ein Vorkaufsrecht. Aber wegen des Kaufs der Berliner Landesbank und anderer Probleme vor Ort haben sie derzeit kaum Geld für weitere Milliardenausgaben.
Verdutzt nahm Helaba-Chef Günther Merl den Vorstoß zur Kenntnis. Er erfuhr davon erst am vergangenen Mittwoch. Doch sein Murren und das Unbehagen anderer Sparkässler ebbte schnell ab.
Der mächtige Sparkassenverband DSGV hatte die Signale verstanden. Eine Fusion der WestLB mit der LBBW hatte Rüttgers kategorisch ausgeschlossen. Der Kompromiss bot zumindest die Möglichkeit, gesichtswahrend zu verhindern, dass Rüttgers den Landesanteil an private Investoren verkaufen könnte.
Ob es aber wirklich zur Fusion kommt, ist noch unklar. Rüttgers will den Zusammenschluss und wird deshalb auch personelle Veränderungen vornehmen. In Düsseldorf gehen Insider davon aus, dass Alexander Stuhlmann, der glücklose Interims-Chef, seinen ohnehin nur bis Ende März 2008 laufenden Vertrag nicht erfüllen wird.
Als Nachfolger ist, ab Januar oder Februar, Bernd Fahrholz im Gespräch. Der frühere Vorstandschef der Dresdner Bank gilt als enger Vertrauter Kochs. Mit Widerstand aus Hessen muss Rüttgers deshalb voraussichtlich nicht rechnen.
Bei anderen Landesbanken rangiert indes die Eitelkeit immer noch vor der Einsicht. Die Bayern etwa hatten noch unter dem damaligen Ministerpräsidenten Edmund Stoiber einen Flirt mit der WestLB erwidert. Doch der Vorstoß, mit dem die Düsseldorfer dann den Avancen der Stuttgarter LBBW einen Korb geben wollten, verpuffte. Wenige Wochen später versuchte der bayerische Sparkassenpräsident Siegfried Naser, die sogenannte Südschiene wieder zu reanimieren. Ein Zusammengehen der BayernLB mit der LBBW sollte nun das Heil bringen. Auch diese Pläne floppten.
Doch wenn mit der geplanten Fusion von WestLB und Helaba erst einmal Schwung in das Bankenlager kommt, könnte in München Torschlusspanik einsetzen. Denn auch die Bayern haben Probleme. Auch in München sorgt die Kreditkrise für enorme Belastungen.
Drei wackelige Fonds mit einem Volumen von rund 16 Milliarden Euro müssen in die Bilanz genommen werden. Im Bereich US-Ramschhypotheken rechnen die Buchhalter mit einem Zahlungsausfall von rund hundert Millionen Euro. Hinzu kommen Rücklagen für Neubewertungen, weil die Preise für die komplexen Kreditprodukte weggebrochen sind. Nach internen Schätzungen werden bis zu 800 Millionen Euro zusammenkommen.
BEAT BALZLI, WOLFGANG REUTER, STEFFEN WINTER