Karl Nolle, MdL

Frankfurter Rundschau, 14.12.2007

Abstieg der schwarzen Zwerge

Leitartikel von Rouven Schellenberger
 
Die märchenhafte Zeit der Unions-Ministerpräsidenten ist vorbei. Die Königin sitzt in Berlin. Milbradt war ohnehin nie König von Sachsen. Besser für Merkel und ihn, wenn er die Bank-Krise nicht aussitzt.

Es war einmal vor nicht allzu langer Zeit, da war man als Unions-Ministerpräsident in Deutschland wichtig. Angela Merkel behandelte einen mit Respekt. Erst als Kandidatin, später als frischgebackene Kanzlerin ließ sie sich sogar mitunter in die Ecke drängen. Und selbst in der Sozialdemokratie redeten sie über die einst jungen Wilden wie über einen mächtigen Geheimbund, mit dem man sich besser nicht anlegt. Man muss an diese Zeit erinnern, denn von der Machtfülle der Unions-Regierungschefs ist inzwischen nicht mehr viel übrig. Georg Milbradt, der gleichermaßen glücklose wie unglücklich dreinschauende Ministerpräsident Sachsens, ist ein weiterer Beleg dafür, dass die großen Schwarzen zu schwarzen Zwergen geschrumpft sind.

Natürlich hat jeder Unions-Ministerpräsident seine ganz eigene Geschichte. Milbradt etwa litt von Anfang an darunter, dass er zwar die Köpfe der Sachsen erreichte, nie aber deren Herzen. Nach dem unrühmlichen Abgang des allmächtigen Landesvaters Kurt Biedenkopf stand dessen Gegenspieler Milbradt für einen neuen, nüchternen Politikstil, für eine verlässliche Wirtschaftspolitik, die es im ostdeutschen Wunderland Sachsen nur mehr seriös fortzuführen galt. Aus diesem Grund, und nur aus diesem Grund, arrangierten sich die Sachsen mit dem Finanzexperten aus dem Sauerland. Aber sie arrangierten sich eben nur mit ihm. Sie freundeten sich nicht wirklich mit ihm an. Und bewundert oder gar geliebt haben sie ihn nie.

Milbradts vermeintliche Stärke ist nun zu seiner größten Schwäche geworden. Ausgerechnet der Herr der Zahlen muss nun die Verantwortung dafür tragen, dass in der sächsischen Landesbank nicht einmal die einfachsten Grundrechenarten befolgt wurden. Plötzlich wiegen auch die Versäumnisse schwer, die Milbradt mit wirtschaftlichen Erfolgen lange überdecken konnte: Das fehlende Konzept gegen den Vormarsch der Rechten, die in Sachsen längst zum festen Bestandteil der Alltagskultur geworden sind. Und die falsch verstandene Solidarität mit seinen Mitbürgern, als Milbradt bei der Inder-Hatz von Mügeln die Mügelner als Opfer einer hysterischen Debatte verteidigte. Fehler waren das, die man einem Landesvater Biedenkopf wohl weniger übelgenommen hätte.

Der sich abzeichnende Fall Georg Milbradts ist allerdings weit mehr als nur ein Fall Milbradt oder ein Fall Sachsen. Er erzählt auch viel über die Machtverschiebung in Deutschland und in der Union. Die Ministerpräsidenten von CDU und CSU nämlich sind in Zeiten der großen Koalition zu Statisten verkommen. Das hat Edmund Stoiber zu spüren bekommen, der Bayern fälschlicherweise zu lange als Machtzentrum verortet hatte. Das lässt sich beobachten am saarländischen Regierungschef Peter Müller, der von der bundesdeutschen Politikbühne fast völlig verschwunden ist. Auch Roland Koch, Christian Wulff, Günther Oettinger und Jürgen Rüttgers werden nicht mehr als zentrale Spieler im großen Spiel wahrgenommen. Sie sind nur noch Herren im ländlichen Reich und deshalb auch kleiner und verletzlich. So angreifbar sind sie geworden, dass sie sich auch vor den Parteifreunden im eigenen Land in Acht nehmen müssen.

Für Bundeskanzlerin Angela Merkel ist die neue Machtkonstellation zunächst einmal eine bequeme Sache. Sie kann sich auf ihre wahren politischen Gegner konzentrieren. Ihren eigenen Laden muss sie selbst bei sozialdemokratischen Beschlüssen wie dem Post-Mindestlohn nicht mehr fürchten. Die Phalanx der Unions-Ministerpräsidenten, die sie bei der Gesundheitsreform einst noch zur Umkehr gezwungen hat, gibt es nicht mehr. Merkel und die Mechanik der großen Koalition haben die lange kraftstrotzenden Landesfürsten auf Mittelmaß zurechtgestutzt.

Die Krise in Sachsen kommt der Kanzlerin dennoch ungelegen. Bei den Landtagswahlen in Hessen, Niedersachsen und Hamburg droht der Union zwar nicht die Opposition. Auf empfindliche Verluste allerdings müssen sich die Konservativen einstellen. Und bei der zu erwartenden Unruhe kann sich die Kanzlerin keinen weiteren Brandherd leisten. Milbradt würde Merkel und seinem Land also einen Gefallen tun, wenn er die sächsische Krise nicht über Monate aussäße. Merkel müsste dann zwar ihren engen Vertrauten, Kanzleramtschef Thomas de Maizière, als Retter nach Sachsen schicken. Sie würde damit aber auch zeigen, dass der Arm der Kanzlerin bis tief in die Länder reicht.