Karl Nolle, MdL
Sächsische Zeitung, 03.01.2008
„Ich sehe keinen, der Biedenkopfs Glanz und Milbradts Können verbindet“
Der Politikwissenschaftler Werner J. Patzelt aus Dresden rät der CDU in Sachsen von einem Führungswechsel ab.
Herr Patzelt, wie groß ist der Imageschaden, den Sachsen 2007 erlitten hat?
Leider hat Sachsen wirklich einen Imageschaden erlitten – wenn auch die CDU sowie der Ministerpräsident mehr noch als das Land selbst. Erstens erweckte die angebliche Mafia- und Rotlichtaffäre, durch eine unglückselige Landtagsrede des Innenministers noch weiter dramatisiert, den Eindruck, ganz zu Unrecht gelte Sachsen als ostdeutsches Musterland. Und zweitens hat die Finanzkrise der Landesbank in – bislang – zwei Akten nicht nur das Ansehen der bis dato finanzpolitisch untadeligen Staatsregierung und ihres Chefs beschädigt, sondern obendrein Häme ins vor allem beneidende oder gar bewundernde Gespräch über Sachsen gebracht. Im Übrigen habe ich den Eindruck, dass manche gar nicht so unglücklich über diesen Imageschaden sind: Über Pech des Primus freute man sich schon an der Schule.
Ist die CDU/SPD-Koalition aus Ihrer Sicht stabil?
Solange die Sonntagsfrage der CDU keine vergrößerte Mandatszahl und der SPD keine tragfähige Parlamentsmehrheit ohne die CDU in Aussicht stellt, können beide Parteien an sich vermeidbare Neuwahlen nur fürchten. Das aber zwingt die Koalition zum Zusammenbleiben – wie eine schlechte Ehe, bei deren Scheidung großer finanzieller Schaden droht. Und da ich nicht sehe, wie die CDU in den nächsten Monaten an Wählerattraktivität gewinnen oder dass die SPD auf mehr an Macht denn in einer Großen Koalition hoffen könnte, halte ich diese Koalition bis auf Weiteres für stabil. Ein durch größere Krisen belastbares Bündnis ist sie aber nicht.
Wie beurteilen Sie die von Milbradt im Herbst berufenen Neulinge im Kabinett?
Ob die Neuzugänge in der Ministerriege das Kabinett wirklich stärken, bleibt abzuwarten. Für die Staatskanzlei erwarte ich hingegen einen neuen Zug – wobei für mich offen ist, wie weit Biedenkopfs ehemaliger Vertrauter Sagurna wirklich bereit ist, mit dem Ministerpräsidenten Milbradt durch dick und dünn zu gehen.
Steht die CDU 2008 vor einem Führungswechsel?
Eigentlich hätte die sächsische CDU viel länger schon so manchen Führungswechsel vollziehen sollen, aber eher im Mittelbau als ganz an der Spitze. Die vielen Jahre der absoluten Mehrheit haben sie nämlich ein wenig selbstgefällig gemacht, auch hinsichtlich der Anforderungen an ihr regionales und lokales Führungspersonal. Vor allem im durch Selbstzufriedenheit ausgelösten Verzicht auf personelle und programmatische Erneuerung sehe ich die Ursache des dramatischen Absturzes bei der letzten Landtagswahl. Gewiss war auch der Spitzenkandidat, der weiterhin sein Amt führende Parteivorsitzende und Ministerpräsident, dafür verantwortlich – nicht zuletzt, weil er eine so starke Personalisierung auf sich zuließ, ohne ihr entweder in der Rolle des Landesvaters oder in der des Volkstribunen dann auch ganz gerecht zu werden. Doch tatsächlich kam in der ganzen Sachsenunion verbreiteter Hochmut vor diesem Fall. Im Übrigen tut es der CDU gar nicht gut, dass seither so mancher Parteigrande das Geschehen wie von der Tribüne aus betrachtet und viel lieber auf Fehler des Leitwolfs wartet, als seinerseits auf eine inhaltliche Erneuerung hinzudrängen – und sei es in Verbindung mit der innerparteilichen Machtfrage.
Was raten Sie der Union?
Sich inhaltlich neu aufzustellen: einesteils mit einem der bayerischen CSU ähnlichen Profil als Partei auch der kleinen Leute und der sozialen Gerechtigkeit; andernteils als Partei jener, die gern Deutsche sein und das auch – mit verfassungspatriotisch korrektem Tonfall – zeigen wollen. Wer immer für eine solche, gewiss wählerattraktive Neuakzentuierung steht, sollte die Partei führen. Allerdings sehe ich noch keinen, der wirklich Biedenkopfs Glanz, Milbradts Können und eine solche inhaltliche Spannweite in authentischer Ausstrahlung verbinden könnte. Ein Führungswechsel allein um des Wechsels willen wird der Union aber nicht helfen.
Wie bewerten Sie die Aussichten der Opposition, in absehbarer Zeit in Sachsen in Regierungsverantwortung zu gelangen?
Ich bin überzeugt, dass SPD, Linkspartei und Grüne wirklich jede sich bietende Chance nutzen werden, die CDU in die Opposition zu schicken. Und es würde mich gar nicht wundern, wenn sich auch die FDP auf deren Seite ziehen ließe mit dem Argument, der Wähler habe doch ein klares Signal zur Ablösung der CDU gegeben – sodass es nachgerade zur staatspolitischen Pflicht der FDP erklärt werden könnte, hier einesteils „dem Volkswillen“ nachzugeben und andernteils „das Schlimmste zu verhüten“. Stimmt diese Einschätzung, dann hat es der sächsische Wähler wirklich in der Hand, schon recht bald die jetzige Opposition an die Macht zu bringen. Spannend wird dann sein, wem man das Amt des Ministerpräsidenten zuweist.
Halten Sie den bundesweit ersten Ministerpräsidenten der Linken in Sachsen für denkbar?
Das ist eine ebenso kühne Vorstellung wie jene, dass die Linkspartei unter einem Politiker der allenfalls halb so großen SPD dienen wird. Und vor solchen riesigen strukturellen Spannungen, die auf eine von der bisherigen Opposition getragenen Staatsregierung zukommen werden, verblasst die Frage nach der Qualität des Führungspersonals nachgerade. Ich meine: Wer politisch schon ausreichend beschlagen ist und sich in die Disziplin seines Amtes nehmen lässt, der wird – von der Ministerialverwaltung gut beraten, von einer sachkundigen CDU-Opposition mit wirkungsvollen Angriffen bedroht – seine Pflichten schon ordentlich erfüllen.
Wird sich 2008 die regulär im Herbst 2009 anstehende Landtagswahl auf die Regierungstätigkeit auswirken?
2008 wird sich das mittelfristige Schicksal des Ministerpräsidenten entscheiden: Gewinnt er die erforderliche Stärke dafür zurück, im Folgejahr unangefochtener Spitzenkandidat der CDU zu werden, oder hält sich die Diskussion darüber, ob er ein die Partei zusammenhaltender und motivierender Spitzenkandidat sein kann?
Zur Antwort auf diese Frage wird die weitere wirtschaftliche Entwicklung der Sächsischen Landesbank im Schoße ihres neuen Eigners ebenso beitragen wie die Kreisreform, die parlamentarische Untersuchung der Verfassungsschutzaffäre oder das Taktieren in Sachen Dresdner Waldschlößchenbrücke. Bei alldem wird sich Symbolisches leicht verselbstständigen und in der Lage sein, Krisen sogar um Pseudoprobleme herum auszulösen. Auch kann es gar nicht anders sein, als dass beide Koalitionspartner stets im Blick haben, wann ihre widerwillig eingegangene Ehe ohnehin geschieden wird und mit welchen Auftritten sie ihre Chancen auf eine für sie attraktivere Liaison steigern könnten. Deuten sich demoskopisch erneut auf klare Mehrheiten hinauslaufende Umschichtungen im Wahlverhalten an, dann kann sich der Wahltermin auch unschwer nach vorn verlagern – bis ins Jahr 2008.
Das Gespräch führte Tino Moritz, ddp