Karl Nolle, MdL
DNN/LVZ, 21.01.2008
Schwere Vorwürfe gegen sächsische Juristen
Aktenaffäre: Ehemalige Prostituierte belasten Richter und Ex-Oberstaatsanwalt
Dresden. Wende in der Affäre um Geheimakten des sächsischen Verfassungsschutzes: Am Wochenende wurde bekannt, dass erstmals Zeugen aufgetaucht sind, die mehrere sächsische Beamte erheblich belasten. Nach einem Bericht des Spiegel handelt es sich dabei um drei ranghohe Juristen, die früher in Leipzig tätig waren. Zwei von ihnen, ein ehemaliger Richter am Landgericht sowie ein Ex-Oberstaatsanwalt, seien als Kunden eines Leipziger Kinderbordells wiedererkannt worden. Der dritte, ein Richter am Dresdner Oberlandesgericht, sei als Geschäftsfreund des Bordellbetreibers identifiziert worden.
Die Vorwürfe basieren auf den Aussagen von zwei ehemaligen Prostituierten aus Leipzig, die letzten Montag von der Dresdner Staatsanwaltschaft vernommen wurden. Laut Spiegel bestreiten die Beschuldigten die Version der Zeuginnen. Oberstaatsanwalt Christian Avenarius bestätigte gestern die Vernehmungen, wollte sich aber nicht zu Details äußern. Derzeit seien die Protokolle noch nicht fertig. Avenarius kündigte an, dass in Kürze „noch viele andere Zeugen“ gehört würden. Die laufenden Ermittlungen seien aber „durch die Veröffentlichung nicht einfacher geworden“.
Als problematisch könnte sich noch herausstellen, dass die früheren Prostituierten Kontakt zu einem Anwalt haben, der auch einen Leipziger Polizisten vertrat, der gegen die Organisierte Kriminalität (OK) ermittelte und dabei selbst ins Visier der Behörden geriet. Strafrechtlich relevant sind die Aussagen der Zeuginnen nicht, da die Vorwürfe längst verjährt sind. Allenfalls könnten sie disziplinarrechtliche Folgen für die Betroffenen haben. Erheblich allerdings ist der mögliche Imageschaden für Politik und Justiz. Sollten die Aussagen zutreffen, wäre genau jener ranghohe Jurist Kunde im Kinderbordell gewesen, der später das Urteil gegen den Bordellbetreiber gesprochen hatte – ein handfester Skandal.
Darüber hinaus könnte dies ein neues Licht auf Merkwürdigkeiten rund um die früheren Ermittlungen in Leipzig werfen. So wurden die Mädchen im ersten Prozess Mitte der 90er Jahre offenbar nicht nach den Freiern gefragt, obwohl es handfeste Hinweise gab; im zweiten Ermittlungsverfahren ab 2000 wurde ihnen zwar eine Lichtbildmappe mit möglichen Kunden vorgelegt, die ranghohen Juristen aber fehlten darin. Und schließlich gab es Gerüchte, der Bordellbetreiber habe mit vier Jahren Haft nur deshalb ein mildes Urteil erhalten, weil er die Namen einiger Leipziger Honoratioren nicht preisgab.
Jürgen Kochinke