Karl Nolle, MdL

DNN/LVZ, Seite 4, 24.01.2008

Spannung und Streitlust bis zuletzt - Koalition beschließt Kreisreform

SPD-Mann Nolle sorgt für neuen Zündstoff: Milbradt soll gehen
 
Dresden. Um 16.33 Uhr ist es soweit: Nach stundenlanger Debatte läuft im sächsischen Landtag die zentrale Abstimmung des Tages. Das Publikum steht auf den Rängen, Reporter notieren Namen von Abweichlern, die Stimmung ist angespannt wie selten im Parlament. Doch am Ende fällt das Ergebnis aus wie erwartet: Nur 54 Abgeordnete der Opposition und der Koalition stimmen für den künftigen Kreissitz in Grimma – darunter die CDU-Abgeordneten Angelika Pfeiffer, Jutta Schmidt und Hermann Winkler. Ex-Wirtschaftsminister Martin Gillo (CDU) enthält sich. Aber der Rest der Koalitionäre, exakt 62, votieren für Borna – die Mehrheit.

Mit dieser Entscheidung für den neuen Landkreis Leipzig ist die heikelste Klippe der Kreisreform genommen. Auch bei den weiteren strittigen Punkten – wie Döbeln, Annaberg/Aue oder Plauen – setzt sich die Regierungsmehrheit selbst gegen Änderungsanträge aus den eigenen Reihen durch. In der Schlussabstimmung am Abend gibt es ebenfalls keine Überraschungen mehr. Mit einer Ausnahme: Der Döbelner CDU-Abgeordnete Wolfgang Pfeifer verweigerte dem Gesamtwerk die Zustimmung.

Dabei hatte Angelika Pfeiffer zuvor mit Vehemenz für ihren Antrag geworben. Schon ihr Eingangssatz war emotional wie selten: „Liebe Kollegen, liebes Publikum auf der Tribüne ...“ Und prompt gab es heftigen Applaus von den angereisten Zuschauern aus Grimma von oben. Wie ihre CDU-Mitstreiterin Jutta Schmidt verwies auch Pfeiffer darauf, dass Grimma „die stärkere Stadt“ sei, und Leuchttürme müssten gestärkt werden.

Während der anschließenden, stürmisch geführten Debatte verwiesen fast alle Redner der Opposition – von André Hahn (Linke) bis Johannes Lichdi (Grüne) – immer wieder auf jenen Satz, den Regierungschef Georg Milbradt (CDU) gegenüber dieser Zeitung gesagt hatte: „Der Kreissitz Borna ist ein Teil der Absprachen mit der SPD.“ Nach erheblicher Kritik aus eigenen Reihen hatte er das zwar hinterher ins Reich der Fabeln verwiesen und betont, es hätte keine Entscheidungen unter parteipolitischen Gesichtspunkten gegeben. In der Debatte gestern aber hielt ihm die Opposition eben dies gleich im Dutzend vor.

Vertreter der Koalition wie Margit Weihnert (SPD) wiesen die Vorwürfe zurück. Tenor: „Wir wären doch mit dem Klammerbeutel gepudert, wenn wir bei solch einer hochsensiblen Frage Absprachen träfen.“ Für ein wenig Ärger innerhalb der CDU/SPD-Koalition sorgte es dennoch. So kritisierte Stefan Brangs, Parlamentarischer Geschäftsführer der SPD-Fraktion, Milbradt dafür, dass dieser sich nicht im Plenum zur Streitfrage äußern wollte.

Mit gewohnter Streitlust reagiert dafür Matthias Berger, der parteilose Bürgermeister von Grimma, nach der Abstimmung. „Der Ministerpräsident ist unser bester Zeuge”, sagt er und kündigt eine Klage gegen die Reform an. Auch der Landrat des Muldentalkreises, Gerhard Gey (CDU), droht mit Klage. Dabei war das Scheitern des Pro-Grimma-Antrags absehbar, bereits am frühen Nachmittag war die Generallinie klar: Bis auf wenige Abweichler mit Regionalinteressen ist die Koalitionsmehrheit nie in Gefahr.

Mit dem Gesetz, das zum 1. August in Kraft tritt, sinkt die Zahl der Landkreise von 22 auf zehn, die der kreisfreien Städte wie Hoyerswerda und Görlitz verringert sich von sieben auf die drei Zentren Dresden, Leipzig und Chemnitz. „Bürgernäher“ solle die Verwaltung werden, hatte Innenminister Albrecht Buttolo (CDU) zuvor betont. Die Kommunen würden stärker und leistungsfähiger. Die Opposition lässt das nicht ruhen. FDP-Chef Holger Zastrow kündigte an, die Liberalen würden die Klagen Grimmas und Plauens unterstützen. Eine Klage hat auch die Linke im Parlament in Arbeit.

Am Abend sorgte dann SPD-Mann Karl Nolle mit einer Erklärung erneut für böses Blut in der Koalition. Er habe für die Reform gestimmt, weil er seine Verantwortung für das Land ernst nehme. Dies erwarte er auch von Milbradt in Sachen Landesbank. Alles andere sei „Verantwortungslosigkeit zum Schaden Sachsens und zum Schaden der Koalition“, so Nolle. Gerade deshalb hoffe er, „dass der Ministerpräsident dem Elend ein Ende bereitet, von alleine geht und nicht wie ein starrköpfiger Altbauer von seiner eigenen Partei, in der er die Mehrheit schon lange verloren hat, mit dem Trecker vom Hof gezerrt werden muss.“ Kritik kam auch vom SPD-Finanzexperten Mario Pecher.

CDU-Generalsekretär Michael Kretschmer reagierte empört: „Leute, die an einem solchen Tag so auftreten, zeigen, dass sie die Koalition nicht wollen.“ SPD-Fraktionschef Martin Dulig versuchte die Aufregung zu dämpfen. „Diese Verquickung der Kreisreform mit der SachsenLB ist Unsinn. Wir haben anderthalb Jahre an dem Reformpaket gearbeitet. Das ist nicht die Meinung der Fraktion.“
Ministerpräsident Georg Milbradt (CDU) erklärte: „Heute ist ein wichtiger Tag für Sachsen.“ Die Reform sei ein Dienst im Interesse der Bürger des Landes. Dass der Freistaat mit der Reform auch Vorreiter sei, demonstriere die Stärke des Landes. „Dass in Sachsen bei allen Kontroversen so wichtige und komplexe politische Reformen möglich sind, sollte uns stolz machen.“
Von SVEN HEITKAMP und JÜRGEN KOCHINKE