Karl Nolle, MdL

Freie Presse Chemnitz, 30.01.2008

"Ich hätte distanzierter sein sollen"

Klaus Bartl (Linkspartei) räumt eine vorschnelle Bewertung der angeblichen sächsischen Korruptionsaffäre ein
 
Chemnitz/Dresden. In der angeblichen sächsischen Korruptionsaffäre war Klaus Bartl (Linkspartei) Speerspitze der Opposition, die Sachsens Polizei, Justiz und Politik von einem kriminellen Netzwerk unterwandert sah. Der Chemnitzer Jurist ist zudem Vorsitzender des Untersuchungsausschusses. Mit Bartl sprach Hubert Kemper.

Freie Presse: Sie sind heute ergebnisoffen, was die Einschätzung der Ermittlungen der Staatsanwaltschaft betrefft. Im Umkehrschluss: Bisher waren Sie es nicht?

Klaus Bartl: Vor Emotionalität und vorschnellen Bewertungen ist ein Politiker nicht gefeit. Auch ich bin im Mai, Juni 2007 von der Wucht der Vorwürfe voll erwischt worden.

Freie Presse: Sie haben die Informationen über die Materialsammlung des Verfassungsschutzes unreflektiert und unkritisch übernommen?

Bartl: Auch die Mitglieder der Parlamentarischen Kontrollkommission waren zunächst, ebenso wie der Innenminister, von der Aktenlage beeindruckt. Zur Erklärung hilft vielleicht der Hinweis auf mein erstes berufliches Leben in der DDR. Die Staatssicherheit hatte völlig andere Befugnisse als der Verfassungsschutz, der ja nur Vorfeld-Ermittlungen durchführte. Es kann sein, dass ich mir das zu spät bewusst gemacht habe.

Freie Presse: Sie haben die Glaubwürdigkeit der sächsischen Ermittlungsbehörden in Zweifel gezogen und den Fall der Generalbundesanwaltschaft übertragen wollen.

Bartl: Das sehe ich heute in einem anderen Licht. Seitdem der neue Generalstaatsanwalt Fleischmann im Amt ist, ist eine neue Qualität von Objektivität spürbar. Auch deswegen vertraue ich dem jetzigen Ermittlungsteam und sehe keinen Sinn darin, heute nach der Generalbundesanwältin zu rufen.

Freie Presse: Auch Ihre politische Kampagne hat dem Freistaat schweren Schaden zugefügt.

Bartl: Moment: Von landesweitem Sumpf habe ich nie gesprochen, auch nicht von staatsgefährdenden Umtrieben durch die Mafia. Ich gebe zu, dass ich distanzierter an die Bewertung der Verfassungsschutz-Erkenntnisse hätte gehen sollen. Dass jedoch alles erschwindelt war, hat sich bisher auch nicht bestätigt.

Freie Presse: Was stimmt an dem Vorwurf, dass Sie zusammen mit Ihrer früheren DDR-Staatsanwaltskollegin H., die im Verfassungsschutz die Ermittlungen geführt hat, zusammengearbeitet haben?

Bartl: Ich kenne diese frühere Staatsanwältin lediglich aus einer Kinderschänderprozess-Serie in den 9oer Jahren in Dresden, in der sie mit großer fachlicher Kompetenz aufgefallen ist.

Freie Presse: Und Ihr Mandat für den früheren Leipziger Polizisten Wehling, der als Quelle für Frau H. im Verfassungsschutz gearbeitet haben soll?

Bartl: Fakt ist, dass Wehling nur einer von wenigstens einem halben
Dutzend Kriminalisten und Staatsanwälten im Arbeitsbereich Organisierte Kriminalität war, die vom Verfassungsschutz abgeschöpft worden sind. Ich habe Wehling Ende 2006 im Zusammenhang mit eigenen Recherchen zu den Vorwürfen des Verfassungsschutzes kennengelernt, weil dessen Dossiers geschreddert werden sollten. Wehling habe ich anwaltlich ab Januar 2007 in einem Verfahren gegen die Staatsanwaltschaft vertreten. Er sah sich unschuldig verfolgt.

Freie Presse: Ein Vorwurf an Sie lautet, den Skandal genutzt zu haben, um das Vertrauen in das jetzige System zu zerstören. Wünschen Sie sich die DDR zurück?

Bartl: Wer wie ich in der DDR in führender Position gearbeitet hat, ist vor solchen Unterstellungen für den Rest seines Lebens berechtigterweise nicht sicher. Mein Bemühen ist im Gegenteil, die Zweifel der Menschen an der Gerechtigkeit in der heutigen Bundesrepublik aufzunehmen. Und ich will mithelfen, dass jeder vor dem Gesetz gleich ist. Wenn ich gelegentlich in Verdacht gerate, zu überzeichnen, dann auch aus diesem Bemühen heraus.

Freie Presse: Gehen Sie heute also eher von einem Skandal aus, der gar keiner war?

Bartl: Eben das würden wir gern ermitteln, können aber erst richtig loslegen, wenn uns das Verfassungsgericht geholfen hat, endlich an Akten und Zeugen zu kommen. Und wenn uns dann alle Erkenntnisse vorliegen, wäre ich der Letzte, der sich scheut, der Bevölkerung zu sagen: Wir haben uns geirrt, es war in der Tat nur eine Aktenaffäre im Verfassungsschutzamt.