Karl Nolle, MdL
Stuttgarter Zeitung, 24.01.2008
Wie viel wusste Georg Milbradt wirklich?
Sachsen und LBBW sind sich uneins, ob die Stuttgarter bei der SachsenLB noch aussteigen können
Angesichts der aktuellen Börsenturbulenzen wächst in Dresden die Furcht vor einem Fälligwerden der Milliardenbürgschaft für die SachsenLB. Zudem verdichten sich die Indizien, dass man im Milbradt-Kabinett sehr wohl schon lange das Spekulationsrisiko kannte.
In dem Maße, wie es derzeit an den Börsen und Banken bergab geht, wächst auch in Sachsen die Nervosität. Schon orakelt mancher im Umfeld der Dresdener Regierung recht offen: Es werde immer wahrscheinlicher, dass man doch in den nächsten zwei Jahren jene 2,75 Milliarden Euro werde abstottern müssen, die Sachsen beim Verkauf seiner insolventen Landesbank an die LBBW als Bürgschaft übernommen hatte.
Zu Unruhe führte dieser Tage auch ein kleiner Fingerzeig aus Stuttgart, wonach der dramatische Notverkauf des Leipziger Geldinstituts, der kurz vor Weihnachten endgültig besiegelt schien, doch noch platzen kann. Damals hatte der sächsische Finanzminister Stanislaw Tillich (CDU) wiederholt betont, bis Jahresende müsse der Deal verbindlich unter Dach und Fach sein. Doch nun bestätigte der neue Besitzer LBBW einen Zeitungsbericht, dass man aufgrund einer Verlängerung des Rücktrittsrechts gegebenenfalls noch bis Mitte Februar den Kauf stornieren könne. So rang Tillich nun um Fassung und Worte und präsentierte schließlich seine Sicht zum Kleingedruckten des für beide Seiten schwer verdaulichen Kontrakts: Nicht die LBBW könne sich noch zurückziehen, sondern das Land Sachsen, nämlich von jener Milliardenbürgschaft. Die LBBW stellt die Dinge etwas anders dar: Bis zum 15. Februar verwalte sie die Leipziger Bank treuhänderisch. Solange gelte die Vereinbarung, von der Übernahme zurücktreten zu können. Das sei aber ein rein formaler Akt.
Ungeachtet dessen hat aber die EU-Kommission das letzte Wort zum Eigentümerwechsel bei der SachsenLB. Als Knackpunkt gilt hierbei, ob für das sächsische Bankhaus Staatsbeihilfen flossen. Sollte dies der Fall sein, müssen die Brüsseler Kommissionäre besonders pingelig auf die Einhaltung der Wettbewerbsregeln am europäischen Geldmarkt achten. Doch schon die Einleitung eines formalen Prüfverfahrens durch die Wettbewerbskommission könnte den endgültigen Vollzug des Bankverkaufs an die LBBW um Monate, womöglich sogar ein, zwei Jahre verzögern. Schon fehlt es nicht an Mahnern in Sachsen, die dem Land wegen jener Bürgschaftsverpflichtung noch für 2008 dreistellige Millionenverluste prophezeien.
Immer enger wird es für den Ministerpräsidenten Georg Milbradt (CDU) aber auch aus anderem Grund. Denn die Indizien verdichten sich, dass er durchaus nicht so kalt von den Ereignissen überrascht wurde, wie er immer behauptet. Vor dem Landtagsuntersuchungsausschuss, der sich mit diesem Thema seit Monaten befasst, sagte nun ein 41-jähriger Banker aus, der bestens mit der Materie vertraut ist: Denn Claus-Harald Wilsing leitete bis 2005 jene irische Dependance, die SachsenLB Europe, deren Ruin schließlich die ganze Bank in den Strudel zog. Wie er berichtete, sei noch zu Zeiten, als Milbradt sächsischer Finanzminister war, die Entscheidung gefallen, die SachsenLB in die Untiefen eines Auslandsgeschäfts schippern zu lassen.
Im Jahre 2005 habe es aber bereits warnende Stimmen gegen eine Ausweitung dieser schwer kalkulierbaren Aktivitäten gegeben. Wilsing will seinerzeit darauf gedrängt haben, die Banktochter zu verkaufen, was zu diesem Zeitpunkt noch mit einem Gewinn von einer halben Milliarde Euro möglich gewesen wäre, wie er sagte. Als jedoch der damalige Finanzminister Horst Metz (CDU) nicht darauf einging, sondern stattdessen mit der neu gegründeten Zweckgesellschaft Ormond Quay "exorbitante Risikogeschäfte" ansteuerte, habe er gekündigt.
Mit jener Neuausrichtung der Dubliner Niederlassung wurde, wie Wilsing vor den Abgeordneten berichtete, die Obergrenze für jene hochspekulativen Aktivitäten von 2005 an nach und nach auf schließlich 17 Milliarden Euro hochgesetzt. Diese Summe überstieg sogar den damaligen sächsischen Jahresetat. Dennoch beinhaltete laut Wilsing eine Sonderklausel, dass das Mutterhaus SachsenLB - also der Freistaat Sachsen - im Fall des Scheiterns das komplette Risiko trägt. Über all jene Fußangeln sollen seinerzeit auch der Kreditausschuss der Landesbank sowie die beiden Dresdener Regierungsparteien CDU und SPD informiert worden sein. Ende März muss nun auch Milbradt zwei Tage lang dem Untersuchungsausschuss zu diesen Vorwürfen Rede und Antwort stehen.
Von Harald Lachmann, Leipzig