Karl Nolle, MdL

Die Zeit, 07.02.2008

Nationaler Betrüger

Die NPD steckt in einer Finanz- und Spendenaffäre. Nun soll auch noch der Schatzmeister 627.000 Euro aus der Parteikasse unterschlagen haben. Droht das Aus?
 
Es ist erst eine Woche her, da hatte die NPD noch gejubelt. Die Wahlen in Hessen und Niedersachsen waren für die neonazistische Partei mit 0,9 und 1,5 Prozent zwar alles andere als erfolgreich verlaufen. Aber weil DVU und Republikaner seit Jahren kontinuierlich Mitglieder verlieren, hat die NPD nach Erkenntnissen des Verfassungsschutzes mit 7200 Kameraden nun mehr Mitglieder als die Rechtsaußen-Konkurrenz. „Wir sind die stärkste nationale Kraft“, tönte NPD-Chef Udo Voigt und kündigte einmal mehr an, seine Partei werde 2009 in den Bundestag einziehen. Auch staatlichen Repressionen und Verbotsdrohungen könnten die "nationale Opposition" nicht aufhalten.

Möglicherweise stolpert die NPD jedoch darüber, dass es in den eigenen Reihen längst nicht so akkurat und korrekt zugeht, wie es die Recht und Ordnung liebende Partei so gerne verkündet. Vor allem dann, wenn es um die eigenen Finanzen geht. Am Donnerstagmorgen durchsuchten zwei Dutzend Polizeibeamte die NPD-Bundesgeschäftsstelle in Berlin Köpenick, sichteten Computer und Akten. Darüber hinaus wurden Geschäftsräume und Privatwohnungen in Nordrhein-Westfalen und Niedersachsen sowie die Büroräume der Parteizeitung „Deutsche Stimme“ im sächsischen Riesa durchsucht. Der Schatzmeister der Partei, Erwin Kemna, wurde wegen des Verdachts der gewerbsmäßigen Untreue und der Geldwäsche verhaftet.

Die Staatsanwaltschaft Münster wirft Kemna vor, aus der Parteikasse 627.000 Euro entwendet zu haben. In insgesamt 65 Transaktionen soll er das Geld vom Parteikonto in seine private Firma, eine Geschenkboutique im westfälischen Ladbergen, umgeleitet haben. Aufgrund des Hinweises eines Geldinstitutes ermittelt die Staatsanwaltschaft bereits seit März 2007 gegen Kemna.

Die NPD wollte am Donnerstag zu den Vorwürfen nicht Stellung nehmen. Sie teilte lediglich mit, dem Staat werde es nach dem gescheiterten Verbotsverfahren nicht gelingen, der NPD nun finanziell den Garaus zu machen.

Dabei ist dies längst nicht mehr ausgeschlossen. Denn der mögliche Betrug gegen die eigene Partei ist nicht das einzige Problem, das Kemna seiner Partei derzeit bereitet. Darüber hinaus steht der Schatzmeister auch im Verdacht, tief in eine innerparteiliche Finanzaffäre verwickelt zu sein.

Seinen Ausgangspunkt nahm diese Affäre in den neunziger Jahren in Thüringen. Der dortige Landesverband der NPD hatte damals in großem Umfang falsche Spendenquittungen ausgestellt. Er soll den Fiskus damit um 163.613 Euro betrogen haben. Bereits im Juni 2006 war der ehemalige NPD-Landesvorsitzende von Thüringen Frank Golkowski deshalb vom Amtsgericht Erfurt wegen Steuerhinterziehung in 135 Fällen zu einer zweijährigen Bewährungsstrafe verurteilt worden.

Auch den Bundestag rief dieses Urteil auf den Plan. Denn weil die NPD wegen der gefälschten Spendenquittungen in den Jahren 1997 und 1998 „wesentlich unrichtige“ Rechenschaftsberichte abgegeben hatte, forderte Bundestagspräsident Lammert von der NPD insgesamt 870.000 Euro aus der staatlichen Parteienfinanzierung zurück.

Noch ist der Rechtsstreit um diese Forderung nicht abgeschlossen, die juristische Auseinandersetzung beschäftigt derzeit das Verwaltungsgericht. Aber weil die NPD keine Sicherheiten in Form einer Grundschuld hinterlegen konnte, hat die Bundestagsverwaltung diese Summe aus den laufenden Zahlungen aus der staatlichen Parteienfinanzierung zurückbehalten. Im vergangenen Jahr erhielt die Partei deshalb nur einen Teil der ihr zustehenden Mittel. In diesem Jahr allerdings wird wieder die volle Summe von 1,45 Millionen Euro zur Auszahlung kommen.

Der NPD drohen allerdings weitere Rückzahlungsforderungen. Denn möglicherweise hat die NPD mit fingierten Quittungen und falschen Abrechnungen auch in anderen Landesverbänden ihr Spendenaufkommen künstlich in die Höhe getrieben und zu Unrecht Geld vom Staat kassiert – mit Wissen und Duldung der NPD-Führung, allen voran Schatzmeister Kemna.

Nach Darstellung der NPD war Thüringen ein „Ausnahmefall“, eine persönliche Verfehlung eines einzelnen Kameraden. Doch der Verdacht verstärkt sich, dass es ähnliche finanzielle Machenschaften auch in anderen Landesverbänden gegeben hat. Der ehemalige Thüringer NPD-Chef Golkowski sagte vor Kurzem dem Spiegel, die Praxis sei der NPD-Führung „bekannt“ gewesen, Schatzmeister Kemna habe diese „toleriert und sogar gefördert“.

So sollen tatsächlich gezahlte Spendensummen in den Bescheinigungen der Partei erhöht ausgewiesen worden sein - mit der Folge höherer staatlicher Zahlungen. Denn zu jedem gespendeten Euro erhalten die Parteien die gleiche Summe noch einmal dazu. Zudem seien private PKW-Fahrten als Reisekosten abgerechnet und Spesenabrechnungen fingiert worden. Auch andere NPD-Landesverbände hätten „diese Variation des Spendenaufkommens“ angewendet, sagte Golkowski. Es seien spezielle Schulungen für NPD-Schatzmeister durchgeführt worden, bei denen „der Aufbau genau erklärt wurde“.

Die Nachforschungen des Bundestages sind noch nicht abgeschlossen. Die Staatsanwaltschaft Münster ermittelt in dieser Sache nicht gegen Erwin Kemna. Bisher jedenfalls nicht. In dem aktuellen Verfahren gehe es nur um Untreue zum Nachteil der NPD. Allerdings schloss ein Sprecher nicht aus, dass die Ermittlungen ausgeweitet werden, sollte die Staatsanwaltschaft in den beschlagnahmten Akten auf entsprechende Hinweise stoßen.
Von Christoph Seils