Karl Nolle, MdL
DER SPIEGEL 8/2008, 17.02.2008
BANKEN: Wertlos wie Altpapier
Weil sich die Banker aus dem öffentlich-rechtlichen Lager mit hochriskanten Hypotheken verzockt haben, muss nun der Staat mit Milliarden einspringen.
Weil sich die Banker aus dem öffentlich-rechtlichen Lager mit hochriskanten Hypotheken verzockt haben, muss nun der Staat mit Milliarden einspringen. Die eine Säule des deutschen Finanzsystems wankt gewaltig. Sollte eine Landesbank pleitegehen, droht ein Schreckensszenario.
Zweifellos gehört die Sozialdemokratin Ingrid Matthäus-Maier zu den Besserverdienern der Republik. Mit 418 000 Euro im Jahr kassiert die Chefin der staatseigenen KfW Bankengruppe zwar erheblich weniger als ihr Kollege Josef Ackermann von der Deutschen Bank (13 Millionen), aber immer noch mehr als die Bundeskanzlerin (200 000 Euro).
Das ist schön für Matthäus-Maier, denn bei einer Privatbank hätte die studierte Juristin und langjährige SPD-Finanzexpertin 1999 keine Chance gehabt, in den Vorstand aufzurücken. Sie verfügte nicht über die Bankerfahrung, die das Gesetz vorschreibt. Doch die KfW unterliegt nicht der Bankenaufsicht. Weswegen Matthäus-Maier den staatlichen Kontrolleuren keine Rechenschaft schuldig ist. Auch nicht in diesen Tagen, in denen ihr öffentlich Versagen in der IKB-Krise vorgeworfen wird.
Matthäus-Maier ist mit ihrer KfW Großaktionärin der Düsseldorfer Katastrophenbank, die nur durch immer neue staatliche Milliardenspritzen vor der Pleite gerettet werden kann. In der vergangenen Woche jagte eine Krisensitzung die nächste, doch die eigenwillige Staatsbankerin hatte nicht nur die Zukunft der IKB im Auge. Wie es denn um die Verlängerung ihres Arbeitsvertrags bestellt sei, wollte sie wissen. Der Chef des KfW-Verwaltungsrats, Wirtschaftsminister Michael Glos, reagierte, wie auch die übrigen Anwesenden, irritiert.
Zwei Tage später war auch noch bekanntgeworden, dass Ex-IKB-Chef Stefan Ortseifen - gewissermaßen als Dank für sein Versagen - im Alter mit einer betrieblichen Luxuspension von monatlich 31 500 Euro rechnen darf. Der Pleite-Manager hatte erst Milliarden in hochriskante US-Immobilienkredite investiert und anschließend getönt, die "Unsicherheiten im amerikanischen Hypothekenmarkt" hätten "auf das IKB-Engagement praktisch keine Auswirkung". Wenige Tage später stand sein Institut vor dem Aus. Das Wunderinvestment aus Amerika hatte vielfach nur noch Altpapierwert.
Ortseifen und Matthäus-Maier stehen geradezu exemplarisch für die verhängnisvolle Mischung aus Dilettantismus, Gier und politischer Protektion, die für viele der staatlichen, halbstaatlichen und öffentlich-rechtlichen Banken symptomatisch ist. Es ist ein Milieu, das nur im Schatten der öffentlichen Hand gedeihen kann - und das die öffentlichen Haushalte allein in der vergangenen Dekade mit weit über 20 Milliarden Euro belastet hat.
Am Ende haftete bislang immer der Staat. Das wussten die Manager in den Chefetagen der öffentlichen Banken und zockten, als gäbe es kein Morgen mehr. Sei es mit Aktien in Singapur, wie einst die BayernLB, mit Immobilien, wie bei der Bankgesellschaft Berlin - oder wie bei der WestLB mit britischen Firmenanteilen.
Wer für das Risiko nicht selbst einstehen muss, wird leicht zum Spieler. Doch die Einsätze sind in den vergangenen Jahren immer höher geworden, immer mehr öffentlich-rechtliche Banken sind dadurch in Schieflagen geraten. Jetzt reicht das eigene Geld nicht mehr, um den Verwerfungen der internationalen Krise zu widerstehen.
Allein die Matthäus-Maier-Bank KfW hat in mittlerweile drei Rettungsaktionen knapp fünf Milliarden Euro für die Risiken der IKB bereitstellen müssen. 1,9 Milliarden schießt nun der Bund zu, weil die KfW langsam klamm wird.
Bei der WestLB hat das Land Nordrhein-Westfalen eine Milliarde nachgeschossen und zudem das Risiko für drei weitere Milliarden übernommen. In Sachsen sieht es noch schlimmer aus. Dort bürgt das Land mit 2,73 Milliarden für die Sachsen LB. Die übrigen Landesbanken stehen für weitere 14 Milliarden Euro ein. Die HSH Nordbank aus Hamburg braucht dringend eine Milliarde frisches Kapital, und auch die BayernLB hat sich verzockt, indem sie für mindestens 1,9 Milliarden Euro Papiere gekauft hat, die derzeit unverkäuflich sind.
So dramatisch ist inzwischen die Lage der öffentlichen Banken, dass eine der bislang tragenden Säulen der deutschen Bankenlandschaft einzustürzen droht. Die Institute sollen gegenseitig füreinander einstehen, doch sie sind dazu kaum noch in der Lage. Und es kann noch schlimmer kommen.
Geht ein Branchenriese wie die WestLB in die Knie - wozu es vorvergangene Woche beinahe gekommen wäre -, würden wohl mindestens zwei weitere Landesbanken straucheln und mit ihnen Dutzende Sparkassen. Denn alle Institute der S-Finanzgruppe sind eng miteinander verwoben. Sie haften gegenseitig füreinander, solange sie dazu noch in der Lage sind. Auswirkungen auf Firmenkunden wären, bis hin zur Insolvenz einzelner Unternehmen, ebenso unvermeidlich.
Es ist ein Schreckensszenario, das von der staatlichen Bankenaufsicht für zunehmend wahrscheinlich gehalten wird. Alle Banken aus dem öffentlichen Bereich haben viel stärker als die Privatbanken mit den hochriskanten amerikanischen Hypothekenpapieren spekuliert. Nun schreien die hilflosen Manager nach dem Staat, der das Desaster, das sie verursacht haben, wieder richten soll.
Es ist eine paradoxe Situation, denn der Staat hatte seinen Schutzschirm erst im Juli 2005 einrollen müssen - auf Druck aus Brüssel. Seitdem haftet er nur noch für Risiken, die vorher eingegangen wurden. Für die öffentlichen Banken hatte das verheerende Folgen. Plötzlich war ihnen ihr Geschäftsmodell abhandengekommen. Durch die Staatshaftung kamen sie günstiger an Geld und konnten deshalb billigere Kredite anbieten als ihre privaten Konkurrenten. Das ging nun nicht mehr.
In ihrer Not begannen viele der öffentlich-rechtlichen Banken, mit hochriskanten Papieren zu spekulieren. Etliche hätten sich unmittelbar vor dem Stichtag noch "geradezu vollgesogen", sagt ein ehemaliger Bankmanager. Andere taten das auch noch nach dem Stichtag. Ein funktionierendes Geschäftsmodell hatten sie nicht mehr, und so verlegten sie ihre Geschäftstätigkeit in das große Casino. Doch dass Zocker auf Dauer nicht reich werden, wusste schon Fjodor Dostojewski, der seine gesamte Reisekasse 1865 beim Roulette in Wiesbaden verloren hatte - der Nachwelt aber immerhin einen berühmten Roman ("Der Spieler") hinterließ. Seine modernen Nachahmer hinterlassen nur noch Schulden.
Nun versuchen sich die Beteiligten an verzweifelten Rettungsversuchen. Am dramatischsten ist die Lage bei der Düsseldorfer IKB, der ersten deutschen Bank, die durch die US-Immobilienkrise fast in die Pleite getrieben wurde. In der vergangenen Woche hatte sich das Eigenkapital wieder einmal in Luft aufgelöst. Und Jochen Sanio, oberster Bankenaufseher der Republik, forderte eine Kapitalspritze von 1,5 Milliarden Euro. Sonst hätte er die Bank noch am vergangenen Freitag schließen müssen.
Doch die KfW konnte ihrer Tochterbank nicht mehr beistehen, ohne ihre eigentliche Aufgabe - den Mittelstand zu fördern - zu gefährden.
Am Ende mussten Bund und private Banken einspringen. Auf keinen Fall wollte Finanzminister Peer Steinbrück die IKB pleitegehen lassen. Für den deutschen Finanzmarkt wäre es ein beispielloser Vertrauensverlust gewesen, wenn eine Bank mit so hoher Bonität insolvent geworden wäre. Zudem hatten etliche andere Banken der IKB Einlagen in Höhe von insgesamt 18 Milliarden Euro anvertraut.
"Letztendlich geht es hier um die Frage, was das geringere Übel ist, was der Volkswirtschaft weniger schadet", erklärte der Minister in der KfW-Verwaltungsratssitzung am vergangenen Mittwoch, kurz bevor man beschloss, die Bank wieder einmal zu retten. Am vergangenen Freitag rechtfertigte das Steinbrück-Ministerium die Finanzspritze in einem Brief an den Haushaltsausschuss des Bundestags: "Andernfalls wären massive Auswirkungen auf den Bankensektor mit entsprechenden Auswirkungen auf die Realwirtschaft zu befürchten."
Kurz vorher war es die WestLB, die fast von der Hypothekenkrise in den Abgrund gerissen worden wäre. In der entscheidenden Krisensitzung am Donnerstag vor zwei Wochen mussten die beiden nordrhein-westfälischen Sparkassenverbände zugeben, dass sie nicht in der Lage waren, dem Institut, das ihnen zur Hälfte gehört, mehr als eine Milliarde Euro frisches Kapital zu geben. Für ein Risiko von weiteren drei Milliarden müsse das Land einstehen.
Doch Düsseldorf weigerte sich. Schließlich hatten es die Sparkassen abgelehnt, dem Land ihre Anteile für die Übernahme des Risikos zu verpfänden. So wie sie es ausschlossen, einen privaten Investor zu beteiligen. Beide Seiten pokerten mit äußerster Härte, als sich der Bundesbankchef einmischte.
Leise redete Axel Weber auf die anderen ein. Allein die Köln-Bonner Sparkasse habe 340 Millionen Euro Einlagen bei der WestLB, die sofort deutlich abgeschrieben werden müssten, wenn die Bank pleiteginge. Damit sei auch dieses Institut hochgradig gefährdet. So wie mindestens drei weitere Sparkassen in Nordrhein-Westfalen.
Die Firmenkunden der betroffenen Banken kämen womöglich wochen-, vielleicht sogar monatelang nicht an ihr Geld. Denn auch wenn die Einlagen der Kunden eigentlich garantiert seien - jeder Bankinsolvenz gehe ein Moratorium voraus, und in dieser Zeit liegt jeglicher Zahlungsverkehr auf Eis. Weitere Pleiten seien die Folge. Zumal die übrigen Sparkassen des Bundeslands, wie deren Verbandspräsidenten einräumten, Probleme hätten, dann den Liquiditätsbedarf der regionalen Wirtschaft zu übernehmen, weil insgesamt Anleihen der WestLB in Höhe von 43 Milliarden Euro in ihren Büchern schlummerten. Zudem hätten viele dieser Banken selbst in amerikanische Schrott-Anleihen investiert, die abgeschrieben werden müssten. Allein die westfälisch-lippischen Sparkassen sind mit 100 Millionen Euro in jenen Papieren engagiert, die die weltweite Finanzkrise ausgelöst haben.
Es waren düstere Szenarien, die sich die Beteiligten ausmalten. Was würde passieren, wenn die Kunden in Massen ihre Einlagen bei den Sparkassen zurückfordern würden? Was, wenn durch die Insolvenz der WestLB auch zwei weitere Landesbanken, die HSH Nordbank und die BayernLB, ins Trudeln gerieten? Welche Wirkungen hätte das für Bayern und Hamburg? Würde das öffentlich-rechtliche Bankensystem die Pleite von drei Landesbanken überhaupt verkraften? Würde womöglich die gesamte Volkswirtschaft einbrechen, mit all den jahrelangen Auswirkungen auf Wachstumsraten, Arbeitslosigkeit und letztendlich den Wohlstand der Gesellschaft? Am Ende waren die Teilnehmer so weichgekocht, dass sie einem Kompromiss zustimmten.
Bankenaufseher Sanio hatte schon vor sechs Monaten vor der "schlimmsten Finanzkrise seit 1931" gewarnt - und war damals noch heftig dafür kritisiert worden. Inzwischen glauben auch viele Politiker, dass die Lage sehr viel ernster ist als bislang gedacht.
So wirbt Jürgen Rüttgers, der Ministerpräsident von Nordrhein- Westfalen, bei Bundesfinanzminister Steinbrück derzeit für einen Runden Tisch, der alle Beteiligten zur Ordnung rufen könnte.
Denn noch können die Länder den Umbau des Sektors gestalten - indem sie beispielsweise private Minderheitsaktionäre zulassen. Oder ihre Institute fusionieren.
Sollte es tatsächlich zum Crash kommen, werden die Bedingungen von Dritten diktiert. Dann gibt es Notverkäufe, wie in Sachsen - und deutlich schlechtere Preise. Doch Steinbrück sperrt sich. Dann habe er hinterher die Probleme an "der Backe", bekannte der Minister unlängst vor Vertrauten. Und der Ruf werde immer lauter, dass der Bund mit seinem Geld die Probleme in den Ländern lösen solle. Dazu aber sei er nicht bereit.
Der Minister muss sich zudem zurzeit um andere Dinge kümmern - den Vertrag seiner Parteifreundin Matthäus-Maier etwa, der nicht verlängert werden soll, aber eben auch nicht gekündigt. Er läuft Mitte 2009 aus. Dann übernimmt ein anderer den Chefsessel bei der KfW. Und der wird von der CDU nominiert.
WOLFGANG REUTER