Karl Nolle, MdL
spiegel-online, 15:18 Uhr, 23.02.2008
ROT-ROT-GRÜNE GEDANKENSPIELE - Becks tollkühne Strategie
.... gewagt - aber keineswegs dumm, meint Franz Walter: Den parteiinternen Kritikern fehlt ein überzeugender strategischer Gegenentwurf.
Der Plan von SPD-Chef Beck, seine hessische Parteifreundin Ypsilanti mit den Stimmen der Linken zur hessischen Regierungschefin wählen zu lassen, ist gewagt - aber keineswegs dumm, meint Franz Walter: Den parteiinternen Kritikern fehlt ein überzeugender strategischer Gegenentwurf.
Göttingen - Natürlich ist die Strategie – wenn es sich den darum handelt - von Kurt Beck tollkühn. Aber sie ist keineswegs dumm. Hätte er mit seinem dahingeraunten Optionswechsel bis zum Montag nach der Hamburg-Wahl gewartet, dann wäre mit einer abermals wahrscheinlichen arithmetischen Mehrheit gegen Schwarz-Gelb wenig anzufangen gewesen. Nun aber könnte er, sollte es so kommen, mit der bislang lediglich additiv gebündelten Majorität von Sozialdemokraten, Grünen und Linken auch politisch operieren– denn er hat diese Absicht schließlich vor der Wahl bereits kundgetan und dadurch seinen neuen Spielraum gewissermaßen plebiszitäre Legitimation verschafft.
Andererseits: Strahlend wird der Erfolg der Sozialdemokratie am Sonntag gewiss nicht ausfallen. Eine nicht unerhebliche Delle ist wahrscheinlicher. Man weiß demzufolge nicht, was innerparteilich in den nächsten Tagen passieren wird. Die Gegner Becks haben sich längst – und dies nicht erst seit dessen Gedankenspielen vor einigen Tagen – formiert. Sie glauben ernsthaft, dass die guten demoskopischen Werte für den Bundesaußenminister Frank-Walter Steinmeier einen Fingerzeig dafür bieten, dass dieser als Kanzlerkandidat eher taugt als der Ministerpräsident von Rheinland-Pfalz. Dabei müsste eigentlich das Gedächtnis noch so weit reichen, um sich an die guten Noten der Bundesbürger für den Außenminister Klaus Kinkel zu erinnern, der aber als Frontmann seiner Partei in der Innenpolitik bezeichnenderweise ziemlich komplett versagte.
Der schröderianische Zug an Beck
Aber in der Berliner Szenerie, nicht nur bei den Medienmenschen, sondern auch bei den vielen, auffällig hochnäsigen sozialdemokratischen Jungstrategen in den Abgeordneten- und Ministerialbüros, gilt Beck als tapsig, intellektuell unterkomplex, eben als tumbe Provinzfigur mit Bart. Umso mehr sind diese Cocktail-Schlürfer verstört, wenn der auf diese Weise süffisant beurteilte Beck plötzlich hart und verwegen hohes Risiko geht – wie erneut in diesen Tagen. Es ist dieser schröderianische Zug an Beck, der sie irritiert, ängstigt, ihnen widerstrebend sogar insgeheim imponiert.
Vor allem: Sie – und gerade sie – haben im Grunde keinen überzeugenden strategischen Gegenentwurf zu Becks Korrektur der alten Schwüre, von der Linken nicht einmal einen Kanten alten Brots anzunehmen. Denn die Politik der "Modernisierer" und "Reformer" in der SPD bedeutet den Abschied von der Idee der breiten Volkspartei. Die "neue SPD" will nicht mehr in erster Linie politische Arbeiterwohlfahrt oder gesamtgesellschaftlicher Betriebsrat sein, nicht hauptsächlich mehr als sorgende Samariter hilfloser kleiner Leute wahrgenommen werden. Die "neue SPD" setzt auf die aufgestiegenen Leistungsträger, auf diejenigen also, die über Kraft, Selbstbewusstsein, Disziplin verfügen, um durch Bildungsanstrengungen, stete Bereitschaft zum "self employment" und chronische Neigung zur "Innovation" individuelle Chancen zu nutzen. Für die anderen – die Abgehängten, Marginalisierten, Bildungsfernen, Geringbegabten, Immobilen – soll sich eben die Lafontaine-Truppe kümmern. Man sei froh, so der typische Ausspruch eines exponierten SPD-Reformers, den "Bodensatz" endlich vom Hals zu haben.
Aufsteigerpartei de luxe
Eine solche neumittige Aufsteigerpartei de luxe hat nicht mehr den Anspruch, eine Allianz von Mitte und unten zu bilden. Sie begnügt sich mit den Leistungsstarken oberhalb der Gruppe, die man mittlerweile als Prekariat bezeichnet. Von den altbürgerlichen Formationen unterscheidet sich diese "Neu-SPD" dadurch, dass sie Leistungsprämierung diesseits von Stand und Klasse zielt, also die Elitenrekrutierung von gesellschaftlichen Herkunftsprivilegien strikt abkoppelt.
Für 25 bis 30 Prozent der Wähler ist eine derartige Partei unzweifelhaft gut. Aber gerade für eine solche Partei dieses quantitativen Ausmaßes stellt sich dringend die Bündnisfrage. Und eine solche Partei mit einem solchen Anspruch muss etwas bewirken, hat für Output, für Ergebnisse zu sorgen. Ihr Selbstverständnis und ihre Klientel verlangen das. Insofern darf sich gerade eine solche Partei nicht mit Stagnation abfinden, darf ein "Rien ne va plus" in der Koalitionsbildung nicht noch durch Prinzipiendogmatismus und starre Abgrenzungsformeln festigen. Eine solche Partei muss sich intelligent, auch unorthodox bewegen, muss Optionen nutzen.
Insofern wird gerade eine Partei, wie sie Steinmeier, Steinbrück, Platzeck, wohl auch Heil, Oppermann und Gabriel anstreben, von Fall zu Fall die linke Karte spielen müssen. Denn es eröffnet einen Zuwachs an Durchsetzungspotential, Handlungsmöglichkeiten, Chancen. So will es schließlich eine Politik der "neuen Mitte". Man hat eine derartige Politik nur nicht verdruckst zu machen, nicht schamhaft und vor allem nicht begründungslos. In der Mitte gibt es viele geschmeidige Menschen, die wissen, dass man zuweilen Umwege zu gehen, sich veränderten Verhältnissen neu zu stellen hat. Ihr sind Strategiewechsel durchaus zu erklären. Aber zu solchen Erklärungen muss man in der Tat schon fähig sein.