Karl Nolle, MdL
Sächsische Zeitung, 22.03.2008
„Es ging nie um einen Linksruck“
SPD-Parteichef Kurt Beck spricht gegenüber der SZ im Oster-Interview über Strategiewechsel und Koalitionschancen.
Herr Beck, wie geht es Ihnen, sind Sie wieder richtig gesund?
Ich lag gesundheitlich wirklich arg auf der Nase, die Stimme ist noch ein bisschen belegt. Aber ich bin wieder arbeitsfähig.
Wollten Sie in den letzten Wochen mal aufgeben und zurücktreten?
Nein. In schwierigen Zeiten läuft man nicht davon ...
Wann haben Sie zum letzten Mal bereut, das Amt überhaupt übernommen zu haben?
SPD-Vorsitzender zu sein, habe ich noch nie bereut. Dass es auch schwere Tage gibt und man auch mal schlaflose Nächte hat, das ist allerdings schon meine Lebenserfahrung aus bald 14Jahren als Regierungschef in einem Bundesland. Wer eine leichte Aufgabe sucht, sollte höchste politische Verantwortung nicht übernehmen.
Der Ursprung für die jüngsten SPD-Turbulenzen liegt im vorigen Sommer. Damals haben Sie gegen den Rat anderer Sozialdemokraten die Strategie durchgesetzt: Anders als im Osten wird die SPD im Westen mit Lafontaines Linkspartei nicht kooperieren. Was war eigentlich der Grund für diese Strategie?
Ich habe diese Strategie für richtig gehalten, weil es im Westen das Ziel der SPD sein muss, diese Linkspartei aus den Parlamenten draußen zu halten. Das war in Baden-Württemberg und Rheinland-Pfalz gelungen. Das hat mir die Zuversicht gegeben: Wenn man auf die Menschen zugeht, dann wird das auch woanders gelingen.
Ein Irrtum.
Ich musste nach Analyse der Wahlergebnisse in Niedersachsen und Hessen akzeptieren, dass es für die sogenannte Linke zumindest vorübergehend immer wieder reichen kann, in die westlichen Landesparlamente zu kommen. Wenn man so etwas sieht, muss man als Parteivorsitzender die Kraft haben, einen Strategiewechsel vorzunehmen. Dabei ging es aber nie um einen Linksruck oder um eine Zuwendung zur Linkspartei, wie es vielfach beschrieben wurde.
In Hessen ging es schon um eine Zusammenarbeit.
Das war und ist nicht mein Ziel. In den Ländern kann die SPD, sofern es begründet ist und Programm wie Personal es erlauben, differenziert Entscheidungen treffen. Die Linkspartei bleibt für uns aber ein politischer Gegner, mit dem wir uns inhaltlich hart auseinandersetzen werden.
Ein Gegner wie andere auch?
Für uns sind sie eine gegnerische Partei wie andere auch. Auf der Bundesebene gibt es unüberbrückbare Gegensätze, etwa in der Außenpolitik, bei Finanzen und der Sozialpolitik. Auch in der Wirtschaftspolitik gibt es abenteuerliche Vorstellungen bis hin zu Verstaatlichungen. Ihre sozialpolitischen Vorstellungen führen schlicht und einfach zum Ruin der großen Sozialsysteme. Also: das sind so fundamentale Unterschiede in der Sache, dass es für eine bundespolitische Zusammenarbeit auf einen überschaubaren Zeitraum keine Basis geben kann.
Wer soll das nach dem Hessen-Intermezzo noch glauben?
Mit Verlaub: Die gleiche Mehrheit, die jetzt angeblich für 2009 befürchtet wird, gibt es doch schon heute im Bundestag. Die SPD nutzt diese aus inhaltlichen Gründen nicht. Insoweit ist unser reales Verhalten der größte Glaubwürdigkeitsgewinn. Angebote von Lafontaine und anderen gab es: Beck, lass dich doch mit der linken Mehrheit zum Kanzler wählen. Die SPD macht das nicht, weil es inhaltlich im Interesse der Republik unvorstellbar ist.
Ist Rot-Rot-Grün für Hessen jetzt endgültig vom Tisch?
Ich sehe nicht, dass es in Hessen eine Grundlage für eine Wiederholung dieses Versuchs gibt. Das ist ausgelotet worden und hat nicht getragen.
Lange Zeit hieß das Hauptargument gegen die Linkspartei Oskar Lafontaine. Warum spielt dies praktisch keine Rolle mehr?
Für mich hat das nie eine vordergründige Rolle gespielt. Dass Lafontaine die SPD verraten und im Stich gelassen hat, ist und bleibt die historische Wahrheit. Für uns kann er kein Partner mehr sein.
Muss die SPD, um aus dem Tief herauszukommen, Schröders Agenda 2010 revidieren?
Nein. Die Agendapolitik war in ihrem Kern notwendig und deshalb richtig. Dazu stehe ich ausdrücklich. Aber wir müssen auch Auswirkungen wahrnehmen, die in dieser Ausprägung nicht gewollt waren. Und deshalb haben wir inhaltliche Korrekturen durchgesetzt, beispielsweise die Verlängerung des ArbeitslosengeldesI für Ältere. Es gibt keine Revision der Agenda, aber doch eine Reihe von Weiterentwicklungen. Die haben wir auf unserem Parteitag in Hamburg beschlossen.
Was braucht der SPD-Kandidat, der 2009 Bundeskanzlerin Angela Merkel herausfordert?
Er muss eine Regierung führen und verschiedene Interessen verbinden können. Persönliche Autorität und politische Erfahrung gehören natürlich genauso dazu.
Ihr Fraktionschef Peter Struck hat gesagt, Sie machen Ihren Vorschlag, wer ins Rennen geht, davon abhängig, mit wem die SPD die größten Chancen hat.
Ich habe eine klare Vorstellung, und werde sie zum richtigen Zeitpunkt im Herbst oder Anfang nächsten Jahres präsentieren. Mir geht es um den Erfolg der deutschen Sozialdemokratie. Das mag man glauben oder nicht: Ich bin jedenfalls immer noch von der Überzeugung beseelt, zu versuchen, die Gesellschaft etwas besser und gerechter zu machen.
Wird es denn diese Wahlperiode noch einen Investivlohn oder eine andere Unternehmens-Beteiligung der Arbeitnehmer geben?
Wir haben unser Konzept für einen Deutschlandfonds auf den Tisch gelegt. Ich sehe eine realistische Chance, dass die Koalition in diesem Sommer zu einem gemeinsamen Vorschlag für eine Mitarbeiterbeteiligung an Firmenvermögen kommt. Die Koalitionsspitzen jedenfalls sehen ausreichend Schnittmengen in dieser Frage, in der Deutschland hinterherhinkt. Wenn wir uns, wie es derzeit aussieht, bei der Mitarbeiterbeteiligung politisch einig werden, kann man das alles für Anfang 2009 gesetzgeberisch umsetzen.
Kommt der Gesundheitsfonds wie geplant im Januar 2009?
Der Gesundheitsfonds war nicht die Erfindung der SPD. Aber wir stehen dazu und er wird wie geplant 2009 eingeführt. Für sich genommen ist er weder gut noch schlecht. Mit dem Gesundheitsfonds kann man Vernünftiges, aber auch Unvernünftiges tun. Wir stehen zum ganzen Konzept dieser Gesundheitsreform, die viel besser ist, als manche behaupten. Dass die SPD grundsätzlich an der Idee der Bürgerversicherung festhält, bleibt davon unberührt. Da dies mit CDU und CSU nicht zu machen ist, muss die Grundfrage, ob sich die Solidarsysteme in Deutschland weiterhin allein oder fast ausschließlich auf die Löhne stützen, später entschieden werden.
Thema Bundespräsidentenwahl. Will die SPD, dass Horst Köhler eine zweite Amtszeit bekommt, wenn er das auch will?
Die SPD wartet erst mal die Entscheidung des Bundespräsidenten ab. Der Bundespräsident genießt zu Recht eine hohe Anerkennung bei vielen Bürgern. Alles andere gilt es zu wägen, wenn er gesprochen hat. Wir werden sehr verantwortungsvoll damit umgehen.
Gespräch: Sven Siebert und Peter Heimann