Karl Nolle, MdL
Die Welt, 09.04.2008
Sachsens Regierungschef Milbradt unter Druck
Keine geistige Führung
Ausgerechnet private Bankgeschäfte sind es, die den gewieften Finanzjongleur Milbradt erneut in Bedrängnis bringen. Ist sein Ruf als kluger Sachwalter des von ihm regierten Landes Sachsen schon seit dem Desaster der Landesbank schwer angeschlagen, so scheint seine Fortune nun fast schon irreparabel beschädigt. Nicht nur in der sächsischen SPD, die ihm als Koalitionspartner verbunden ist, sondern auch schon in seiner eignen Partei machen sich Absetzbewegungen bemerkbar. Schon wird in Sachsen offen darüber spekuliert, ob er ein Wahldebakel bei den sächsischen Kommunalwahlen im Juni überhaupt noch überstehen kann.
Dabei liegt der tiefere Grund für die sich ausbreitende Unzufriedenheit gar nicht in der verkorksten Finanzpolitik, sondern in der Dürftigkeit des Gesamtzuschnitts von Milbradts Regierungshandeln. Solange Sachsen ein Musterland geschickter Haushaltsführung war, ist das wenig aufgefallen. Nun aber rächt sich zunehmend, dass der Regierungschef jede Begabung zu geistiger Führung vermissen lässt. An unzähligen Fronten sind Kulturkämpfe entfesselt worden, die das Land ohne Not in eine Identitätskrise geführt haben.
Ob es um die Dickfelligkeit bei der Durchsetzung der umstrittenen Dresdner Waldschlösschenbrücke geht, die eines der letzten nicht mehr realisierten Verkehrsprojekte der DDR war, oder um den verhinderten Wiederaufbau der Leipziger Paulinerkirche, die Ulbricht abgerissen hatte, ob es um die Wiederaufstellung des Leipziger Marx-Reliefs oder die Wiederaufnahme der einst von der SED flächenhaft ins Werk gesetzten Abrisspolitik in den bürgerlichen Wohnvierteln und Altstädten geht - das Zukunftskonzept und die Staatsauffassung Milbradts werden immer undeutlicher. Viele, die sich zu DDR-Zeiten auf das Risiko politischer Verfolgung hin gegen die Selbstherrlichkeit und ideologische Verbohrtheit der SED-Herrschaft aufgelehnt hatten, erleben seine Politik heute als technokratische Wiederauflage.
Aber wenn es nur noch um Machterhalt geht, sind die Ideale von 1989 verraten.
Dankwart Guratzsch