Karl Nolle, MdL
DNN/LVZ, 15.04.2008
Sächsischer Koalitionskrieg
Leitartikel von Bernd Hilder
Ausgerechnet vor dem Porträt seines Vorgängers und heftigen Kritikers Kurt Biedenkopf warf Georg Milbradt das Handtuch. Das hat Symbolwert und provoziert Erinnerungen: Auch Biedenkopf konnte sich den Zeitpunkt seines Rücktritts als Ministerpräsident nicht mehr wirklich selbst aussuchen, trat entnervt zurück nach einigen eigentlich nicht gewaltigen Affären und Skandälchen, demoliert und demoralisiert vom politischen Gegner und Heckenschützen in der eigenen Partei, der CDU. Manchmal wiederholt sich Geschichte doch: Wieder ist es der mit großem Abstand politisch wirkungsvollste sächsische Sozialdemokrat, der Landtagsabgeordnete Karl Nolle, der einen CDU-Ministerpräsidenten solange attackiert, bis dem die eigene Partei nicht mehr zutraut, die nächste Wahl zu gewinnen. Das wird Milbradt und Biedenkopf, ansonsten in Temperament und Rhetorik grundverschieden, in den sächsischen Geschichtsbüchern verbinden.
Milbradt und Biedenkopf durchlitten beide einen für Publikum, Partei und sie selbst quälenden Abgang auf Raten. Die lange erfolgsverwöhnte, aber wenig geschlossene CDU in Sachsen wird es auch deswegen schwer haben, in absehbarer Zeit wieder eine absolute Mehrheit zu erringen. Neben verblüffenden Parallelen gibt es einen eklatanten Unterschied zwischen dem Sturz von Biedenkopf und Milbradt: Als Nolle Biedenkopf maßgeblich zu Fall brachte, war er Oppositionspolitiker, heute gehört er zur Regierungskoalition. Nicht die Opposition hat Milbradt Schachmatt gesetzt, sondern der eigene Koalitionspartner. Möglich war das allerdings nur, weil sich Milbradt durch haarsträubende Kommunikationsmängel immer tiefer in Affären verstrickte, für die man durch Rücktritt die politische Verantwortung übernehmen kann, aber keinesfalls muss, wenn das Krisenmanagement funktioniert.
Die SPD ist der eindeutige Gewinner im sächsischen Koalitionskrieg, dessen Ende noch nicht ausgemacht ist. Warum sollte die SPD jetzt ihr taktisches Doppelspiel des Bekennens zur Koalition bei gleichzeitigen Nadelstichen gegen den großen Regierungspartner beenden? Nur weil die CDU auf ihr Verlangen hin den Ministerpräsidenten austauscht? Dass die Kanzlerin und CDU-Chefin Merkel die Sachsen-Union dazu drängt, aus Sorge um die eigene Macht und Regierung, in der zerrütteten Koaliton zu bleiben, nahm Milbradt die Chance, ohne SPD-Minister bis zur Wahl ein Minderheitskabinett zu bilden – und wird auch den Spielraum von Stanislaw Tillich als Mil- bradts Nachfolger gegenüber der SPD einengen.
Trotz des Notverkaufs der sächsischen Landesbank wird Milbradt mustergültige Staatsfinanzen mit vergleichsweise sehr geringer Verschuldung als politisches Erbe hinterlassen. Viele Wirtschaftsansiedlungen sind mit seinem Namen verbunden. Davon profitieren zukünftige Generationen. Er erweist seiner Partei einen letzten Dienst, weil er anders als Biedenkopf eine geordnete Machtübergabe ermöglicht. Aber Milbradt gelang es nie, die sächsische CDU zu befrieden, die ihm den Verlust der absoluten Mehrheit nicht verzeiht. Milbradt band wichtige Funktionäre nicht ein. Seine Gegner wurden nicht müde, ein Intrigantenstadl zu inszenieren, er antwortete mit Sturheit, die als politischer Autismus interpretiert werden konnte.
Die sächsische CDU bekommt nun ein völlig neues Machtzentrum. In der Krise macht sie nicht den Fehler der bayerischen CSU, auf eine uneffektive Doppelspitze zu setzen: Tillich wird auch Parteivorsitzender – und damit die klare Nummer eins. Er tritt präsidialer und jovialer auf als Milbradt, muss aber schnell Handlungsstärke demonstrieren, weil er fürchten muss, wie Milbradt von der SPD vorgeführt zu werden: Nolle wartet schon. Gestärkt wird aber auch die Rolle von Steffen Flath, der als neuer Fraktionschef die parlamentarische Schlagkraft der Union verbessern soll – gegen die Opposition und den Koalitionspartner. Viel Zeit zum Zeichen setzen haben Tillich und Flath nicht: Die Kommunalwahlen stehen als erster Stimmungstest vor der Tür.
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