Karl Nolle, MdL
Sächsische Zeitung, 15.04.2008
Ein Sachse für Sachsen
Mit Stanislaw Tillich soll ein katholischer Sorbe Ministerpräsident im Freistaat werden und die CDU aus der Krise führen.
Am Ende beerbte Stanislaw Tillich seinen Chef schneller als gedacht. Dasselbe gläserne Stehpult, auf das sich der 1,84 Meter große Sorbe gestern stützte, um als designierter Ministerpräsident und CDU-Parteichef die richtigen Worte für die Mikrofone und Kameras zu finden, hatte auch schon Georg Milbradt genutzt – zwei Stunden zuvor für seine Abschiedsrede in der nur hundert Meter entfernten Staatskanzlei.
Doch mit Tillich, der am Donnerstag vergangener Woche seinen 49. Geburtstag feierte, rückt jetzt nicht nur einfach ein neuer Mann ins Rampenlicht. Mit dem Katholiken, der mit seiner Familie und den Eltern im eigenen Haus in Panschwitz-Kuckau lebt, könnte für Sachsen und die CDU eine neue Ära beginnen.
Schließlich ist Tillichs ostdeutsche Vita in wichtigen Punkten so völlig anders als die seiner beiden Vorgänger Georg Milbradt und Kurt Biedenkopf. Der in Neudörfel bei Kamenz geborene Ingenieur für Konstruktion und Getriebetechnik ist erst seit 1987 Mitglied der CDU. Über die Stationen eines Abgeordneten der letzten DDR-Volkskammer und ab 1991 als EU-Abgeordneter in Brüssel wurde Tillich vergleichsweise spät Berufspolitiker.
Kompetent und unterschätzt
Das Gleiche gilt auch für seine neue Rolle als Hoffnungsträger in Sachsen: Für diese brauchte er nämlich Zeit. Lange galt Tillich nur als der weltgewandte, smarte Sorbe, der fünf Sprachen spricht – darunter Russisch, Französisch, Tschechisch und leidlich Polnisch – und der überall gut gelitten war. Bei Politikerkollegen, weil sie seine Kompetenz schätzten und ihn trotzdem nicht als Konkurrenten für höhere Ämter ansahen. In der Öffentlichkeit, weil Tillich mit seiner freundlich ruhigen Art wie kein anderer den Typ des idealen Schwiegersohns abgab. Bis vor zwei Jahren trat er noch mit schickem Schnauzbart auf, inzwischen ist er gut rasiert, dafür mit ein paar grauen Haaren mehr.
Nur wer aufmerksam Tillichs Karriere verfolgte, bemerkte, dass es mit ihm fast immer nur bergauf ging. Ein Schritt hier, einer dort, aber immer vorwärts.
1999 holte ihn Kurt Biedenkopf als Minister für Bundes- und Europa-Angelegenheiten erstmals an den Dresdner Kabinettstisch. Dort überstand er den für seine Partei so schmerzhaften Machtkampf zwischen Biedenkopf und Milbradt. Letzterer machte ihn 2002 sogar zum Chef der Staatskanzlei. Ein Vertrauensposten, bei dem Tillich aber nur im Hintergrund agierte. Was Tillich wirklich kann, zeigte er nur einmal bei der Jahrhundertflut: Erst als Cheforganisator in den Tagen der Not, danach als geschickter Verhandlungsführer. Tillich ist es mit zu verdanken, dass der Bund Milliarden für die Wiederaufbauhilfe in Sachsen zur Verfügung stellte.
Im Herbst 2004 – Spitzenkandidat Milbradt und die CDU hatten bei der Landtagswahl fast 16 Prozent der Stimmen verloren – wurde Tillich schließlich Umweltminister. Drei Jahre lang kümmerte er sich um EU-Milch-Subventionen und die Ausweisung von Vogelschutzgebieten. Ein neuer politischer Höhenflug war nicht in Sicht, im Gegenteil: Es wurde ruhig um Tillich.
Als lachender Dritter ganz vorn
Der Sprung an die Spitze kam spät und überraschend. Bis Herbst 2007 erwartete die Öffentlichkeit bei der Milbradt-Nachfolge immer nur das Duell zwischen Kultusminister Steffen Flath und dem Chef des Bundeskanzleramts, Thomas de Maizière. Doch beide zögerten – gefangen im jeweils aktuellen Amt und in der Angst, beim frühzeitigen Vorpreschen als politischer Königsmörder in Verruf zu geraten. Doch die Krise der Sachsen-CDU, ausgelöst durch anhaltend niedrige Umfragewerte, forciert durch ständige Rangeleien mit dem Koalitionspartner SPD und verschärft durch die Fast-Pleite der Landesbank, ließ der Partei am Ende keine Zeit. Die Entscheidung musste jetzt her, bevor es zu spät ist.
Und plötzlich fiel vielen Christdemokraten auf, dass mit „Stani“, der im Herbst 2007 den wichtigen Posten des Finanzministers übernommen hatte, nicht nur gut Staat zu machen ist. Plötzlich traute man ihm auch zu, im Freistaat zu führen. Loyal gegenüber Milbradt und sicher in der Sache punktete Tillich über Wochen im neuen Amt. Ein ruhiger Pol in stürmischen Zeiten.
Vor allem in der CDU-Landtagsfraktion, dem wichtigen Machtzentrum, rückte sein Name auf der Personalliste wie selbstverständlich ganz nach vorn. Auch Milbradt erkannte das und handelte, als er für sich selbst keinen Spielraum mehr sah: Tillich sei ein kraftvoller und erfahrener Politiker, lobte Sachsens Noch-Regierungschef als hätte es die Bewerber Flath und de Maizière nie gegeben.
Stanislaw Tillich liegt der absehbare Erfolg nun schwer auf den Schultern: Die Wahlhürden zum Ministerpräsidenten und CDU-Parteichef müssen souverän genommen werden. Danach stehen Personalien und der Wahlkampf 2009 an.
Familienurlaub fällt jetzt aus
Seiner Familie – Tillich ist verheiratet, hat einen Sohn (Student) und eine Tochter (Juristin) – wird er deshalb für lange ein Versprechen schuldig bleiben. Eine Kanada-Reise, die er im Oktober 2007 mit Frau Veronika und Sohn Milan plante, aber wegen Terminnöten absagen musste, sollte im Frühsommer nachgeholt werden. Jetzt aber kommen neue Ämter. Statt Fernreisen mit Familie gibt es nur die Aussicht auf einige Wochenend-Stunden am heimatlichen Kaffeetisch mit den Personenschützern vor der Tür.
Von Gunnar Saft