Karl Nolle, MdL

Welt-Online, 17:04 Uhr, 14.04.2008

Stanislaw Tillich - Ein smarter Sorbe soll Sachsen regieren

 
Als Sachsens Ministerpräsident Georg Milbradt überraschend seinen Rücktritt bekannt gab, präsentierte er auch gleich einen Nachfolger: Finanzminister Stanislaw Tillich. Er wird der erste Ostdeutsche, dem es gelingen könnte, die Zankkoalition in Dresden zu einen.

Als Kurt Biedenkopf (CDU) vor gut sechs Jahren dämmerte, dass er als Regierungschef von Sachsen abdanken musste, wollte er unbedingt Georg Milbradt als Nachfolger verhindern. Als Alternative empfahl „König Kurt“ deshalb einen der „fünf unter 50 Jahren“ aus seiner damaligen Ministerriege – Stanislaw Tillich. Der galt zunächst auch als heißer Favorit. Doch Tillich lehnte das Angebot ab – einen zermürbenden Machtkampf mit dem brachial zur Spitze drängenden Milbradt wollte er nicht riskieren.

Nun übernimmt Tillich wohl doch noch das höchste Regierungsamt im Freistaat. Der vom Landesbanken-Debakel gezeichnete Milbradt, der den Koalitionspartner SPD durch seinen eigenmächtigen Führungsstil zunehmend vergrätzte und der in der CDU nie sonderlich beliebt war, zieht sich ohne erkennbaren Widerstand zurück. Es mutet merkwürdig an, dass ausgerechnet er, der scheidende – und gescheiterte – Amtsinhaber, seinem Erben höchstes Lob zollt: „Tillich ist ein kraftvoller und erfahrener Politiker, der bereits bewiesen hat, dass er den Freistaat weiter voranbringen kann.“ Wäre die Geschichte in dem zuletzt arg lädierten Musterland des Ostens womöglich anders verlaufen, wenn die „M-Frage“ vor sechs Jahren einen anderen Ausgang genommen hätte?

Sicher scheint zumindest: Unter einem Ministerpräsidenten Tillich hätte es so manche der ruppigen Auseinandersetzungen, die zum Wahrzeichen der im Herbst 2004 geschlossenen großen Dresdner Zankkoalition wurden, vermutlich nicht gegeben. Schließlich gilt Tillich als ein Mann des Ausgleichs, als einer, der keine vollmundigen Ankündigungen mag, der geräuschlos und effizient arbeitet und dabei stets auf den Ausgleich der Interessen bedacht ist. Nach den „West-Importen“ Biedenkopf und Milbradt steht demnächst mit Tillich in Sachsen erstmals ein gelernter DDR-Bürger der Landesregierung vor. Damit kehrt ein Stück Normalität in den Freistaat ein. Schließlich wäre ja ein Nicht-Bayer auch kaum als bayerischer Ministerpräsident vorstellbar. Ein repräsentativer Sachse ist der 49-jährige Tillich, der verheiratet ist und zwei erwachsene Kinder hat, allerdings nicht. Anders als die große Mehrheit der Bevölkerung, die mehrheitlich atheistisch lebt, aber dennoch protestantisch geprägt ist, bekennt sich Tillich zum Katholizismus. Das hat mit seinen Wurzeln als Sorbe zu tun, einer slawischen Volksgruppe, die in der Lausitz lebt.

"Bürger sollen an der Gestaltung des Landes mitwirken"

Tillichs politische Karriere begann 1987, als er als „Blockflöte“ der DDR-CDU beitrat. Von März bis Oktober 1990 gehörte er der ersten frei gewählten Volkskammer an, anschließend ging er als Beobachter ins Europäische Parlament, dessen Abgeordneter er im Jahr 1994 wurde. Vier Jahre darauf holte Biedenkopf den smarten Sorben zurück nach Dresden und machte ihn zunächst zum Minister für Bundes- und Europa-Angelegenheiten und dann zum Chef der Staatskanzlei.

Nach der Machtübernahme wurde Tillich von Milbradt, dem der Biedenkopf-Gefolgsmann suspekt war, zum Umweltminister degradiert. Ende September 2007 jedoch, als die Krise um die marode Landesbank Sachsen schon heftig loderte, berief Milbradt den Christdemokraten im Zuge einer Kabinettsumbildung zum Finanzminister. Mit diesem Revirement wollte er seinen persönlichen Ansehensverlust aufhalten. Das jedoch misslang, nicht zuletzt auch, weil der widerborstige SPD-Landtagsabgeordnete Karl Nolle alles in seinen Kräften Stehende unternahm, um den Ministerpräsidenten zu demontieren.

Ausgerechnet der Milbradt-Intimfeind Nolle, der als einfacher Abgeordneter zu den mächtigsten Epigonen in der sächsischen Politik zählt, erwartet nun, dass mit Tillich ein neues Kapitel in der Dresdner großen Koalition aufgeschlagen wird: „Mit ihm wird der Arbeitsstil konstruktiv und partnerschaftlich sein. Wir erwarten, dass wir nun bis zu den nächsten Landtagswahlen im Herbst 2009 ruhig zusammenarbeiten können.“ Diese Ansage lässt hoffen, dass der schwelende Streit zwischen sächsischer CDU und SPD schon bald der Vergangenheit angehört. Im Sinne einer Festigung der Demokratie wäre das durchaus wünschenswert: Vom Streit zwischen den Regierungsparteien haben die politischen Ränder profitiert – die NPD, die den Sächsischen Landtag geschickt als Bühne für dumpfe Parolen nutzt, und die Linke, die einem oft schwer erträglichen Populismus huldigt.

In einer ersten Stellungnahme erklärte Tillich, er wolle der Ministerpräsident aller Sachsen sein, politische Gräben überwinden und alle Bürger einladen, an der Gestaltung des Landes mitzuwirken. Ein solcher Satz ist Milbradt während seiner Amtszeit nie über die Lippen gegangen.
von Uwe Müller