Karl Nolle, MdL

Sächsische Zeitung, 10.05.2008

Francesco Bandarin, Direktor des Unesco-Welterbezentrums in Paris: "Wenn Dresden stur ist, sind wir es auch."

Im Exklusiv-Interview in Paris spricht der Chef des Welterbezentrums über die Probleme der Unesco mit Brücken in Dresden.
 
Herr Bandarin, welche Folgen hat es für ein Land, einen Welterbetitel zu verlieren?

Letztes Jahr hat ein Naturpark im Oman als erste Stätte den Titel verloren. Das war für uns sehr tragisch. Wenn wir eine Stätte streichen, bedeutet das, dass sie ihren universellen Wert verloren hat, dass der Wille oder die Fähigkeit, ihre Einzigartigkeit zu bewahren, nicht ausgereicht hat. Das ist für uns eine echte Niederlage, weil wir unsere Mission nicht erfüllen konnten.

Was ist denn Ihre Mission?

Wer auf der Welterbe-Liste steht, wird weltweit als Ort von einzigartigem Wert anerkannt, der es verdient, dass sich eine internationale Organisation, die Unesco, für seinen Erhalt einsetzt. Wir im Welterbezentrum sind Wächter über die Verpflichtung, diese Stätten zu erhalten. Wir sind ein zusätzlicher internationaler Schutz, der über nationale Mechanismen hinausgeht.

Hat der Verlust des Titels auch wirtschaftliche Folgen?

Schwer zu sagen. Es spricht bestimmt nicht für eine Stadt, den Titel zu verlieren. Gerade für Dresden, das sich nach seiner Zerstörung so beeindruckend zurückgemeldet hat. Ich war schon mehrere Male dort und bin jedes Mal beeindruckt, was für enorme Anstrengungen die Stadt unternommen hat, ihr Zentrum wieder aufzubauen. Allerdings schockiert uns die Zwiespältigkeit: Auf der einen Seite der ungeheure Wille, die Vergangenheit zurückzuholen, und auf der anderen Seite die Bereitschaft, die Landschaft zu zerstören. Warum führt dieser Aufbauwille nicht dazu, mit aller Anstrengung auch die einzigartige Landschaft zu bewahren? Das ist doch schizophren.

Glauben Sie, der Verlust des Titels hätte Folgen für andere deutsche Welterbestätten, vielleicht auch für die, die noch auf der Aufnahmeliste stehen?

Nein. Wir entscheiden von Fall zu Fall. Es wäre schlecht für Deutschland, wenn es eine Welterbestätte verlieren würde. Aber Folgen für die anderen Stätten hätte es nicht.

Sehen Sie Kompromissbereitschaft in Deutschland, in Sachsen, in Dresden?

Es gab große Debatten, aber bis jetzt sehe ich keine positiven Auswirkungen. Zwischendurch schien es, als hätten Stadt und Landesregierung unterschiedliche Standpunkte. Das hat sich aber wieder gegeben. Die Debatte lief in einigen Punkten schief. Zu allererst: Nicht das Zentrum der Stadt wurde als Weltkulturerbe anerkannt, sondern die Kultur-Landschaft. Und eine Brücke mittendrin ist genau das, was diese Landschaft zerstört. Zweitens: Mich hat die Sturheit überrascht, mit der diskutiert wurde. Gut, es gab einen Bürgerentscheid. Aber der wurde nach der Anerkennung Dresdens als Welterbe durchgeführt. Der Bürgerentscheid hat die falsche Frage gestellt und den Menschen die Sachlage nicht verdeutlicht. Die richtige Frage wäre gewesen: Wollen Sie eine Brücke, auch wenn diese die Einzigartigkeit der Landschaft zerstört und den Verlust des Welterbetitels nach sich ziehen würde?

Das wusste zum Zeitpunkt des Bürgerentscheids noch keiner, denn die Unesco hatte Dresden den Titel verliehen, obwohl die Brücke im Antrag erwähnt wird.

Lassen Sie mich etwas klarstellen: Die Stadt hat – nach langer Vorbereitung – den Antrag gestellt, als Kulturlandschaft Welterbe zu werden. Die Verpflichtung, die sie übernommen hat, war also: die Landschaft zu schützen. Aber wenn Sie eine Landschaft schützen wollen, planen Sie doch keine Brücke! Wenn man einen historischen Stadtkern schützen will, fängt man auch nicht am nächsten Tag an, in der Mitte ein Hochhaus zu bauen.

Aber auch die Stadt wusste das damals doch noch nicht …

Selbst wenn sie die Dresdner das nicht wussten, konnten sie sich das doch denken. Wären Sie zu uns gekommen, hätten wir ihnen das auch sofort gesagt. Jetzt auf den Antrag zu verweisen, und zu sagen: „Aber auf der und der Seite und in dem und dem Anhang stand die Brücke doch drin“ – das ist reine Bürokratie, nicht der Geist des Denkmalschutzes. Kurz: Wir schlagen vor, einen neuen Bürgerentscheid zu starten. Die Leute sollten wissen, worüber sie abstimmen.

Geben Sie Ihrem Gutachter Icomos die Schuld, dass deren Gutachten fehlerhaft war?

Das war fehlerhaft, das stimmt. Icomos hat darin die Brücke an die falsche Stelle gesetzt. Aber die Verantwortung für den Schutz des Welterbes liegt nicht bei Icomos, sondern bei der Stadt Dresden, bei denen, die die Vollmacht für die Stätte haben. Das hier kommt mir vor wie ein Spiel: Wer hat Schuld, wer den Schwarzen Peter? Aber darum geht es doch nicht, wir stehen nicht vor Gericht. Es geht um die moralische Verpflichtung, um den Schutz der einzigartigen Landschaft für zukünftige Generationen. Auch den Politikern sollte es darum gehen. Mit Gesetz und Paragrafen hat das nichts zu tun.

Bei der Sitzung des Komitees letztes Jahr in Neuseeland sah es so aus, als würde die Unesco eine geänderte Brücke akzeptieren. Stimmt das?

Ja, dort wurde darüber gesprochen. Die Unesco hat Dresden aufgefordert, die entsprechenden Entwürfe einzureichen, aber sie wurden uns nie offiziell präsentiert.

Das heißt, die Unesco sagt nicht strikt „Nein“ zu einer Brücke, sondern nur zu dieser Brücke?

Die geplante Brücke ist besonders dick und massiv. Aber gerade an dieser Stelle ist die Elbe sehr breit, also müsste auch die Brücke sehr lang sein. Daher glaube ich, dass jede Brücke an dieser Stelle, selbst in einem anderen Design, die Landschaft schädigen würde.

Können Sie verstehen, dass sich viele Dresdner von der Unesco erpresst fühlen?

Nein. Tatsächlich hat es Diskussionen über Alternativen, die wir uns immer gewünscht haben, mit uns nie gegeben. Wir kennen keine alternativen Brücken, keine Entwürfe zum Tunnel, keine anderen Verkehrsführungskonzepte – nichts. Die Stadt hat uns eine Brücke gezeigt, diese noch leicht geändert – und das war es. Dabei bin ich sicher, dass wir Alternativen finden und das Problem lösen könnten.

Fühlen Sie sich erpresst von Dresden?

Der Bürgermeister kam und sagte: Wir bauen die Brücke. Was soll ich da sagen? Das ist einfach die falsche Herangehensweise. Wir würden gerne mit der Stadt und der Landesregierung zusammenarbeiten, um den Titel noch zu retten und eine langfristige Schutzstrategie für die Stadt zu erarbeiten. Aber im Moment sieht es nicht gut aus.

Was müsste jetzt noch passieren, um den Titel zu retten?

Die Möglichkeiten sind sehr beschränkt, denn die Stadt hat beschlossen, mit dem Bau fortzufahren. Wir verlangen: Stoppen Sie den Brückenbau. Und zwar jetzt, denn es wird fast unmöglich, noch nach Kompromissen zu suchen. Starten Sie einen neuen Bürgerentscheid. Das wird einige Zeit dauern. Aber Zeit spielt doch keine Rolle. Denkmalschutz denkt für die Ewigkeit, für zukünftige Generationen. Was sind da ein oder zwei Jahre? Das ist doch nur noch ein weiteres Argument im Spiel. Wenn die Bürger dann entscheiden, dass sie trotzdem lieber eine Brücke wollen, dann kann ich nur sagen: Keiner ist verpflichtet, Welterbe zu sein. Aber ich glaube nicht, dass die Menschen so denken.

Also wird Dresden wohl den Titel verlieren?

Die Botschaft des Komitees letztes Jahr war sehr klar: Wenn die Brücke gebaut wird, wird Dresden gestrichen. Dazu gibt es keine Alternative. Wenn die Stadt stur ist, ist auch das Komitee stur.

Wenn weitergebaut wird, wird Dresden schon dieses Jahr von der Liste gestrichen?

Das ist die Entscheidung des Komitees. Aber ich sehe nicht, warum es Dresden mehr Zeit geben sollte. Der Fall wird schon so lange diskutiert, die Entscheidung letztes Jahr war sehr kategorisch. Sie werden dieses Jahr entscheiden.

Sie sind Direktor des Welterbezentrums, aber Sie sind nicht das Komitee, das letztlich über den Titel entscheidet. Könnte das ganz anders denken als Sie?

Nein. Unsere Funktion ist es, als Kommission das Komitee als Entscheidungsträger zu unterstützen. Mit Expertisen, Gutachten, technischen Arbeiten. Denn das Komitee tagt ja nur einmal jährlich. Normalerweise gehen unsere Entscheidungen in dieselbe Richtung.

Gespräch: Valeria Heintges