Karl Nolle, MdL

spiegel-online, 18.06.2008

Hessen: Studiengebühren abgeschafft, Feindschaft wiederbelebt

Von Christian Teevs, Wiesbaden
 
Alles auf Null: Die Studiengebühren wurden in Hessen am heutigen Dienstag endgültig abgeschafft. Doch die Konfrontation im Landtag hat extreme Ausmaße angenommen - die Lager scheinen unversöhnlich. Koch setzt auf Neuwahlen, Ypsilanti wieder auf die Linkspartei.

Wiesbaden – Roland Koch hält sich im Hintergrund. An der Aussprache zum Änderungsantrag 17/345 beteiligt sich der Ministerpräsident nicht. Still erlebt er am Dienstagmittag im Plenarsaal, wie die Studiengebühren in Hessen endgültig abgeschafft werden. Doch als Verlierer steht Koch nicht da - sein Kalkül scheint aufzugehen. Zuvor hatte sich nämlich eine Debatte entwickelt, die in ihrer Schärfe an den März erinnerte. SPD-Fraktionschefin Andrea Ypsilanti warf dem Regierungschef vor, gegen seinen Amtseid zu verstoßen. CDU und FDP konterten, das linke Lager habe seine Unfähigkeit unter Beweis gestellt.

So viel ist klar: Ein partnerschaftliches Verhältnis zwischen Parlament und Regierung ist endgültig passé. Sollte es dieses jemals gegeben haben.

Nach einer kurzen Phase, in der eine Jamaika-Koalition ausgelotet wurde, setzt Koch nun auf Neuwahlen. Das Zeitfenster für eine Annäherung an die Grünen hat sich in seinen Augen geschlossen. Für Neuwahlen braucht er aber öffentlichen Druck. Dieser könnte entstehen, wenn es im hessischen Landtag weiterhin so chaotisch zugeht wie in den vergangenen beiden Wochen.

Auch wenn es am Dienstag noch einmal um die Abschaffung der Studiengebühren ging, erinnerte die Diskussion im Tonfall wie in der gegenseitigen Verachtung an den Streit im März. Damals scheiterte Ypsilanti bereits im Vorfeld damit, eine rot-grüne Minderheitsregierung unter Tolerierung der Linken zu bilden. Diesen Plan wird sie – da sind sich Beobachter in Wiesbaden einig – nach der Sommerpause erneut in Angriff nehmen. Einen unmissverständlichen Hinweis gab Ypsilanti in ihrem Schlusswort am Dienstag: "Wir werden den Politikwechsel in Hessen konsequent vorantreiben, auch wenn ein Regierungswechsel momentan nicht möglich ist."

Momentan. Das beweist: Sie will es noch mal wissen und wird ab September alles dran setzen, die Partei für einen zweiten Versuch zu gewinnen.

Hahn belehrt die Grünen

Das weiß natürlich auch Roland Koch - dennoch sieht er Ypsilantis Treiben mit Gelassenheit. Am Dienstag ließ er seinem Fraktionsvorsitzenden Christean Wagner den Vortritt.

Dieser erklärte mit Unschuldsmiene, mitnichten habe Kochs Entscheidung, das Gesetz nicht zu unterzeichnen, "etwas mit einem Machtkampf zu tun". SPD und Grüne hätten "handwerkliche Fehler" gemacht, den entscheidenden Satz im Gesetzesantrag vergessen und sollten "nun wenigstens dazu stehen". FDP-Chef Jörg-Uwe Hahn schlug in dieselbe Kerbe: "Dilettantischer kann man es nicht machen." Der Liberale sorgte mit seiner lautstark vorgetragenen Rede wechselseitig für Belustigung und Empörung auf den Bänken der politischen Gegner.

Manch Grüner scheint den schneidenden, belehrenden Ton von Hahn körperlich schwer aushalten zu können. Selbst dem eifrigsten Jamaika-Apologeten muss sich deshalb offenbaren, dass ein solches Bündnis nicht kommen wird.

Fragile Mehrheit für Ypsilanti

Die Alternativen sind klar: entweder Neuwahlen oder doch noch eine rot-rot-grüne Regierung. Die große Mehrheit der Sozialdemokraten ist sich einig, das Wagnis mit der Linkspartei einzugehen. Wer von den Abgeordneten Bauchschmerzen habe, solle das früh und offen formulieren, fordert die Parteispitze. Die SPD-Abgeordnete Dagmar Metzger macht jedoch bislang nicht den Anschein, ihre Meinung zu ändern. Die Darmstädterin hatte das Vorhaben bereits im März scheitern lassen.

Bliebe eine höchst fragile Mehrheit von einer Stimme. Das könnte reichen. Allerdings nur, wenn der Parteirechte Jürgen Walter sein Wort hält, Ypsilanti zu wählen - obwohl er die Zusammenarbeit mit der Linken für falsch hält. Immer wieder schießt Walter in Interviews quer, um sich dann doch mit dem Satz abzusichern, eine Entscheidung des Parteitages selbstverständlich mitzutragen.

Aber seine mangelnde Loyalität stößt den Genossen auf. Zu den Fraktionssitzungen komme der Ypsilanti-Rivale des Öfteren zu spät, verbreiten Ypsilanti-Anhänger. Er halte sich im Hintergrund und mache den Eindruck: Ich würde es ganz anders machen. Walter bestreitet das. Er bestehe lediglich auf einer "längst überfälligen inhaltlichen Debatte", sagte er SPIEGEL ONLINE.

Sicherer als die Stimmen der eigenen Leute hat Ypsilanti jene von Grünen und Linkspartei. Zwar beäugen beide Fraktionen argwöhnisch, welchen Stolperer die SPD als nächstes hinlegt. Dennoch stehen sie nach wie vor zu dem Ziel, Koch abzuwählen. "Von uns stehen die sechs Stimmen gegen Roland Koch", bekräftigte die Linken-Abgeordnete Janine Wissler gegenüber SPIEGEL ONLINE. Die 27-Jährige sorgte mit ihrer Rede am Dienstag für große Empörung bei den Christdemokraten. Offensiv feierte sie den "Erfolg der Studierenden" und warf der CDU "Arroganz und Zynismus" vor.

Den Fraktionschef Wagner ließ sie eiskalt abblitzen: Statt seine Zwischenfrage zuzulassen, empfahl sie ihm, doch lieber ihren Worten zu lauschen.