Karl Nolle, MdL
Sächsische Zeitung, 24.04.2001
Anwalt wirft Biedenkopf Steuerhinterziehung vor
Nach Rechnungshof und Staatskanzlei soll jetzt auch der Staatsanwalt prüfen
DRESDEN. Sachsens Ministerpräsident Kurt Biedenkopf (CDU) gerät immer mehr in die Bredouille. Bei der Staatsanwaltschaft liegt eine Strafanzeige, die PDS droht mit dem nächsten Untersuchungsausschuss.
Gemunkelt und vermutet wurde schon immer viel, wenn es um die Dienstvilla des Ministerpräsidenten auf der Dresdner Schevenstraße ging. Bis es der SPD-Landtagsabgeordnete Karl Nolle im Februar dieses Jahres ganz genau wissen wollte: Er richtete mehrere Kleine Anfragen an die Staatsregierung. "Ich wusste nicht, in welches Wespennest ich steche", bekennt er heute.
Stutzig wurde Nolle erst, als die Staatskanzlei nur spärlich und offensichtlich äußerst widerwillig auf die Fragen antwortete. Doch das will der Abgeordnete nicht hinnehmen. Wegen - aus seiner Sicht - unvollständiger und teilweise fehlerhafter Beantwortung zieht Nolle jetzt vor das Verfassungsgericht. Mit dem gleichen Argument hatten vor einigen Jahren schon einmal PDS-Abgeordnete in Leipzig geklagt - und Recht bekommen.
Damit nicht genug. Ebenfalls gestern informierte der Dresdner Rechtsanwalt Michael Sturm, er habe eine Strafanzeige gegen Kurt Biedenkopf eingereicht. Sein Vorwurf: Der Ministerpräsident habe wegen der "schweinegünstigen" Miete von 1 857,03 monatlich einen geldwerten Vorteil erhalten. Der sei aber offenbar nicht - wie vom Einkommensteuergesetz gefordert - ordnungsgemäß versteuert worden. Nach Sturms Auffassung hätten die Kaltmiete fast doppelt so hoch sein und Kosten für das Personal von 3 000 Mark pro Monat berücksichtigt werden müssen. Deshalb habe das Ehepaar Biedenkopf seit Mitte 1997 jeden Monat einen geldwerten Vorteil von 3 842,97 Mark an der Steuer vorbei genossen - macht bis Ende April 2001 die stolze Summe von rund 177 000 Mark.
PDS droht mit zweitem Untersuchungsausschuss
Die Dresdner Staatsanwaltschaft bestätigte den Eingang der Anzeige. Im Laufe dieser Woche werde man entscheiden, ob man ermitteln werde, sagte Oberstaatsanwalt Claus Bogner. Rechtsanwalt Sturm will die Strafanzeige vor allem als "Bitte um Überprüfung eines Sachverhalts" verstanden wissen, kann aber auch politische Motive nicht verhehlen: Der Strafverteidiger ist zugleich SPD-Mitglied. Die SPD-Fraktion hält sich in der Affäre derweil auffällig zurück. Einen Berichtsantrag zum Büro von Ingrid Biedenkopf unterzeichneten außer Karl Nolle und Simone Raatz ausschließlich PDS-Abgeordnete.
Sollten die Staatsanwälte die Verhältnisse auf der Schevenstraße 1 unter die Lupe nehmen, wären sie indes nicht die Ersten. Der Rechnungshof hat seine Prüfung abgeschlossen und plant für Mai das Abschlussgespräch mit der Staatskanzlei; eine Veröffentlichung der Ergebnisse gilt als wahrscheinlich. Bereits kommenden Mittwoch soll der Bericht der von der Staatskanzlei eingesetzten Arbeitsgruppe dem Finanzausschuss des Landtages vorgelegt werden. "Ich gehe davon aus, dass der Termin gehalten wird", sagte Vizeregierungssprecher Hartmut Häckel auf SZ-Anfrage. Das Kabinett werde sich damit zuvor aber nicht befassen. Offizielle Begründung: Die Kabinettssitzung fällt am Dienstag wegen des Feiertages aus. Vermutlich ist man über diesen Umstand auch nicht ganz unglücklich. Und Biedenkopf weilt ohnehin noch in den USA.
Die PDS-Fraktion sieht der Sitzung des Finanzausschusses schon mit Spannung entgegen. Sollte die Staatskanzlei Antworten schuldig bleiben, werde man die Affäre ins Plenum bringen, kündigte Fraktionschef Peter Porsch an. Notfalls müsse ein zweiter Untersuchungsausschuss zum "System Biedenkopf" eingesetzt werden, um die Wahrheit ans Licht zu bringen.
Und die Fragerei geht weiter. Vorige Woche erkundigte sich SPD-Mann Karl Nolle nach der privaten Nutzung der Polizeihubschrauber. Er hatte den Tipp erhalten, dass Ingrid Biedenkopf mit dem Helikopter zu einem Krankenhausbesuch geflogen sei. Überhaupt kriegt Nolle immer neue Tipps - vornehmlich von CDU-Leuten, wie er sagt: "Es ist erstaunlich, jeden Tag gibt es neue Fragen."
(Steffen Klameth)