Karl Nolle, MdL

Neues Deutschland ND, 07.08.2008

Mit zweierlei Maß – Parteiausschlüsse in der SPD

Disziplinierung ist kein Fremdwort in »Volksparteien« – heute: Wie Karl Nolle zum Ärgernis wurde
 
Karl Nolle – heute sächsischer SPD-Landtagsabgeordneter – wurde 1986 aus der SPD ausgeschlossen, weil er für eine rot-grüne Mehrheit warb. Kurz nach seinem Parteiausschluss gab es das erste Rot-Grün in Hessen. Mit dem 63-Jährigen sprach Gabriele Oertel.

ND: Wenn Sie den Fall Clement verfolgen, kommen Ihnen sicher Erinnerungen an Ihr Ausschlussverfahren aus der SPD. Parallelen?

Nolle: Ich habe einige Erfahrungen auf dem Gebiet. Mein erstes Parteiordnungsverfahren als Juso hatte ich wegen Beleidigung und Verächtlichmachung führender Mandats- und Funktionsträger.

Worum ging es?

Ich hatte öffentlich gebrandmarkt, dass der damalige Chef der Konzentrations GmbH, der die Medien der SPD führte, während der Nazizeit ein fanatischer Jugendbuchautor war und kriegsverherrlichende Jubelbücher über die siegreiche Wehrmacht geschrieben hat. Ich war der Meinung, dass so einer in der SPD nichts zu suchen hat.

Guckt man sich die Geschichte Ihrer Familie an – Großmutter und Vater haben illegal gegen die Nazis gearbeitet – muss man Sie besonders verstehen. Aber auch ohne diesen Hintergrund hätte die SPD Ihnen doch dankbar sein müssen?

Das Gegenteil passierte, einfältige Apparatschiks eröffneten gegen mich ein Parteiordnungsverfahren.

15 Jahre später sind Sie aus der SPD ausgeschlossen worden – wegen Unterstützung einer feindlichen Organisation. Wen haben Sie um Gottes Willen unterstützt?

Die Grünen. Seitdem weiß ich, dass es leichter ist, mit der Partei zu irren, als gegen sie Recht zu haben. Zusammen mit über 100 anderen Hannoveranern hatte ich namentlich in einer Zeitungsanzeige aufgerufen, bei der anstehenden Wahl die Erststimme der SPD, die Zweitstimme den Grünen zu geben – mit der politischen Begründung, dass damit die SPD zusammen mit den Grünen eine Koalition gegen die CDU bilden kann. Das wurde als Unterstützung einer feindlichen Organisation bewertet, was sofortigen Ausschluss mit sich bringt. Laut Statut der SPD verliert automatisch seine Mitgliedschaft, wer für eine andere Partei wirbt.

Damit dürfte der Fall ja auch bei Wolfgang Clement klar sein ...

In der Sache ja, nicht aber in der Formulierung. Wir haben gesagt, wählt SPD und Grün. Clement hat aber aufgefordert, in Hessen nicht Ypsilanti zu wählen.

Haben Sie 1986 Einspruch gegen Ihren Ausschluss erhoben?

Nein – ich unterlag ja der Statutenfestlegung ohne Verfahren. Ich hatte einen Brief bekommen. Darin wurde ich aufgefordert, zu erklären, dass meine Unterschrift auf dieser Anzeige irrtümlich zustande gekommen sei. Ich antwortete, dass ich durchaus weiß, was ich tue – und lieferte noch einmal die politische Begründung. Interessanterweise hat der damalige Bezirkschef der SPD, der kürzlich verstorbene Prof. Peter von Oertzen – ein linkes Urgestein in der SPD – erklärt, wer Leute wie Nolle rausschmeißen will, solle die Drecksarbeit selber machen. Es gab also damals wie heute diese Auseinandersetzungen, die weit mehr sind als Differenzen um Personen.

Dafür spricht auch die Äußerung von Klaus von Dohnanyi, der sagt, die SPD brauche eine solche Zerreißprobe wie um Clement.

Seitdem Schröder und seine Freunde die traditionellen Grundpositionen der SPD durch die Agenda 2010 auf den Hund gebracht haben, hat diese Partei schon wahrlich genug Zerreißproben hinter sich. Sie hat begonnen, ihr eigenes Grab zu schaufeln. Einige hunderttausend Mitglieder und Millionen Wähler haben der Partei den Rücken gekehrt. Wenn Dohnanyi eine weitere Zerreißprobe fordert, kann ich das nur so verstehen, dass endgültig aufgeräumt werden muss mit allen linken Positionen in der SPD. Parteischädigend sind in der Regel ja immer nur Linke.

Clement ist aber ein Rechter ...

Clement ist für mich ein prinzipienloser Büttel der Atomlobby. Er hat eine Rüge verdient, weil er sich parteischädigend verhalten hat. Man sollte ihm bei seiner Entscheidung helfen, die Partei zu verlassen. Hat er denn jemals zur Partei August Bebels und Willy Brandts gehört oder nur an ihr verdient? Ein Clement macht keine Fehler, er leidet nicht unter Selbstzweifeln. Was die Unfehlbarkeit angeht, kommt nach solchen Politikern nur noch der Papst. Im Unterschied zu Clement habe ich damals politisch weitsichtig agiert, um die strukturelle Mehrheit links von der CDU/FDP, von der Willy Brandt sprach, zustande zu bringen.

Hat Ihnen gerade deshalb Ihr Parteiausschluss wehgetan?

Natürlich, vor allem weil ein halbes Jahr später in Hessen Latten-Börner mit Turnschuh-Fischer eine rot-grüne Koalition gebildet hat. Schröder hat hier in Dresden später einmal gesagt, dass ich 1986 sehr weise gewesen sei mit meiner Position. Die Schlauberger, die mich damals ausgeschlossen haben, koalierten ja später in Niedersachsen selber mit den Grünen.

Haben Sie Hilfe erfahren, wie sie jetzt Clement vom SPD-Vorsitzenden höchstselbst widerfährt?

Mal im Spaß, vielleicht hätte ich dazu die Partei erst mal, wie Clement, gründlich auf den Hund bringen sollen. Nein, außer vom linken Peter von Oertzen habe ich keine Hilfe erfahren und hätte auch keine gewollt. Später baten mich die Parteischarfrichter, wieder in die SPD zu kommen. Ich antwortet, wenn Ihr Euch für Euren politischen Irrtum entschuldigt, dann komme ich. Das aber hat nie stattgefunden.

Sie sind trotzdem wieder in die SPD eingetreten. Haben Sie das manchmal bereut?

Ich bin 1998 wieder eingetreten, um zu helfen, Kohl in die Wüste zu schicken. Ja, ich habe viele Selbstzweifel durchlitten, aber sie ist seit 1885 die Partei meiner Familie. Soll ich sie den andern überlassen? Man wechselt eine Partei nicht wie ein Hemd. Und – und wenn ich austreten würde, wo sollte ich hintreten?

Andere ehemalige SPD-Mitglieder sehen das inzwischen anders.

Stimmt. Aber solange ich der linken Sache, den Idealen meiner Familie, in der sächsischen SPD mehr nutzen kann, als außerhalb, werde ich die Widersprüche aushalten.

Leider haben wir heute in der Partei zu viele SPD-Mitglieder und zu wenig Sozialdemokraten.

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