Karl Nolle, MdL

spiegel-online, 09.08.2008

Oskars Vereinigungsparteitag

Von Björn Hengst, Neunkirchen
 
Linkspartei-Chef Lafontaine hat auf dem Saar-Parteitag in Neunkirchen für Rot-Rot geworben. Und das Treffen zeigte: In Lafontaines Heimat sind beide Parteien trotz aller Abgrenzungsversuche der SPD-Spitze eng verwoben. Der Ex-Ministerpräsident zieht als Spitzenkandidat in die Wahl. Gewählt mit 92 Prozent.

Neunkirchen - Er dreht sich zufrieden nach links, nach rechts, schaut nach hinten, dann nach vorn - der Blick von Oskar Lafontaine wandert durch den Saal im Neunkirchener Bürgerhaus und wohin sich Lafontaine auch wendet: Der Linkspartei-Chef entdeckt alte politische Weggefährten.

"Da vorn sitzt Eugen Roth", sagt Lafontaine den angereisten Journalisten, "saarländischer DGB-Chef und stellvertretender SPD-Landesvorsitzender". Weiter hinten erkennt er den Neunkirchener Oberbürgermeister Fritz Decker - selbstverständlich ein Sozialdemokrat. Die Vorstellungsrunde bereitet ihm Vergnügen.

Er könnte minutenlang so weiter machen. Sie sind zum Parteitag der saarländischen Linkspartei für ein Grußwort und ein Wiedersehen gekommen, hier ist das alles ganz normal: Auf Bundesebene verweigern die Sozialdemokraten Gespräche mit ihrem früheren Parteichef, der jetzt die Linkspartei führt, in Berlin sind sie die schärfsten Gegner, aber hier in seiner Heimat begegnen sich viele Sozialdemokraten und Linkspartei-Politiker mehr als respektvoll: nämlich freundschaftlich.

Das ändert sich auch nicht dadurch, dass SPD-Landeschef Heiko Maas in den vergangenen Tagen stets betonte, dass er auf keinen Fall für eine mögliche rot-rote Landesregierung unter einem Ministerpräsidenten Lafontaine zur Verfügung stehen würde - eine Koalition vielleicht schon, aber die Rolle des Juniorpartners will Maas nicht. Aber wenn sein Stellvertreter Roth in seiner Eigenschaft als saarländischer DGB-Chef beim Lafontaine-Parteitag in Neunkirchen auftritt, dann ist das zumindest ein politisches Signal - auch wenn Roth selbst das so nicht sehen will: Ein "bisschen brisant" sei sein Auftritt möglicherweise, "weil ich ja auch ein Parteiamt habe", sagt der Mann mit Schnauzbart und imposantem Bauch SPIEGEL ONLINE, "aber es ist doch selbstverständlich, dass ich als DGB-Vorsitzender die Einladung zum Parteitag der Linken annehme."

Und wenn man Roth vor den Delegierten hört, klingt er manchmal wie ein langjähriges Mitglied der Linkspartei. Er verwahre sich gegen den Versuch, die Linkspartei zu radikalisieren, und meinte damit wohl auch Ministerpräsident Peter Müller (CDU), der zuletzt unter anderem darauf verwiesen hatte, die Linkspartei wolle Teile des kommunistischen Manifests in ihr Programm schreiben. "Wer so gegen die Linke geht, ist auf dem rechten Auge blind", sagt Roth.

Über eventuelle Koalitionen nach der Landtagswahl im kommenden Jahr will Roth nicht spekulieren. Aber er sagt diesen einen Satz: "Alles ist möglich." Eindeutig kein entschiedenes Nein zu einer rot-roten Koalition unter der Führung von Lafontaine.

Natürlich liegt diese nicht offen ausgesprochene, aber beim Neunkirchener Parteitag erkennbare Nähe zwischen Linkspartei und SPD im Saarland an Lafontaine. Für die Sozialdemokraten war der 64-Jährige zunächst als Saarbrücker Oberbürgermeister im Amt, später dann von 1985 bis 1998 als Ministerpräsident, er kennt seine alten Genossen seit Jahrzehnten.

Mit Macht zurück im Saarland

Seinen Austritt aus der SPD haben die Saarland-Genossen ihm zwar übel genommen, aber jetzt sehen sie, wie Lafontaine mit Macht zurückkehrt: Ihre Mitgliederzahl hat die Saar-Linke in den vergangenen zwölf Monaten verdoppelt; die frühere grüne Landtagsabgeordnete Barbara Spaniol haben die Saar-Linken abgeworben, sie sitzt jetzt für die Linkspartei im Landtag; bei der letzten Bundestagswahl holten sie hier aus dem Stand 18,5 Prozent und in aktuellen Umfragen liegen sie nur noch wenige Prozentpunkte hinter der SPD. 20 Prozent plus X, lautet das Ziel der Linkspartei für die Wahl im kommenden Jahr. Und die Sozialdemokraten sehen schon jetzt manchmal ziemlich alt daneben aus: Wie zuletzt im Juli, als die Linkspartei auf einen Schlag 220 Neumitglieder begrüßen konnte - Busfahrer der Saarbahn GmbH, die aus Angst vor Privatisierungspolitik der Lafontaine-Partei beitraten, viele von ihnen waren früher SPD-Mitglieder.

Lafontaine ist an diesem Samstag mehr als zufrieden. "Ist das nicht fast ein SPD-Parteitag?", lautet eine Journalisten-Frage. Der 64-Jährige, geöffneter Hemdkragen, gut gebräunt, schaut noch einmal in die Runde der Parteitagsdelegierten und Gäste und lacht. "Das hier ist so was ähnliches wie die USPD", sagt Lafontaine. Die 1917 entstandene Partei sei aus Protest von einigen SPD-Abgeordneten gegen die Unterstützung der Sozialdemokratie für den Ersten Weltkrieg gewachsen - die Linkspartei sei aus dem Protest gegen "völkerrechtswidrige Kriege" und die Politik der SPD hervorgegangen, so Lafontaine.

Seine Bewerbungsrede in Neunkirchen wird auch zu einem offenen Werben um die SPD - allerdings mit selbstbewusster Botschaft: Er wolle eine rot-rote Koalition, sagt Lafontaine, "aber auf Augenhöhe: Derjenige der stärker ist, stellt auch den Ministerpräsidenten". Die SPD solle sich vor der Wahl klar gegen eine mögliche Koalition mit der CDU aussprechen. Er könne den Sozialdemoraten nur "raten, diese Erklärung klar und deutlich abzugeben". Die Wahl habe "bundespolitische Bedeutung", betont Lafontaine, "weil es um einen Richtungswechsel in der Politik" gehe. Der amtierende Ministerpräsident Peter Müller (CDU) gehöre allein deshalb abgewählt, weil er sich mit seiner Entscheidung für ein Ende des Bergbaus "an der Tradition und der Kultur dieses Landes versündigt" habe, sagt Lafontaine.

Mehr als eine Stunde spricht Lafontaine in Neunkirchen. Am Ende steht er mit nassgeschwitztem Hemd vor begeisterten Delegierten. 90 Prozent - so lautet die Erwartung vieler Parteimitglieder für die spätere Wahl Lafontaines zum Spitzenkandidaten. Und die übertrifft er sogar noch: es werden 92,4 Prozent.

Von einem solchen Ergebnis wäre selbst der einstige DDR-Staatratsvorsitzende und SED-Parteichef Erich Honecker beeindruckt gewesen, der 1912 hier in Neunkirchen geboren wurde. 1987 begegneten sich Lafontaine und Honecker, im Neunkirchener Bürgerhaus. Honecker war zu einem offiziellen Besuch in die Bundesrepublik gekommen. Der damalige Ministerpräsident Lafontaine, der heute als Linkspartei-Chef quasi Amtsnachfolger des früheren SED-Vorsitzenden ist, sagte dem Gast damals: "Fühle Se sich wie dehemm."