Karl Nolle, MdL
ZEIT ONLINE, 22.08.2008
Die Enttabuisierung der Linken könnte CDU und CSU noch Probleme bereiten
Wähler gewöhnen sich schnell
Die Union frohlockt über hessische Verhältnisse und SPD-Krise. Aber die Enttabuisierung der Linken könnte CDU und CSU noch Probleme bereiten
In der CDU reibt man sich die Hände über Andrea Ypsilantis Kurs in Hessen. Der Streit um die dortige SPD bestimmt im Sommerloch die Schlagzeilen. Mit Krokodilstränen beklagt die CDU den „Erosionsprozess der SPD“, aber natürlich zögert sie gleichzeitig nicht, auf den Koalitionspartner einzuprügeln, ihm Wahlbetrug und einen gefährlichen Pakt mit den Linken vorzuwerfen.
Vergessen hingegen scheint die Krise der CSU, die in Bayern um die absolute Mehrheit bangt. Vergessen scheint auch der unionsinterne Richtungsstreit um das wirtschaftspolitische Profil, um Steuersenkungen oder die Einführung der Pendlerpauschale. Vergessen scheint zudem, dass die Union in Umfragen alles andere als gut dasteht und eine bürgerliche Mehrheit nach den nächsten Bundestagswahlen äußerst unwahrscheinlich ist.
Die Union sollte sich also nicht allzu triumphierend präsentieren. Im Gegenteil. Kurzfristig lässt sich kräftig an der Empörungsschraube drehen, aber der Wähler gewöhnt sich schnell. In der Politik galt schon immer das Motto, der Erfolg heiligt die Mittel. Wenn Andrea Ypsilanti im Amt ist und die Entrüstung sich verzogen hat, dann wird sich zeigen, vor welchen strategischen Herausforderungen auch die Union steht.
Die Veränderungen im Parteiensystem, die sich in Hessen manifestieren, könnten der Union mehr Probleme bereiten, als ihr lieb ist. Zunächst einmal würde die CDU die Macht und einen Ministerpräsidenten verlieren. Das schmerzt jeder Partei, zumal Hessen eines der wirtschaftlich stärksten Bundesländer ist. Auch fünf Stimmen im Bundesrat gingen verloren. Die schwarz-gelbe Mehrheit in der Länderkammer würde auf drei Stimmen zusammenschmelzen. Schon nach der nächsten Landtagswahl in Thüringen könnte sie dann dahin sein.
Gleichzeitig würde sich die SPD machtpolitisch einen strategischen Vorteil verschaffen. Sie hätte in einem Fünfparteiensystem eine Koalitionsoption mehr. Zwar ist dieser Vorteil zunächst nur klein, weil sich die Zusammenarbeit mit den Linken erst bewähren muss und diese 2009 im Bund noch tabu ist. Aber die SPD wäre die einzige Partei, die zunächst in den Ländern und nach 2009 auch im Bund im Prinzip mit allen anderen Parteien regieren kann. Gleichzeitig würden auch Ampelregierungen wieder wahrscheinlicher, denn auch die FDP müsste auf die Veränderungen reagieren.
Der FDP-Vorsitzende Guido Westerwelle hat schließlich vor ein paar Monaten das schwarz-gelbe Projekt für beendet erklärt, sich grundsätzlich auch rot-gelb-grünen Bündnissen gegenüber offen gezeigt und bekundet, seine Partei werde alles tun, um Linksbündnisse zu verhindern. Will sich die FDP also aus der Umklammerung durch die Union befreien, wird sie gezwungen sein, Worten auch Taten folgen zu lassen. Die FDP braucht neue Optionen, will sie es sich im Bundestag nicht dauerhaft auf den Oppositionsbänken bequem machen. Zumal die CDU seit Hamburg statt auf Schwarz-Gelb auch auf Schwarz-Grün setzen kann.
Hessen bringt machtpolitisch also einiges in Bewegung. Aber auch programmatisch geriete die Union unter Zugzwang. Denn auf einen Linksruck, der sich ja in Regierungshandeln und auf das Meinungsklima niederschlagen würde, muss sie inhaltlich reagieren. Ein fundamentalistischer Oppositionskurs gefällt zwar den Mitgliedern, aber nicht den Wählern. Auch die Union müsste sich programmatisch nach links wenden. Der Prozess der Sozialdemokratisierung würde weiter an Dynamik gewinnen, der Leipziger Parteitag mit seinen wirtschaftsliberalen Thesen endgültig Geschichte werden. Gleichzeitig allerdings würden die internen Konflikte zwischen dem konservativen, dem pragmatischen und dem Arbeitnehmerflügel in der Union weiter angeheizt.
Natürlich ist die Union in einer komfortableren Situation als ihr Partner in der Großen Koalition. Natürlich steckt die SPD weiter tief in der Krise, der Richtungsstreit und die Personalquerelen halten an, viele programmatische Konflikte bleiben ungeklärt. Aber einerseits wird sich das wieder ändern, andererseits wird auch die Union auf Hessen reagieren, sich auf den Verlust weiterer Landesregierungen und innerparteiliche Unruhe einstellen müssen. Christdemokratische Überheblichkeit ist deshalb fehl am Platz.
Doch selbst wenn Andrea Ypsilanti noch scheitert, brächen für die Union keine rosigen Zeiten an. Zwar liefe in einem solchen Fall alles auf Neuwahlen in Hessen hinaus, bei denen die Wähler die SPD mit Sicherheit abstrafen würden. Aber erstens wäre ein vorgezogener Urnengang auch für die hessische CDU alles andere als ein Selbstläufer. Sie müsste noch einmal mit Ministerpräsident Roland Koch ins Rennen gehen. Der aber ist politisch angeschlagen und mit dem Makel einer dramatischen Wahlniederlage behaftet. Zweitens würde dies die Veränderungen im Parteiensystem nicht aufhalten, sondern allenfalls aufschieben.
Von Christoph Seils