Karl Nolle, MdL

n.r.v. Neue Richtervereinigung Sachsen e.V., Wahlinfo 2008, 27.08.2008

Im Schatten der Königskobra

... Vermutlich hat noch nie eine einzelne Person in der sächsischen Justiz in Personalangelegenheiten eine derart einflussreiche Position inne gehabt wie (Justizstaatssekretärin) Gabriele Hauser...
 
Bei jeder Wahl zu den justizinternen Mitwirkungsgremien in Sachsen stellt sich dem auch nur einigermaßen kritischen Richter oder Staatsanwalt die Frage, warum er daran eigentlich als Wähler oder gar als Kandidat teilnehmen soll. Denn trotz ambitionierter Erklärungen im Koalitionsvertrag der CDU/SPD-Landesregierung hat sich nichts daran geändert, dass die nun zu wählenden Richter- und Staatsanwaltsräte nicht mit Mitbestimmungs-, sondern lediglich mit Mitwirkungsrechten ausgestattet sind und im Zweifel gegenüber dem Justizministerium nichts zu melden haben.

Die Berufsverbände begegnen derartigen Bedenken - insbesondere in Wahlbroschüren — mit einer manchmal schon gebetsmühlenhaft wiederholten Antwort: Gerade weil die Gremien so wenig Rechte haben, ist es nicht nur wichtig, sich dafür einzusetzen, dass sie endlich mehr Rechte bekommen, sondern auch, in den bestehenden Gremien dafür zu kämpfen, dass die Verhältnisse nicht noch schlimmer werden. Diese Antwort ist heute nicht mehr ganz korrekt. Die Verhältnisse sind nämlich schlimmer geworden, und zwar aus objektiven und aus subjektiven Gründen:

Objektiv sind die Spielräume für justizinterne Umgestaltungen in Zeiten sinkender Verfahrenszahlen, knapper öffentlicher Kassen und nachhaltiger demografischer Veränderungsprozesse vor dem Hintergrund der besonderen Altersstruktur der sächsischen Justizangehörigen ausgesprochen eng geworden. Vor allem stehen die genannten Faktoren Neueinstellungen von Berufsanfängern, aber auch individuellen Veränderungswünschen von „alt gedienten" Kollegen nach Beförderung, Abordnung oder Versetzung langfristig entgegen. Die Justiz ist merklich unflexibler geworden. Dies ist für die vielen, die nicht immer auf dem gleichen Posten bleiben oder auch einmal eine Führungsposition ausüben wollen, ein echtes Problem geworden.

Nicht minder einschneidend sind die in den letzten Jahren im subjektiven, d.h. im Bereich der die Gesamtverantwortung tragenden Personen, eingetretenen Veränderungen. Minister Mackenroth, der aufgrund seiner Herkunft als langjähriger Gerichtspräsident und Verbandsfunktionär mehr Verständnis für Justizinterna mitbrachte als alle seine Vorgänger, konzentriert sich — so scheint es jedenfalls — zunehmend auf allgemeine rechtspolitische Fragen und gewinnt dadurch auch über Sachsen hinaus an Statur und Profil. Personalsachen überlässt er weitgehend seiner Staatssekretärin.

Diese Rollenverteilung wäre eigentlich kein Problem, wenn sich Staatssekretärin Hauser - so scheint es jedenfalls auch — nicht fast ausschließlich für Personalfragen interessieren und alle insoweit wesentlichen Entscheidungen an sich ziehen würde. Immerhin war sie selbst lange Personalreferentin und verfügt in diesem Bereich über Erfahrungen wie kaum eine andere. Damit ist ihr aber auch eine Machtposition erwachsen, von der sie auf berufliche Entwicklungen und damit persönliche Schicksale Einfluss nehmen kann wie kaum eine andere.

Und diese Macht übt sie auch aus, immer mit Engagement und Kompetenz, meistens mit Charme und Überzeugungskraft und manchmal auch mit List und Drohungen. Letztere Variante hat ihr - lange vor ihrer Berufung zur Staatssekretärin - den nicht sehr freundlichen Spitznamen
„Königskobra" eingebracht.

Wie dem auch sei: Vermutlich hat noch nie eine einzelne Person in der sächsischen Justiz in Personalangelegenheiten eine derart einflussreiche Position inne gehabt wie Gabriele Hauser. Das ist nicht gut, denn es ist immer problematisch, wenn ein Einzelner zu viel Macht hat. Die Erfahrung lehrt, dass Menschen mit zu viel Macht, selbst wenn sie dazu fähig sind, in siebzig von hundert Fällen richtig zu entscheiden, immer dazu neigen, ihren Willen auch in den restlichen dreißig Fällen durchzusetzen, auch dann, wenn sie damit die falschen Entscheidungen treffen. Und diese dreißig Fälle sind möglicherweise keine solchen mit überschaubaren, sondern mit beträchtlichen Folgen. Es ist für die meisten Richter oder Staatsanwälte ja durchaus von Bedeutung, wer ihr Behördenleiter, stellvertretender Behördenleiter, Vorsitzender, Abteilungsleiter oder Kollege wird. Es ist für sie daher wichtig, dass darüber mit offener und kritischer Unaufgeregtheit entschieden und die Ministerialauffassung nicht einfach nur durchgedrückt wird. Es kann ja tatsächlich im Einzelfall so sein, dass eine allzu große Begeisterung über glänzende Examensnoten oder gewandtes Auftreten den Blick auf eventuelle fachliche oder charakterliche Defizite trübt. Vor derartigen Fehlern ist auch eine erfahrene Staatssekretärin nicht gefeit. Nicht umsonst hatten bereits die Verfassungsväter der Vereinigten Staaten ein System von „checks and balances" zur Eindämmung von ausufernden Machttendenzen entwickelt.

Da das aktuelle sächsische Personalvertretungsrecht von einem solchen System Lichtjahre entfernt scheint, könnte man in Anbetracht dieses nicht nur weiterhin düsteren, sondern vom Schatten der Königskobra noch zusätzlich verdunkelten Bildes tatsächlich in tiefe Melancholie verfallen und die Wahlen Wahlen sein lassen. Aber was brächte ein Wahlboykott? Wem würde er nützen? Doch nur denjenigen, die alles beim Alten lassen wollen. Im Übrigen können auch Mitwirkungsgremien ohne wirkliche Rechte bei entsprechender Rückendeckung durch die Kollegen ein gewisses moralisches Gewicht erlangen. Deshalb stehen sie bei einer hohen Wahlbeteiligung zunächst einmal besser da als bei einer niedrigen. Und noch etwas: Mit einer bloßen Verweigerungshaltung kann in einem demokratischen Staat heutzutage eigentlich nichts mehr bewirkt werden. Deshalb lautet die Antwort auf die Eingangfrage auch in diesem Jahr: Besser wählen, als wie ein Kaninchen auf die Schlange zu schauen.
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von Christian Avenarius,
Oberstaatsanwalt in Dresden