Karl Nolle, MdL
spiegel-online, 30.08.2008
Linke will Rot-Grün in Hessen tolerieren
Unterstützung für Hessens SPD-Chefin Ypsilanti: Die Linke hat sich auf ihrem Landesparteitag bereit erklärt, eine rot-grüne Minderheitenregierung zu tolerieren. Die Union verschärfte die Angriffe auf die Linke, CDU-Vize Wulff rückte sie in die Nähe des Terrorismus.
Lollar - CDU-Ministerpräsident Roland Koch ist nach dem Patt bei der Landtagswahl geschäftsführend im Amt - doch nicht mehr lange, wenn es nach dem Willen der Linken geht. Auf ihrem Parteitag in Lollar hat der hessische Landesverband der Partei die Weichen für die Tolerierung einer rot-grünen Minderheitsregierung in Hessen gestellt: Mit großer Mehrheit verabschiedete der Parteitag ein Papier, in dem die Bereitschaft erklärt wird, die SPD-Landesvorsitzende Andrea Ypsilanti zur Ministerpräsidentin zu wählen und ihr Kabinett im hessischen Landtag zu bestätigen.
Die Verhandlungen mit SPD und Grünen über die Tolerierung einer rot-grünen Minderheitsregierung sollen dem Plan nach in drei Stufen geführt werden. Zunächst soll es Gespräche zwischen den Spitzen von Linkspartei, SPD und Grünen geben. Nach einer Bewertung dieser Gespräche sollen Landesvorstand, Kreisvorsitzende und die Landtagsfraktion über die Aufnahme konkreter Verhandlungen entscheiden. In einem zweiten Schritt werden die Ergebnisse der Verhandlungen mit den Parteimitgliedern der Linken auf Regionalkonferenzen beraten. Schließlich sollen die Mitglieder der hessischen Linken über die Tolerierung einer rot-grünen Minderheitsregierung in einer Abstimmung entscheiden.
Linkspartei-Bundesvorsitzender Oskar Lafontaine war vor dem Beschluss nicht müde geworden, vor seinen hessischen Genossen die Übereinstimmungen seiner Partei mit dem Programm der Hessen-SPD zu betonen. Wie die SPD wolle die Linke eine Gemeinschaftsschule, sagte Lafontaine. Angesichts steigender Energiepreise müssten Sozialtarife eingeführt werden. Es gelte, eine Kürzung von Sozialleistungen und einen Abbau im Öffentlichen Dienst zu verhindern. Auch der Linkspartei komme es darauf an, "die Lebensbedingungen der Menschen zu verbessern". Dazu könne seine Partei zusammen mit der SPD beitragen, "egal ob man das Koalition, Tolerierung oder sonst wie nennt".
Koalition oder bloße Tolerierung - lediglich eine Frage der Benennung? Der Bundesgeschäftsführer der Linkspartei, Dietmar Bartsch, jedenfalls hält in Hessen auch eine rot-rot-grüne Koalition grundsätzlich für möglich. Zwar habe Ypsilanti eine solche Koalition ebenso ausgeschlossen wie die hessische Linke selbst, sagte Bartsch der "Frankfurter Allgemeinen Sonntagszeitung", doch "wenn die hessische Landesvorsitzende aber ihre Meinung eines Tages ändert und vielleicht nach der Bundestagswahl mit uns Koalitionsverhandlungen führen will, dann rate ich meiner Partei, das genau zu prüfen", relativierte er.
Zu Beginn des Parteitags am Freitag hatte der Vizevorsitzende der Linksfraktion im Bundestag, Bodo Ramelow, eine Ablösung der hessischen CDU-Regierung durch Rot-Grün mit Hilfe der Linken gefordert. Es gehe darum, Mehrheiten im Bundesrat für linke Politik zusammenzutragen. Nur dort ließen sich Projekte wie ein bundeseinheitlicher Mindestlohn durchsetzen, sagte Ramelow.
Vor der Generalaussprache über die Tolerierung einer rot-grünen Minderheitsregierung stimmten die 184 Delegierten gegen eine Trennung von Parteiamt und Parlamentsmandat in der Satzung. Damit blieb der Landtagsabgeordnete Ulrich Wilken im Rennen um den Parteivorsitz.
Ypsilanti: "Mehr als nur ein Handschlag"
Ypsilanti forderte von der Linkspartei eine Entscheidung zwischen Protest und "Verantwortung für einen Politikwechsel". Beschließe die Partei Die Linke die Duldung einer rot-grünen Minderheitsregierung, "muss sie beantworten, wie sie das gewährleisten will", sagte Ypsilanti der "Frankfurter Allgemeinen Zeitung". Verlässlichkeit bedeute mehr als "nur einen Handschlag". Eine Regierungsübernahme mit Hilfe der Linken sei noch nicht beschlossen.
Zum Thema Verlässlichkeit äußerte sich auch Lafontaine in seiner Rede auf dem Parteitag. In Richtung SPD sagte er dazu, die Sozialdemokraten würden im Falle einer Zusammenarbeit mit Unionsparteien oder FDP eigene Ziele wie Mindestlohn und Atomausstieg preisgeben. "Deshalb fordert die Linke Programm-Verlässlichkeit."
Nach einem Bericht des "Focus" soll der frühere SPD-Vorsitzende Franz Müntefering schon frühzeitig zu einer förmlichen Koalition mit der Linkspartei in Hessen geraten haben. Am 24. Februar habe Müntefering an SPD-Chef Kurt Beck geschrieben, Ypsilanti solle sich nicht auf eine von der Linkspartei tolerierte Minderheitsregierung einlassen, sondern eine richtige Koalition anstreben. Eine echte Regierungsbeteiligung nehme die Linken stärker in Haftung und verringere die Risiken für die SPD, schrieb Müntefering laut "Focus".
Union verschärft Angriffe gegen Linke und SPD
Einen möglichen Machtverlust in Hessen vor Augen hat die Union ihre Angriffe gegen Linkspartei und SPD verschärft. Der stellvertretende CDU-Vorsitzende Christian Wulff rückte die Linke in der "Bild am Sonntag" in die Nähe des Terrorismus: "Die Linke flirtet weltweit mit Extremisten der PKK, der Eta, der Hamas, der Hisbollah." Er fürchte um Deutschland, weil er wisse, wohin die Reise mit der Linkspartei gehen würde. So habe die Linke während der Fußball-Europameisterschaft zur Zerstörung von Deutschlandfahnen aufgerufen. Schließlich habe sie Gästen einer Großveranstaltung der Bundeswehr vor wenigen Tagen in Hannover abgetrennte Hände und Füße aus Pappe unter dem Motto "Soldaten sind Mörder" ausgehändigt, sagte der niedersächsische Ministerpräsident.
Der saarländische Regierungschef Müller sagte der "Bild am Sonntag", wenn Union und SPD nicht mehr in der Lage seien, Projekte wie die Erbschaftsteuerreform oder die Föderalismusreform II zu schultern, habe das Regierungsbündnis seine Berechtigung verloren: "Und wenn es dann noch zu Rot-Grün-Rot in Hessen kommt, spricht alles dafür, die Große Koalition rasch zu beenden." Dass die SPD nicht davor zurückschrecke, selbst im Westen mit der Linken gemeinsame Sache zu machen, werde Folgen haben, so der CDU-Politiker.
asc/dpa/Reuters/AP/AFP