Karl Nolle, MdL

spiegel-online, 01.09.2008

Hessen-SPD fordert konkrete Zusagen von der Linken

 
Es war die große Angst der hessischen SPD-Chefin Andrea Ypsilanti: Dass die Linke auf dem Parteitag in Lollar den Traum einer rot-grünen Minderheitsregierung torpediert. Doch die Delegierten blieben brav - und das Experiment steht nun vor der nächsten Hürde.

Berlin - In der hessischen SPD macht sich nach dem Landesparteitag der Linken am Wochenende Erleichterung breit. "Die Chancen für einen echten Politikwechsel steigen", erklärte Norbert Schmitt, Generalsekretär der Landespartei und führender Vertreter des linken Ypsilanti-Lagers.

Auch der eher skeptische "Netzwerker"-Flügel in der SPD-Landtagsfraktion atmet auf. "Die erste große Hürde ist genommen", sagt der junge Abgeordnete Christoph Degen. "Die Grundstimmung der Linken scheint konstruktiv zu sein", sagt die Sprecherin der "Netzwerker", die Abgeordnete Carmen Everts.

Die Befürchtungen vor dem Linke-Treffen in Lollar waren groß. In der SPD war die Erinnerung an den chaotischen Landesparteitag vor einem Jahr noch frisch. Damals war der Ex-Kommunist Pit Metz zum Spitzenkandidaten für die Landtagswahl gewählt worden, nachdem er am Rednerpult den Mauer-Schießbefehl des SED-Regimes mit dem Bundeswehreinsatz in Afghanistan verglichen hatte. Nach öffentlicher Empörung trat er zurück.

Der diesjährige Parteitag galt in der SPD daher als Lackmustest für eine rot-grün-rote Zusammenarbeit. Und die Delegierten der Linken haben ihn bestanden: In den Debatten präsentierten sie sich ausgesprochen brav, wählten den Pragmatiker Ulrich Wilken zum Landesvorsitzenden und lehnten alle Anträge ab, die einer Tolerierung einer rot-grünen Minderheitsregierung im Weg gestanden hätten. Mit großer Mehrheit stimmten sie dafür, SPD und Grüne bei einem zweiten Anlauf an die Macht im hessischen Landtag zu unterstützen.

Wahl von Pit Metz "problematisch"

Die Sozialdemokraten zeigen sich am Tag danach positiv überrascht. "Die Ängste, die ich vorher hatte, haben sich als unbegründet erwiesen", sagt Degen. Er habe an dem Parteitag "nichts auszusetzen". Die Linke wisse offensichtlich, dass sie es sich nicht leisten könne, eine linke Regierung zu verhindern. Als falsches Signal wird allein die Rehabilitierung von Pit Metz empfunden, der wieder in den Landesvorstand gewählt wurde. Das sei "problematisch", sagt Everts, weil es zeige, dass die Linke noch keine klare Abgrenzung zum "systemfeindlichen Rand" gefunden habe.

Doch soll das Experiment daran nicht scheitern. Am 9. September will sich SPD-Chefin Ypsilanti zum ersten Mal zu offiziellen Gesprächen mit der Linken treffen. Teilnehmen sollen der geschäftsführende Landesvorstand sowie die sechsköpfige Landtagsfraktion.

Aus SPD-Sicht sind diese Gespräche die entscheidende Hürde für das Modell Rot-Grün-Rot. Denn auch nach dem Parteitag sind "noch einige Fragen offen", wie die Netzwerkerin Everts sagt. Zwar habe die Linke sich grundsätzlich bereit gezeigt, eine rot-grüne Regierung zu stützen. "Aber der wirkliche Test wird sein, ob die Linke sich auf konkrete und verlässliche Zusagen einlässt."

Am Mittwoch wird der SPD-Landesparteirat einen Kriterienkatalog beschließen, dem die Linke zustimmen muss, bevor Ypsilanti sich zur Ministerpräsidenten-Wahl stellt. "Wir wollen klare Aussagen zum Verfassungsschutz und ein eindeutiges Bekenntnis zum demokratischen System", sagt Everts. "Ob und wie die Linke dies zufriedenstellend macht, wird sich zeigen müssen." Auch um eine Vorabzusage der Linken zum Landeshaushalt wird hart gerungen werden.

Konflikte um Flughäfen und Haushalt

Die Sollbruchstellen von Rot-Grün-Rot liegen bereits offen zutage - allen voran der Ausbau der Flughäfen in Frankfurt und Kassel. "Wir werden weiter gegen den Ausbau des Frankfurter Flughafens kämpfen", bekräftigte der frisch gekürte Landesparteichef Ulrich Wilken im Interview mit SPIEGEL ONLINE. "Und Kassel darf nicht gebaut werden."

Für die SPD hingegen steht der Ausbau des Frankfurter Flughafens nicht zur Disposition. Die Forderung der Linken sei unmöglich zu erfüllen, und "die SPD wird dafür auch niemals ihre Hand heben", sagte SPD-Generalsekretär Schmitt im Hessischen Rundfunk.

Ähnlich sperrig könnte sich die Linke beim Haushalt erweisen. Die Partei will alle Ein-Euro-Jobs in Hessen abschaffen - egal, was es kostet. "Armutsbekämpfung hat für uns eindeutig Priorität vor einem schuldenfreien Haushalt", sagt Wilken.

Wegen dieser absehbaren Konflikte warnen Kritiker des Ypsilanti-Plans vor einer frei schwebenden Linken im Landtag: Das Erpressungspotential der Mini-Fraktion wäre zu groß, wenn sie bei jedem tagespolitischen Streit einfach die Regierung blockieren könnte.

In der Bundes-SPD gibt es daher auch Stimmen, die Ypsilanti raten, die Linke nicht in der komfortablen Position außerhalb der Regierung zu lassen, sondern sie gleich in eine Koalition zu zwingen. "Wenn man sie einbinden will, muss man es richtig tun", sagte Sachsen-Anhalts Finanzminister Jens Bullerjahn im Deutschlandradio Kultur. Sonst schwenke die Linke immer zwischen Opposition und Regierungsbeteiligung hin und her. "Das kann die Linke sehr gut", mahnte der ostdeutsche Sozialdemokrat unter Verweis auf seine eigenen Erfahrungen. In den neunziger Jahren war Bullerjahn Parlamentarischer Geschäftsführer der SPD-Minderheitsregierung in Sachsen-Anhalt, die von der PDS toleriert wurde.
Von Carsten Volkery