Karl Nolle, MdL

spiegel-online, 08.09.2008

Alles auf Anfang?

Kommentar von Claus Christian Malzahn zu Münteferings Comeback
 
Franz Müntefering soll wieder den sozialdemokratischen Parteivorsitz übernehmen. Doch die Partei von heute ist nicht mehr diejenige, die er bis 2005 geführt hat. Wollen Steinmeier und Müntefering Erfolg haben, müssen sie auf Willy Brandt setzen – und in der SPD mehr Demokratie wagen.

Vor knapp drei Jahren warf ein von Andrea Nahles genervter Franz Müntefering den SPD-Vorsitz hin – das höchste Parteiamt hatte er zuvor stets augenzwinkernd als das schönste "neben dem Papst" gelobt. In Wahrheit ist der Parteivorsitz der SPD eine höllische Berufung. Nach Willy Brandt, der im März 1987 nach 23 Jahren die Faxen dick hatte, trat eigentlich nur noch sein direkter Nachfolger Hans-Jochen Vogel (SPD-Vorsitz: 1987- 1991) lediglich aus Altersgründen zurück.

Danach stolperten erst Björn Engholm (1991- 1993, Abtritt wg. Flunkern) und Rudolf Scharping (1993- 1995, Abtritt wg. fader Führung), schließlich Oskar Lafontaine (1995-1999, Abtritt wg. Frust), dann Gerhard Schröder (1999-2004, Abtritt wg. Ferne zur Partei), alsbald Franz Müntefering (2004-2005, Abtritt wg. s.o.), dann Matthias Platzeck (2005-2006, Abtritt w. fataler Überschätzung) und schließlich Kurt Beck (2006-2009, Abtritt wg. Fehlbesetzung).

Jeder der genannten Vorsitzenden ist auf seinem Wahlparteitag gefeiert worden, als sei er die Inkarnation von Ferdinand Lassalle. "Jetzt geehts lohos!" skandierten die Genossen immer wieder – und dann – wieder nix, alles auf Anfang. Vielleicht ist der SPD-Vorsitz nicht der Heilige Stuhl, sondern vielmehr der Sisyphos-Posten unserer Zeit – aber Sisyphos sollen wir uns ja nach Albert Camus als glücklichen Menschen vorstellen.

Das fällt vor allem bei Franz Müntefering schwer, der die Vizekanzlerschaft und sein Ministeramt im Herbst vergangenen Jahres abgab, um seine todkranke Frau zu pflegen. Sie starb im Juli an Krebs. Nur wenige Wochen später kehrt Franz Müntefering auf die Kommandobrücke der SPD zurück. Ist das zu früh? Die Sozialdemokratische Partei Deutschlands von heute ist nicht mehr diejenige, die er vor drei Jahren verlassen hat. Manche fürchten schon die Rückkehr des Basta-Regimes vergangener Zeiten. Doch auch Franz Müntefering ist nach dem Tod seiner Frau nicht mehr derselbe – wer ihn vor kurzem im bayrischen Wahlkampf in München beobachtete, hat einen Mann gesehen, der an Grenzen gestoßen ist.

Müntefering und Steinmeiers Eroberung der Macht trägt angesichts des galoppierenden Glaubwürdigkeitsverlusts von Beck und der historisch auf Tiefstand verweilenden Umfragezahlen für die SPD Züge einer Notbremsung. Kurt Beck spricht nun verletzt von einer Intrige – das wird wohl auch künftig die Lesart der Parteilinken sein, die sich fürs erste zwar "unterhaken" will, die Demütigung des schwarzen Septembersonntags von Werder aber vermutlich nie vergessen – und auf Rache sinnen wird. Wenn Müntefering Vorsitzender der SPD werden will - und nicht nur einer rechtssozialdemokratischen Formation, die mit den Sozialdemokraten der Linken konkurriert – muss man den Marxianern in der SPD schnell ein Angebot machen, das sie nicht ablehnen können.

Eine Rückkehr zum alten, autoritären Politik-Stil, in der inhaltliche Entscheidungen von der Partei nur nachgebetet werden sollen, auch wenn die Basis gar nicht daran glaubt, kann nicht mehr funktionieren. Leider atmet der Machtwechsel, der wie eine geheime Kommandosache geplant und vollzogen wurde, eben diesen, hässlichen alten Geist. Wenn Müntefering der SPD neues Selbstbewusstsein und Mut einimpfen will, wird er auch sich selbst ein bisschen neu erfinden und die Befindlichkeiten der Genossen ernst nehmen müssen – auch wenn sie seinem Naturell so gar nicht entsprechen.

Alptraum Agenda 2010

Denn das Gefühl, mit der Agenda 2010 einen furchtbaren Verrat an der Klientel und sich selbst begangen zu haben, fesselt die SPD noch immer wie ein Alptraum. Noch immer steht ein Parteiausschlussverfahren gegen den Hartz-IV-Apologeten Wolfgang Clement im Raum, während die hessische SPD von einer Linksfront gegen Roland Koch träumt, in der sich die politischen Widersprüche, die das Regieren im Allgemeinen und in der rot-grünen Koalition unter Schröder im Besonderen so mit sich brachte, faktisch von selbst auflösen. Es ist der Glaube an moderne Märchen, der die Genossen dort treibt, ein politischer Kinderglaube an die gute Fee (Ypsilanti) und den bösen Zauberer (Roland Koch), bei dem der Linken allenfalls die harmlose Rolle der sieben Zwerge zugeteilt wird.

Als Müntefering den Parteivorsitz abgab, war die PDS noch die Gysi-Partei. Das war einmal. Lafontaine hat die Linke inzwischen komplett übernommen. Die Sozialdemokraten von heute leiden unter dem Saarländer, der in diesem Spiel dann wohl den Part des verlorenen Sohnes einnimmt und der, gleich Joseph bei seinen Brüdern, irgendwie immer mehr weiß als man selbst. Schlagfertiger ist er auf jeden Fall. Während Oskar L. in fünf Sekunden buchstabieren kann, wofür die Linke steht (Rente rauf, Afghanistan raus, Agenda weg), schnappen Sozialdemokraten bei der Identitätsbeschreibung ihrer Partei erst mal nach Luft. Gerade hier ist Münteferings Hilfe dringend nötig, weil er es versteht, die Ideen der modernen SPD knapp und treffend zu buchstabieren.

Aufwind in Bayern?

Die Angriffe der Konservativen auf die SPD werden in den kommenden Monaten nicht anders ausfallen, als sie mit einem SPD-Chef Beck geplant wurden. Die Schwachstellen der SPD sind Andrea Ypsilantis unbedingter Wille zur Macht – und im kommenden Jahr kurz vor den Bundestagswahlen die Gefahr eines Durchmarsches der Linken bei der Wahl im Saarland, wo die SPD nur als Juniorpartner reüssierte. Allerdings sind ab diesem Sonntag auch ein paar andere Planspiele möglich, in denen die Union alt aussieht.

Sollte die SPD den Machtwechsel in Aufwind im Bayern-Wahlkampf verwandeln und die CSU unter 50 Prozent drücken, läge der schwarze Peter plötzlich bei der politischen Konkurrenz. Die aufgeregten bayrischen Reaktionen auf die Personalien in der SPD zeigen, dass man das in der Münchner Staatskanzlei nicht für ausgeschlossen hält. Eine CSU unter 50 Prozent mögen viele politische Beobachter für völlig ausgeschlossen halten. Aber wer hätte Anfang des Jahres noch an ein Comeback von Franz Müntefering geglaubt?

Der Machtwechsel an der Spitze der SPD ist nicht ohne Risiken, denn die Hoffnung der Partei ruht im Moment auf der Vergangenheit. Die Übernahme in Werder ist kein Neuanfang; sie ist geradezu das Gegenteil von dem, was sich an politischer Willensbildung und Auseinandersetzung gerade in der Demokratischen Partei mit Obama und Clinton in den USA abgespielt hat. Wenn Müntefering und Steinmeier den unrühmlichen Kapiteln der letzten Zeit nicht eine weitere peinliche Episode hinzufügen wollen, dann müssen sie sich das bewusst machen – und innerparteilich ein Motto anwenden, dass Willy Brandt geprägt hat: Mehr Demokratie wagen. Gerhard Schröder hat die offene Diskussion in der Partei eher vermieden - und ist letztlich daran gescheitert.