Karl Nolle, MdL

Sächsische Zeitung, 16.09.2008

Ein Alkoholtest und ein Anruf von oben

Rüdiger Söhnen: "Egal, ob der Vorgang auf der Polizeiwache strafrechtlich relevant ist oder nicht, verwundert es, dass sich die Staatssekretärin zwei Mal einschaltet."
 
Die Geschichte beginnt in Radeberg. Polizisten haben in der Nacht zum 9. November 2004 einen Autofahrer mit auf das Revier genommen. Er hat laut Atemtest 1,12 Promille intus. Normalerweise ist eine Blutprobe eine Routineangelegenheit. Dieses Mal ist das anders: Der Autofahrer verweigert den ärztlichen Eingriff. Er verlangt nach seinem Rechtsanwalt. Nun erscheint ein Mann auf der Wache und erklärt den Beamten, eine Blutprobe sei unzulässig, der Fahrer leide an Spritzenphobie.

Wie sich später herausstellt, ist dieser Mann entgegen der Vermutung der Polizisten kein Anwalt, sondern Referatsleiter im Innenministerium und offenbar ein begabter Schauspieler. Er habe gezetert, geschimpft und gedroht, heißt es. Nach langem Hin und Her kann der Arzt doch noch seinen Job erledigen. Allerdings ist inzwischen so viel Zeit vergangen, dass der Promillewert nicht mehr korrekt berechnet werden kann. Die absolute Fahruntüchtigkeit lässt sich daher nicht beweisen. Der Fahrer kommt ohne Strafverfahren davon.

Die Polizisten, einigermaßen empört über den theatralischen Auftritt des vermeintlichen Anwalts, melden den Vorfall bei der Staatsanwaltschaft Bautzen. Zuständiger Staatsanwalt ist Ludger Altenkamp. Wie sich aus den Akten ergibt, leitet Altenkamp nach Rücksprache mit seinem Vorgesetzten ein Ermittlungsverfahren gegen den Referatsleiter wegen versuchter Strafvereitelung ein. Bei einer Anhörung, zu der der Beschuldigte mit Anwalt erscheint, muss es recht laut zugegangen sein. Altenkamp schlägt vor, das Verfahren gegen Zahlung einer Geldauflage von 3000 Euro einzustellen.

Beschwerde an höherer Stelle

Statt auf das Angebot zu reagieren, beschwert sich der Referatsleiter an höherer Stelle. Von dort erreicht die Beschwerde die Staatssekretärin im Justizministerium, Gabriele Hauser. Staatsanwalt Altenkamp erhält kurze Zeit darauf von seinem direkten Vorgesetzten, dem ehemaligen Leiter der Staatsanwaltschaft Bautzen, die Weisung, das Verfahren wegen geringer Schuld einzustellen – ohne Geldauflage. Außerdem müsse er mit einer Dienstaufsichtsbeschwerde des beschuldigten Referatsleiters rechnen, heißt es. Der Staatsanwalt kommt der Weisung von oben nach, ohne den leisesten Hauch von Widerstand an den Tag zu legen. Auch der Amtsrichter stimmt der Einstellung zu, wenn auch „angesichts der Sachlage nur mit äußersten Bedenken“.

„Er schrie mich an...“

Der Staatsanwalt schreibt vorher noch einen Brief, in dem er den Beschuldigten um eine abschließende Stellungnahme zu den Vorwürfen bittet. Tage später meldet sich sein Chef am Telefon. „Er schrie mich an, die Staatssekretärin habe sich schon wieder über mich beschwert, wie ich es wagen könne, den Beschuldigten direkt anzuschreiben. Ich schrie zurück (...), in was für einer Bananenrepublik wir eigentlich lebten, dass dies schon wieder eine Beschwerde von ganz oben wert wäre“, schildert Altenkamp das Gespräch laut den Akten.

Staatssekretärin Hauser räumt auf SZ-Anfrage ein, dass sie mit dem damaligen Leiter der Staatsanwaltschaft Bautzen in dieser Angelegenheit gesprochen habe. Als Motiv gibt sie an, ihr sei zugetragen worden, dass der Staatsanwalt die Ermittlungen nicht unvoreingenommen führe. Wer sie informiert hat, sagt sie nicht. Sie habe den Behördenleiter deshalb gebeten, „für ein ordnungsgemäßes Verfahren ohne Ansehen der Person Sorge zu tragen und zur Deeskalation beizutragen“. Sie habe ein zweites Mal angerufen, um sich zu vergewissern, dass der Behördenleiter sich der Sache angenommen habe. Den Fall und den Beschuldigten kenne sie nicht, sagt Hauser.

Kein Anfangsverdacht

Der Sprecher der Neuen Richtervereinigung, Rüdiger Söhnen, kritisiert das Vorgehen. „Egal, ob der Vorgang auf der Polizeiwache strafrechtlich relevant ist oder nicht, verwundert es, dass sich die Staatssekretärin zwei Mal einschaltet.“ Viele Bedienstete in der Justiz finden die Geschichte ebenso ungeheuerlich, sie macht deshalb schnell die Runde. Der damalige Ministerpräsident Georg Milbradt erfährt davon, ebenso der Buchautor Jürgen Roth („Der Deutschland-Clan“). Roth veröffentlicht am 5. Juni 2007 vage Andeutungen auf seiner Homepage. Ein Dresdner Staatsanwalt liest den Hinweis und prüft die Sache. Denn wenn die Justiz willkürlich Ermittlungen einstellt, machen sich die Beteiligten – sowohl der Ermittler als auch seine Vorgesetzten – unter Umständen strafbar. Die Staatsanwaltschaft kommt jedoch im November 2007 zu dem Schluss, dass „kein Anfangsverdacht einer Straftat festgestellt werden konnte“.

Für Staatsanwalt Altenkamp ist die Geschichte damit noch nicht zu Ende. Nach Angaben aus Justizkreisen wird kurz darauf bei ihm eine Innenrevision angeordnet. Die Prüfer meinen, Altenkamp stelle zu viele Verfahren ein, er greife nicht hart genug durch. Die Vorgesetzten könnten ihn von jetzt an intensiv kontrollieren. Stattdessen greifen sie zur Brechstange: Offizielle Ermittlungen sollen belegen, dass er Rechtsbeugung begangen hat. Das Verfahren läuft viele Monate und wird ergebnislos eingestellt.
Von Karin Schlottmann