Karl Nolle, MdL

DNN Dresdner Neuste Nachrichten, 16.09.2008

Sondersitzung der Linksfraktion.PDS zur Zukunft der „Woba-Koalitionäre“

Wie ein Antrag von Stadtrat Wolfgang Schwarz (Nationales Bündnis) im Stadtrat die Linke in Aufruhr versetzt / Ingrid Mattern tritt aus Fraktion aus
 
Zwei Bürgermeister (Ralf Lunau, parteilos, Kultur, Martin Seidel, Die Linke, Soziales) habe seine Fraktion installieren können, den Dresdner Doppelhaushalt 2009/2010 mit verabschiedet. Danach wollte man sich in Ruhe über die Zu-kunft der zehn Mitglieder der Linksfraktion.PDS unterhalten, sagte gestern Stadtrat Ronald Weckesser. Plötzlich ist es vorbei mit der Ruhe. Heute trifft sich die Fraktion zu einer Sondersitzung – wohl ohne die Noch-Fraktionssprecherin und langjährige Parteichefin Ingrid Mattern, die heute bei OB Helma Orosz (CDU) ihren Antrag auf Austritt aus der Fraktion einreichen wird. Schuld ist ein Antrag von Wolfgang Schwarz, Mitglied des Nationalen Bündnisses im Stadtrat.

Der fraktionslose Stadtrat Schwarz meldete sich vor Beginn der Debatte über den Doppelhaushalt und „beantragte eine Gedenkminute für die Opfer des 11. September 2001“, wie SPD-Chef Peter Lames betont. Lames zwang den Stadtrat, über den Antrag abzustimmen, hielt die Gegenrede zum Antrag, ein perfider Antrag, wie manche Stadträte meinten. Die Geschichte der Menschheit sei voll von Katastrophen, denen der Stadtrat nicht immer gedenke, darunter vielen, die von den geistigen Verbündeten der vier Herrschaften da hinten (Anm.d.Red.: Damit meinte Lames die Vertreter des Nationalen Bündnisses) verursacht worden seien, so Lames. Der Schwarz-Antrag erhielt bei 16 Enthaltungen eine Mehrheit (24 Ja, 18 Nein). Die Gedenkminute fand statt – doch ohne die Fraktionen Die Linke und Grüne. Die hatten den Saal verlassen. Der Linke-Fraktionschef Schollbach brachte in einer persönlichen Erklärung seine Empörung zum Ausdruck, dass zum ersten Mal die feste Regel gebrochen worden sei, dass „Nazi-Anträge“ abgelehnt würden. Lames erklärte dann, seine Fraktion habe gegen die Gedenkminute gestimmt, sei aber im Saal geblieben, weil die Mehrheitsentscheidung des Rates den Vorrang habe vor der Frage, wer den Antrag gestellt habe.

Mehr Brisanz als dem Antrag von Schwarz möglicherweise zusteht und in der Öffentlichkeit zuteil gekommen wäre, entwickelt der Vorgang jetzt im Nachhinein – in der Linken und durch die Linken. So soll Ronald Weckesser wegen Zustimmung zu dem Antrag von Schwarz im Dresdner Stadtrat die Partei und die Landtagsfraktion verlassen. Das erklärte die Linke-Landesvorsitzende Cornelia Ernst – ebenfalls Mitglied im Stadtrat – gestern. Neben Weckesser hatten noch vier andere Linke der Linksfraktion.PDS dem Schwarz-Antrag zugestimmt. Die Landtagsfraktion will wohl am Donnerstag in einer Sondersitzung über Weckessers Zukunft im Parlament entscheiden.

Weckesser räumte bereits in einer Erklärung am Wochenende ein, dass „die mehrheitliche Zustimmung des Stadtrates zum Antrag von Schwarz „politisch eindeutig ein Fehler“ gewesen sei. Auch der OB Helma Orosz (CDU) sei die Brisanz dieses Datums nicht aufgefallen. Der Konflikt, entweder einem Antrag eines NPD-Mitgliedes zuzustimmen oder die Ehrung der Opfer zu verweigern, „war auch durch Stimmenthaltung nicht aufzulösen, sie hätte die Annahme allein mit den Stimmen des NB ermöglicht“, so Weckesser. (Auf die Idee, einen Änderungsantrag zu stellen – z.B. Kerzen für alle Terroropfer vor der Trümmerfrau anzünden –, kam kein Stadtrat; Anm.d.Red.) In dieser Situation habe er sich für das Gedenken an die über 3000 Opfer des Anschlages auf das World-Trade-Center in New York entschieden, so Weckesser. „Mich dem Dilemma zu entziehen, indem ich mich gegen die Opfer stelle, war für mich unvorstellbar.“ Zugleich liegt hier laut Weckesser der Kern des Versagens: „Gemeinsam mit Nazis kann es auch kein Gedenken geben.“

Ingrid Mattern, jahrelang Parteichefin und derzeit Sprecherin der Linksfraktion.PDS, zieht heute ihre persönliche Konsequenz aus der „menschlichen Enttäuschung“ darüber, dass einige Stadträte in ihrer Fraktion dem Schwarz-Antrag zugestimmt haben und ihr – zuletzt zunehmend – die Loyalität aufgekündigt haben. Gleichwohl werde diese Geschichte keinen Keil zwischen sie und ihre Freunde Ronald Weckesser und Christine Ostrowski treiben, wie sich wohl manche Neu-Linken wünschen, die jetzt die Chance wittern, den Schwarz-Antrag für ihre Zwecke zu instrumentalisieren. Noch stärker unter Druck geraten auch die „Woba-Verkaufskoalitionäre“ Angelika Zerbst, Monika Aigner, Rainer Kempe und Peter Herpichböhm. Denn sie sind Parteimitglieder – noch. Wie‘s weitergeht? „Darüber wollen wir heute beraten – früher als uns lieb ist“, so Weckesser.
Ralf Redemund