Karl Nolle, MdL

Süddeutsche Zeitung online, 18:13 Uhr, 04.10.2008

Hessen-SPD für Rot-Grün-Rot

98 Prozent hinter Ypsilanti
 
Auf einem Sonderparteitag nahm Hessens SPD-Chefin Andrea Ypsilanti eine weitere Hürde auf dem Weg zur rot-grünen Minderheitsregierung: 325 der 335 Delegierten stimmten ihren Plänen zu.

Hessens SPD-Chefin Andrea Ypsilanti hat von ihrem Landesverband breite Unterstützung für die geplante Regierungsübernahme mit Hilfe der Linkspartei bekommen. Ein Sonderparteitag beschloss am Samstag in Rotenburg an der Fulda die Aufnahme von Koalitionsverhandlungen mit den Grünen. Bei 335 Delegierten gab es nur sieben Gegenstimmen und drei Enthaltungen. Unter den Befürwortern waren auch die Bundesministerinnen Heidi Wieczorek-Zeul (Entwicklung) und Brigitte Zypries (Justiz).

Zuvor hatte die SPD-Landesvorsitzende Andrea Ypsilanti vehement für ein von der Linken toleriertes rot-grünes Minderheitskabinett geworben. Vor der Landtagswahl im Januar hatte sie eine solche Konstellation ausgeschlossen.

Ziel sei es, die Linke für eine verlässliche Unterstützung dieser Regierung bis zum Ende der Legislaturperiode zu gewinnen. "Eine rot-grüne Minderheitsregierung betritt politisches Neuland", heißt es in dem Beschluss des SPD-Parteitags: "Wir wissen um die Widerstände." Die Skepsis gegenüber einem Linksbündnis auf Landesebene könne nur durch eine Politik überwunden werden, die soziale Gerechtigkeit mit wirtschaftlicher Stärke und ökologischer Erneuerung verbinde.

Die Koalitionsverhandlungen sollen im November zur Bildung einer rot-grünen Minderheitsregierung führen, die auf die Duldung durch die Linkspartei angewiesen ist. Mit den Linken soll die SPD-Spitze Gespräche über eine Tolerierung führen. Die amtierende Landesregierung unter CDU-Ministerpräsident Roland Koch hatte bei der Wahl im Januar ihre absolute Mehrheit verloren. Sie ist seither nur noch geschäftsführend im Amt.

Ypsilanti: Rot-Rot-Grün in Hessen nutzt SPD auf Bundesebene

Ypsilanti hatte eindringlich um Zustimmung geworben und bekam langen Beifall für ihre kämpferische Rede. Eine von der Linken tolerierte rot-grüne Minderheitsregierung in Hessen kann nach Auffassung der SPD-Landesvorsitzenden auch der Bundespartei Auftrieb geben. Voraussetzung sei ihr Erfolg, sagte Ypsilanti in Rotenburg.

Sie sicherte dem designierten neuen Parteivorsitzenden Franz Müntefering und Kanzlerkandidat Frank-Walter Steinmeier den vollen Einsatz der Hessen-SPD im Bundestagswahlkampf 2009 zu. Ihr in Hessen erfolgreiches sozial-ökologisches Wahlprogramm empfehle sich für die Bundespartei.

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» Ich bin sicher, dass die Bevölkerung mittlerweile weniger Angst hat vor der Linkspartei als vor den Lehman Brothers und unfähigen Bankern. «
Andrea Ypsilanti
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Der von der SPD versprochene Politikwechsel in Hessen sei ohne Regierungswechsel unerreichbar, sagte Ypsilanti. "Wir wollen das sozialdemokratische Stammland Hessen zurückerobern." Eine große Koalition mit der CDU sei für die hessische SPD aus inhaltlichen Gründen unmöglich, so Ypsilanti. Die FDP dagegen habe sich gegenüber den Sozialdemokraten "als zynischer Totalverweigerer geriert".

In dieser Situation gebe es für die SPD nur noch den Weg einer rot-grünen Minderheitsregierung. Es gebe eine "gesellschaftliche Mehrheit diesseits von CDU und FDP". Die linke Mehrheit im Landtag sei in der Lage, eine andere Bildungs-, Energie- und Sozialpolitik zu gestalten, sagte die Vorsitzende. Eine rot-grüne Regierung werde im Bundesrat für den gesetzlichen Mindestlohn kämpfen und könne sich für eine wirksame Kontrolle der Finanzmärkte einsetzen: "Ich bin sicher, dass die Bevölkerung mittlerweile weniger Angst hat vor der Linkspartei als vor den Lehman Brothers und unfähigen Bankern." Gelinge das Experiment, werde dies auch der Bundespartei Auftrieb geben.

Wechsel ja, aber nicht um jeden Preis

Trotz großer programmatischer Nähe zwischen Rot-Grün gebe es auch Differenzen. Zudem hinterlasse die Koch-Regierung "geplünderte Kassen", und die Bankenkrise werde die Steuereinnahmen schmälern. "Das wird ganz eng, da dürfen wir uns nichts vormachen." Gleichwohl sehe sie sehr gute Chancen für einen Erfolg.

Die SPD werde aber nicht um jeden Preis in eine Regierung gehen. Grundlage der Verhandlungen sei ihr Wahlprogramm: "Wir können den Regierungswechsel nur machen, wenn der Politikwechsel danach sichtbar ist." Zu den Bedingungen der SPD zählte Ypsilanti den von Linken und Grünen abgelehnten Ausbau des Frankfurter Flughafens. Als weiteren Kernpunkt nannte sie eine Energiewende; deshalb müsse ihr Energie-Fachmann Hermann Scheer einen Posten im künftigen Kabinett erhalten.

Dies kollidiert mit Ansprüchen der Grünen. Sie werde auch "mit ganz harten Bandagen" für die nordhessischen Infrastrukturprojekte - den Ausbau des Kasseler Flughafens sowie die Autobahnen A 44 und 49 - kämpfen, versprach Ypsilanti.

Über das Ergebnis der Beratungen soll ein weiterer Parteitag am 1. November befinden. Erst dort falle die Entscheidung über eine Regierungsübernahme, sagte Ypsilanti.

Die Entscheidung für eine rot-grüne Minderheitsregierung unter Duldung der Linkspartei erfordere großen politischen Mut. "Aber jetzt heißt es abwägen und handeln", rief Ypsilanti.

In der anschließenden Aussprache meldeten sich vor allem Unterstützer zu Wort. Einzelne Kritiker warnten vor dem Verlust der Glaubwürdigkeit und vor der Zusammenarbeit mit einer Partei, der es einzig darauf ankomme, der SPD zu schaden.

Einen ersten Anlauf zu einer von der Linken tolerierten rot-grünen Machtübernahme hatte Ypsilanti im März abgebrochen, weil die SPD- Landtagsabgeordnete Dagmar Metzger ihr die Gefolgschaft verweigert hatte. Die Parteichefin räumte ein, damals die Basis zu wenig beteiligt zu haben: "Das war ein Fehler, und daraus haben wir gelernt." Auch ohne Metzger haben SPD, Grüne und Linke die zur Abwahl Kochs erforderlichen 56 Mandate.

Die hessische CDU warnte davor, der Linkspartei politischen Einfluss auf ein wirtschaftsstarkes Land zu geben. "Wenn jetzt ein Linksbündnis die Regierung übernehmen sollte, dann nur um den Preis eines glatten Wortbruchs, und im Bund kann sich die SPD dann alle Versprechen schenken", sagte Koch dem Tagesspiegel am Sonntag. Auch FDP-Chef Jörg-Uwe Hahn sprach von "organisiertem Wortbruch".

Die Regierungsübernahme mit Hilfe der Linken wäre die erste Kooperation der SPD mit der Linkspartei in einem westlichen Bundesland. Der Kurs ist besonders umstritten, weil Ypsilanti vor der Wahl im Januar jede Zusammenarbeit ausgeschlossen hatte.

In Teilen der Bundes-SPD wird zudem befürchtet, die Glaubwürdigkeit der Absage an jede Zusammenarbeit mit der Linken nach der Bundestagswahl 2009 könnte Schaden nehmen.
(dpa/AP/Reuters/buma/gal)