Karl Nolle, MdL

LVZ/DNN, 30.04.2001

Der Hof des Patriarchen brennt

Kurt Biedenkopf wird Diskussionen um seine Nachfolge und sein Tafelsilber nicht mehr los
 
DRESDEN. Wenn Kurt Biedenkopf in diesen Tagen von seinem Urlaubsquartier in Übersee auf sein Sachsen schaut, sieht er vor allem eins: Flammen. Es lodert an allen Ecken des Hofes. Partei, Fraktion und Kabinett driften im Streit um die ungelöste Nachfolgefrage immer weiter auseinander; Opposition und Medien jagen das Ehepaar Biedenkopf wegen ihrer Mietkonditionen, Dienstwagen und Hubschrauberflüge, der Ärger ums Bürgerbüro Ingrid Biedenkopf reißt nicht ab und nebenher bohrt nach wie vor ein Untersuchungsausschuss in der Paunsdorf-Affäre rum.

Es scheint, als gingen die großen Zeiten, in denen König Kurt hoch zu Ross durch den Freistaat ritt, gehuldigt selbst von Genossen der Opposition, ein für allemal zu Ende. Der Hof des Patriarchen brennt und Einsätze Freiwilliger Feuerwehren blieben bislang erfolglos: Sei es, dass sechs Minister in vorgeblich trauter Eintracht mit einer Solidaritätsadresse im Kommunalwahlkampf auftreten; sei es, dass eine Riege von CDU-Kreisverbänden ihre unverbrüchliche Verbundenheit mit dem Regierungschef dokumentiert. Bisher, so scheint es, legen solche Hilfsaktionen die Brennpunkte eher noch weiter offen. Den Anlass für die gewaltige Unruhe in der politischen Landesspitze lieferte Biedenkopf allerdings selbst: Zum einen mit seinem Rauswurf von Finanzminister Georg Milbradt im Januar und zum anderen mit seinen widersprüchlichen Aussagen über den Abgangstermin: Vor der Fraktion nannte er das Jahr 2003, in einem Zeitungsinterview wenig später dann 2004. Wahrheit und Klarheit lauten Biedenkopfs höchste Prinzipien und beides fordern - laut trampelnd - auch Basis und Öffentlichkeit.

In dieser aufgeheizten Atmosphäre sind führende sächsische Christdemokraten ziemlich ratlos zu erleben. Offen wird da in Dresden spekuliert, wie lange sich das Paar Biedenkopf noch die Quengeleien um ihre höfischen Attitüden antun will und ob der 71-jährige Regent nur noch auf die Chance zum richtigen Abgang wartet. Alles wird derzeit für möglich gehalten: auch, dass der Ministerpräsident noch in diesem Spätsommer dem Land den Rücken zukehrt und in Manier des letzten Sachsen-Königs Friedrich August III. ruft: Macht doch euren Dreck alleene. Doch die Sachsen-Union wäre darauf zurzeit nicht vorbereitet, auch wenn bereits Sondierungsgespräche laufen. Am Freitag berichtete die FAZ, CDU-Kreise wollten Biedenkopf einen Handel vorschlagen: Der Regent tritt baldmöglichst ab, Milbradt wird dafür als Nachfolger verhindert und in den Bundestag abgeschoben.

Nur so viel scheint gewiss: Das goldene Jahrzehnt, das die "Landeseltern" in Sachsen erlebten, läuft gegenwärtig ab. Der Druck von außen dürfte jedenfalls so schnell nicht enden: Am Mittwoch will zunächst die Arbeitsgruppe der Staatskanzlei jede einzelne Wurstscheibe vorrechnen, die seit 1990 im Gästehaus des Freistaates verzehrt wurde. Die Biedenkopfs wohnen dort von Beginn an und zahlen seit 1997 für 155 Quadratmeter eine Miete von 1857 Mark, Dienstleistungen eines fünfköpfigen Personals inbegriffen. Es sei vor allem Ingrid Biedenkopf gewesen, die bei den Verhandlungen heftig interveniert habe, berichtet heute der Spiegel. Ob in der Schevenstraße alles rechtens zuging, prüft zugleich der Rechnungshof, der ebenfalls Anfang Mai seine Ergebnisse vorlegen will. Und der SPD-Abgeordnete Karl Nolle kündigt - munitioniert durch CDU-Mitglieder - immer neue Fragen an.

Mitte Juni wird dann der CDU-Landesvorstand den Parteimitgliedern seine Vorstellungen über eine Nachfolgeregelung darlegen. Schließlich, Mitte September, folgen die Vorstandswahlen auf einem Parteitag bei dem sowohl der Amtsinhaber, Fraktionschef Fritz Hähle, als auch der geschasste Milbradt antreten könnten. Ein völlig offenes Duell, zumal Hähle als oberster Brandmeister in diesen wirren Tagen keine Führungsstärke zeigt.

Zwar ist bis zum Abschluss des zweiten Durchganges der Kommunalwahlen am 24. Juni in der Partei Stillhalten vereinbart. Aber die ungeklärten Fragen - so lauten Prognosen von Beteiligten - liegen offen und dürften die Landespolitik solange überschatten, bis sie geklärt sind. Erst dann kehre wieder Ruhe ein, heißt es. Die Kür Milbradts zum Landeschef gilt keineswegs als gemacht. Hinter den Kulissen läuft die Suche nach einem dritten Weg: einem Mann, der die Gräben zuschaufeln und eine Landtagswahl gewinnen kann. Und es muss eine Brücke für Kurt Biedenkopf gebaut werden. Der Professor hat das alles schon einmal erlebt, 1983, in Nordrhein-Westfalen, als Helmut Kohl und seine CDU ihn aller Funktionen beraubte. Biedenkopf erinnert sich bis heute schmerzhaft an jene Zeit: "Sie haben mich wie einen reudigen Hund vertrieben." Einen solchen Abschied von der sächsischen Krone wird sich Biedenkopf zum Ende seiner Politikerlaufbahn nicht antun wollen.
(von Sven Heitkamp)