Karl Nolle, MdL

DNN/LVZ, 09.10.2008

„In Krise sahnen rechter und linker Rand ab"

Wissenschaftler warnt vor Radikalisierung 2009
 
Dresden. Die globale Bankenkrise hat die Landespolitik erreicht. Finanzwissenschaftler befürchten eine Radikalisierung im Wahljahr 2009, die Parteien sortieren sich neu. Während die NPD schon mal vorsorglich die Systemfrage stellt, könnten Linke und Grüne mögliche Nutznießer sein.

Die Nachricht vom Dienstag klang beruhigend: Bei mageren 2,8 Prozent sehen Meinungsforscher die Rechtsextremisten in einer regierungsamtlichen Umfrage der Staatskanzlei, und die Botschaft unter der Hand lautet: Nach 9,8 Prozent bei der Landtagswahl 2004 habe sich die NPD entzaubert, die Neonazis kommen beim sächsischen Wahlvolk nicht mehr allzu gut an – latente Entwarnung also.

Nach der aktuellen Lage besteht dafür wenig Grund. Vor allem die Finanzkrise bewegt die Gemüter, und nahezu alle Parteien stehen vor der Frage nach den Folgen für die Landtagswahl 2009. Hier hat der Finanzwissenschaftler Helmut Seitz eine glasklare Meinung. „Ich befürchte eine Extremisierung“, meint der Dresdner Professor, „denn in Krisen sahnen rechter und linker Rand ab“. Dabei habe die Bankenkrise – Stichwort BMW oder Opel – die reale Wirtschaft erreicht. „Die Folgen werden wir erst 2009 spüren“, pünktlich zum Urnengang.

Zu politischer Weitsicht mahnt auch CDU-Fraktionschef Steffen Flath. „Das Ausmaß der Krise ist immer noch nicht absehbar“, lautet sein Tenor. „Von den Lehren, die daraus gezogen werden, hängt ab, ob wieder Vertrauen entsteht. Andernfalls dürften Extreme profitieren.“ Wie Seitz meint Flath damit nicht nur die NPD, sondern auch manchen Linken.

An einer Stelle allerdings geht der Finanzprofessor noch eine Schritt weiter. Seitz warnt vor einer Radikalisierung der politischen Mitte, vor „dem Ruf nach der starken Hand“. So ist es kein Zufall, dass sich NPD-Fraktionschef Holger Apfel kürzlich zu Wort gemeldet und einen „umfassenden Paradigmenwechsel“ gefordert hat. Die markige Losung lautet: „Weg von einem globalistischen Teufelssystem, hin zu einer raumorientierten Volkswirtschaft“. Dabei ist zwar klar, dass Apfels „Raumorientierung“ den Komplett-Ruin der deutschen Wirtschaft zur Folge haben würde. Politisch aber, so die Hoffnung von rechts außen, ließe sich damit schon punkten.

Die anderen Fraktionen sehen das naturgemäß etwas anders. „Dass die Finanzkrise auf der Landesebene angekommen ist, ist klar“, meint Martin Dulig, Fraktionschef der SPD. Akute Probleme damit aber hätten vor allem CDU und FDP. So hat die neoliberale Rede vom freien Spiel der Kräfte laut Dulig abgewirtschaftet, „Christ- und Freidemokraten stehen vor einem Scherbenhaufen“. Gewinner der Debatte dagegen sei Rot-Grün.

Die Grünen könnten tatsächlich Nutznießer auf politischer Ebene sein. Schließlich verweist Fraktionschefin Antje Hermenau seit jeher auf das grüne Prinzip der Nachhaltigkeit, das nicht mehr allein umwelt-, sondern auch finanzpolitisch gültig sei. Und Hermenau legt nach: „Wir brauchen eine gepflegte Kapitalismus-Kritik.“ Nicht die Marktwirtschaft generell solle ausgehebelt werden, vielmehr sei deren Rahmen klarer zu bestimmen.

Von Kapitalismus-Kritik spricht FPD-Chef Holger Zastrow nicht, er geht lieber auf das Desaster der Landesbank ein. Gerade die sächsische Politik müsse Lehren aus der Krise ziehen, um das Vertrauen der Menschen wiederherzustellen, lautet seine Losung. Wesentlich komfortabler ist die Lage der Linken. Sie können darauf verweisen, sie hätten es schon immer gesagt. „Sachsen ist das Musterbeispiel für das Versagen klassischer konservativer Wirtschafts- und Finanzpolitik“, sagt Caren Lay, Parlamentarische Geschäftsführerin der Linksfraktion, und meint vor allem die CDU.

Damit liegt der Rollenplan für die Auseinandersetzungen der kommenden Monate vor. Die Frage nach der sozialen Sicherheit rückt in den Mittelpunkt, und hier ist die Prognose von Helmut Seitz wenig hoffnungsvoll. „Krisen werden immer von Extremisten genutzt“, so der Hinweis des Finanzexperten, „denen von links und rechts außen – und von denen in der Mitte“.
von Jürgen Kochinke