Karl Nolle, MdL

Sächsische Zeitung, 14.10.2008

Gläserner Steuerzahler – ein Anruf genügt

 
Der Anrufer, der sich am 20. August per Telefon beim Finanzamt in Löbau meldete, nannte sich „Herr Müller“. Und mit dem lapidaren Hinweis, er sei Mitarbeiter der Oberfinanzdirektion, forderte er sensible und geheime Daten über die grüne Landtagsabgeordnete Astrid Günther-Schmidt und deren Ehemann ab: Steuernummer samt Anschrift, familiäre Verhältnisse, angemeldetes Gewerbe, Bankverbindungen, die letzte Veranlagung, eventuell vorhandene Steuerrückstände, Einkünfte und Behandlung der Abgeordentenbezüge, Einkünfte aus der Dozententätigkeit.

Die Dienstvorschriften sind für solche Fälle eindeutig: „Eine telefonische Auskunftserteilung setzt voraus, dass Gewissheit über die Person des Auskunftsersuchenden besteht“, heißt es dort. Doch an diesem Tag bekam der bis heute unbekannte Anrufer problemlos alle gewünschten Informationen übers Telefon. Dass es sich bei ihm nicht um einen Mitarbeiter der Oberfinanzdirektion handelt, fiel in Löbau erst einen Tag später auf. Da wollten die Mitarbeiter des Finanzamtes telefonisch weitere Informationen über das Ehepaar Schmidt-Günther der Oberfinanzdirektion übermitteln. Das Problem: Einen „Herrn Müller“ gibt es dort nicht.

Strafanzeige bisher erfolglos

Der in Sachsen in diesem Ausmaß bisher noch nicht vorgekommene Datenschutz-Skandal sorgt nun hinter den Behördenkulissen für hektische Betriebsamkeit. Und bei der Abgeordneten Astrid Günther-Schmidt, die sich als Umweltpolitikerin oft genug auch Feinde macht, für Unruhe. Denn wer an diesen persönlichen Informationen über sie interessiert ist und warum, ist noch unklar. Die Oberfinanzdirektion, die sich sofort nach der schweren Datenpanne bei der Abgeordneten meldete, hat sich mittlerweile entschuldigt und angekündigt, den Fall bei der Staatsanwaltschaft Görlitz anzuzeigen. Eine Strafanzeige stellte dort inzwischen auch Günther-Schmidt – gegen die beiden namentlich bekannten Mitarbeiterinnen des Finanzamtes, die dem Unbekannten die Daten anstandslos herausgerückt hatten. Doch die Görlitzer Staatsanwaltschaft lehnt eine Strafverfolgung ab. Die Begründung erfolgt im umständlichen Justizdeutsch: Die beiden Finanzbeamtinnen wären bei dem Anruf tatsächlich einem sogenannten „Erlaubnistatbestandsirrtum“ erlegen.

Weil sie dabei aber nicht vorsätzlich gehandelt haben, sei der Verstoß nicht strafbar. Gegen diese Entscheidung haben die Anwälte von Astrid Günther-Schmidt Beschwerde eingelegt, über die noch nicht entschieden wurde.

Die Verletzung des Steuergeheimnisses durch das Finanzamt Löbau beschäftigt auch den Landesbeauftragten für Datenschutz. „Wir kontrollieren diesen Fall“, bestätigt Sprecher Andreas Schneider.

Dass es sich dabei um einen klaren Verstoß gegen die Datenschutzvorschriften handelt, ist aber mehr als absehbar. Allein die Konsequenzen stehen noch nicht fest. „Bei jedem unserer Vorträge erklären wir den Mitarbeitern von sächsischen Behörden: Bei Anrufen von außerhalb immer selbst zurückrufen und damit deren Herkunft überprüfen.“

Dem Löbauer Daten-Desaster gewinnen Sachsens Datenschützer nur einen positiven Punkt ab. Es sei gut, dass sich die Oberfinanzdirektion sofort und von sich aus an die Betroffenen gewandt hätte. Die Gefahr, dass jeder Sachse gegen seinen Willen zum gläsernen Steuerzahler werden kann, ist damit aber nicht gebannt. Ein Anruf genügt.
Von Gunnar Saft